Die Verkündung des Strafmaßes für die bekannteste Transfrau Schottlands hat am Dienstag die Debatte über die Behandlung der kleinen Minderheit wieder aufflammen lassen. Isla Bryson hatte als Adam Graham zwei Frauen vergewaltigt. Richter John Scott verurteilte die heute 31-jährige Transfrau deshalb am Dienstag zu acht Jahren Haft: "Sie stellen ganz klar ein bedeutsames Risiko für jede Frau dar, mit der Sie in Beziehung stehen."

Der Vergewaltigungsfall wurde schnell zum Politikum in Schottland (Demo in Glasgow).
Foto: Andy Buchanan / AFP

In der jüngsten Volkszählung des Statistikamts ONS identifizierten sich 262.000 Menschen über 16 Jahre in England und Wales als trans – sie verneinten also die Frage, ob ihr Geschlecht mit der Angabe auf der Geburtsurkunde übereinstimme. Umgerechnet auf die Bevölkerung beträgt die Zahl der Betroffenen in Schottland demnach rund 24.000.

Jahrelange Debatte

In der schottischen Öffentlichkeit werden – mehr noch als im Rest des Landes – die rechtlichen und sozialen Probleme rund um Transgender-Personen seit Jahren heftig diskutiert. Die von den Grünen unterstützte Regierung der Nationalpartei SNP unter Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon brachte vergangenes Jahr im Edinburgher Regionalparlament ein Reformgesetz ein. Nach monatelangen, auch innerparteilichen Debatten wurde es im Dezember mit Zweidrittelmehrheit verabschiedet.

Für den rechtlich gültigen Wechsel aus dem bisherigen Geschlecht müssen Transpersonen nach gültiger britischer Gesetzeslage 18 Jahre alt sein, ein ärztliches Attest sowie eine Übergangszeit von zwei Jahren nachweisen können. Hingegen erlaubt das schottische Gesetz allen Menschen über 16 Jahre die Neueinstufung nach sechs Monaten und ohne ärztliche Beteiligung. Mit Blick auf die Ungleichbehandlung im gesamten Königreich blockierte die konservative Londoner Regierung das Vorhaben im Jänner; der Betrieb von Schulen, Clubs und Vereinen, die nur einem Geschlecht zur Verfügung stehen, sei nach der neuen Regelung nicht gewährleistet.

"Angriff auf Schottlands Demokratie"

Sturgeon prangerte die Intervention als "Angriff auf Schottlands Demokratie" an. Wenige Tage später geriet der Fall Bryson in die Schlagzeilen: Die Geschworenen am Edinburgher High Court befanden die Angeklagte für "schuldig", gemäß ihrer Selbsteinstufung wurde sie in ein Frauengefängnis eingeliefert, woraufhin sich ein Proteststurm in der Öffentlichkeit erhob.

Ministerpräsidentin Sturgeon sah sich im Parlament peinlichen Fragen ausgesetzt. Bryson habe ihren Transgender-Status "fast sicher" gefakt, teilte Sturgeon mit und gab zu Protokoll: "Sie selbst sieht sich als Frau, ich sehe die Person als Vergewaltiger:in." Gelte nun also "Vergewaltiger:in" neben Männern und Frauen in Schottland als drittes Geschlecht? So höhnten die Kritiker.

Graham hatte nach einer gescheiterten Ehe die Nähe seiner späteren Opfer gesucht. Im Prozess teilte die nunmehr als Bryson geführte Person mit, der Sex mit den beiden Frauen sei konsensual gewesen. Sie lebe nunmehr als Transfrau, nehme weibliche Hormone ein und warte auf eine operative Geschlechtsanpassung. Richter Scott sprach in seiner Strafmaßbegründung die Verurteilte mit ihrem neuen Namen an: "Sie haben Ihre Taten nicht akzeptiert und dafür Verantwortung übernommen. Deshalb muss die Frage des fortbestehenden Risikos Teil Ihrer Strafe sein." Bryson muss ihre Strafe in einer Haftanstalt für Männer verbüßen.

"Kulturkampf"

Im Streit um das neue Gesetz hatte Ministerpräsidentin Sturgeon die Konservativen beschuldigt, diese würden einen "Kulturkampf" über die Rechte einer ohnehin marginalisierten Minderheit anstreben. Der Fall Bryson hat mit solcher Selbstgewissheit aufgeräumt: Umfragen zufolge hält eine Mehrheit in Schottland die Maßnahme der Londoner Regierung für richtig. Das Thema dürfte zu Sturgeons Entschluss, demnächst ihre gut achtjährige Amtszeit zu beenden, erheblich beigetragen haben.

Das umstrittene Gesetz jedenfalls wird den Nachfolgekampf kaum in der jetzigen Form überleben, wenn überhaupt. Dazu hat der Fall Isla Bryson signifikant beigetragen und damit das Schicksal vieler genuiner Transpersonen zusätzlich erschwert. (Sebastian Borger, 28.2.2023)