Sich leerende Kirchen, massenhafte Kirchenaustritte, Missbrauchsskandale, wenig Priesternachwuchs – die Krise der katholischen Kirche ist seit Jahr und Tag nicht mehr zu übersehen. Versuche der Demokratisierung, wie der vor allem in Deutschland eingeschlagene "synodale Weg", haben bisher wenig gebracht.

Jetzt sorgt ein radikaler Vorschlag des renommierten tschechischen Theologen Tomáš Halík in Kirchenkreisen für Aufsehen: Dieser plädiert für die "Selbsttranszendenz" des Christentums in eine "neue Ökumene", die auch die nicht gläubigen "anonymen Christen" mit einschließt.

Schlägt eine "neue Ökumene" vor, um die anhaltende Krise der Kirche zu überwinden: der tschechische Theologe Tomáš Halík.
Foto: Heribert Corn

Halík, der in der Zeit des Kommunismus in der "Geheimkirche" heimlich geweiht wurde, ist Professor für Soziologie, Pfarrer der Prager Akademischen Gemeinde, einst Mitarbeiter von Václav Havel und eine der wichtigen Stimmen in der internationalen Kirchenwelt. In seinem vor kurzem auch auf Deutsch erschienenen Buch Der Nachmittag des Christentums sagt er, die Spaltungslinie verlaufe heute nicht mehr zwischen Gläubigen und Ungläubigen, sondern zwischen einem fundamentalistischen "Katholizismus ohne Christentum" und einer "offenen Kirche", in der auch Platz für "Religionslose" ist.

Säkularer Humanismus

"War die religiöse Gestalt des Christentums nur eine der Etappen seiner geschichtlichen Entwicklung?", fragt Halík. Die bisherigen prämodernen Formen der Religion seien zu eng, es sei notwendig, "den Glauben in einen neuen Raum hinüberzuführen, so wie Paulus damals das Christentum aus den Grenzen des damaligen Judentums hinausgeführt hat".

Im Dialog mit dem säkularen Humanismus könnte die Kirche laut Halík "vieles aus ihrem Erbe neu entdecken, das sie in der Geschichte oftmals nicht genutzt hat oder dem sie sogar untreu geworden ist". Zu diesem christlichen Erbe gehört auch die Parole der Französischen Revolution, "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit". Im Neuen Testament steht, in den Worten des Apostels Paulus, "es gibt nicht mehr Juden und Griechen, Freie und Sklaven". Und eine der Enzykliken von Papst Franziskus heißt "Fratelli tutti". Diesem Papst hat Autor Halík sein Buch "in Hochachtung und Dankbarkeit" gewidmet.

Besonders in den ehemals kommunistischen Ländern Osteuropas ist in den letzten Jahren die Kluft zwischen konservativen und liberalen Kirchenvertretern groß geworden. In Polen, wo die katholische Kirche traditionell großen Einfluss hat und während der Herrschaft der Kommunisten ein Gegengewicht zu dieser bildete, sind Teile der Hierarchie inzwischen weit nach rechts gerückt. Und auch in der Tschechischen Republik, in der Slowakei, in Ungarn und Slowenien haben populistische und rechts stehende Politiker oftmals, etwa beim Kampf gegen Abtreibung, Bündnisse mit der Kirche gesucht und auch gefunden. Die Gegenkräfte sind weniger sicht- und hörbar. Aber sie sind da. Tomáš Halíks Buch ist ein eindrucksvoller Beweis dafür. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 2.3.2023)