Der Sechsjährige wurde rund 600 Meter flussabwärts tot auf einer Sandbank gefunden.

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Die mutmaßliche Tat ereignete sich Ende August gegen vier Uhr Früh. Ein 37-Jähriger führt seinen sechsjährigen Sohn in einem Kinderwagen am Ufer der Kitzbühler Ache in St. Johann in Tirol spazieren. Das sei nichts Ungewöhnliches, wird er später vor den ermittelnden Personen vom Landeskriminalamt (LKA) zu Protokoll geben. Sein Bub sei geistig beeinträchtigt, solche Spaziergänge an der frischen Luft hätten ihn beruhigt.

Um 5.20 Uhr wird der Vater von einem Passanten bewusstlos aufgefunden. Es scheint, als habe ihm jemand einen gezielten, wuchtigen Schlag mit einer Sektflasche verpasst. Das Handy des Mannes und sein Geldbeutel werden in unmittelbarer Nähe gefunden. Und der Kinderwagen ist leer. Der Sechsjährige wird rund 600 Meter flussabwärts tot auf einer Sandbank gefunden. Wasser habe ihn schon immer fasziniert, lässt seine Mutter später wissen.

Zunächst glaubten die ermittelnden Personen, dass der Sechsjährige selbst aus seinem Kinderwagen geklettert ist.
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Die Exekutive geht von einem Raubüberfall aus – und davon, dass der Bub selbstständig aus seinem Kinderwagen geklettert und dann ins Wasser gefallen sei. Zwischen Ache und Promenade befindet sich nur eine Böschung.

Polizei tappte monatelang im Dunkeln

Monatelang ermittelt die Polizei ohne heiße Spur. Bilder der Sektflasche werden geteilt. Der Vater erinnert sich, einen Mann gesehen zu haben, es wird nach Zeugen gesucht. Ende September bieten die Eltern in Absprache mit dem LKA für entscheidende Hinweise eine Belohnung in der Höhe von 30.000 Euro.

Nun, sechs Monate nach dem Vorfall, nimmt der Fall eine überraschende Wende. Der Vater selbst steht im Verdacht, seinen Sohn getötet zu haben. Montagfrüh wurde der 37-Jährige festgenommen, bestätigt Staatsanwaltschaftssprecher Hansjörg Mayr dem STANDARD entsprechende Medienberichte. Am Dienstag sei der Mann stundenlang vernommen worden. Am frühen Donnerstagvormittag werde der Verdächtige dem Haftrichter vorgeführt. Dann soll sich klären, ob der Mann in U-Haft gehen muss oder nicht.

Hat der Vater den Überfall vorgetäuscht?

Mehrere Indizien hätten sich "inzwischen zu einem Bild gefügt, das den dringenden Tatverdacht erhärtet", führt Mayr aus. Welche Indizien das sind, wollte er mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht ausführen. Die bisherigen Ergebnisse ließen jedenfalls vermuten, dass der angebliche Raub nicht stattgefunden haben dürfte. Weitere Spuren in Richtung eines möglichen Räubers würden derzeit nicht mehr verfolgt.

Ins Visier der Ermittler kam der Mann diversen Medienberichten zufolge offenbar vor allem deshalb, weil er besagte Sektflasche, mit der er angeblich niedergeschlagen wurde, selbst im Kinderwagen mitgeführt haben soll. Dies war offensichtlich bereits auf einem Video erkennbar gewesen. Außerdem habe er sein Handy in den Müll geworfen. Auch seine Verletzungen seien nicht mit der Tat in Einklang zu bringen gewesen. Zudem sei der Schrittzähler am Handy nicht zeitgerecht inaktiv gewesen, und der Mann habe den angeblichen Räuber erst bei der zweiten Einvernahme genauer beschreiben können.

Vater weist jegliche Schuld von sich

Der Vater wies in bisherigen Vernehmungen den Mordverdacht zurück und blieb bei seiner Darstellung. Sein Verteidiger konnte die Festnahme nicht nachvollziehen. "Die Polizei wirft ihm scheinbar vor, er habe seinen Sohn von seiner Krankheit erlösen wollen. Mein Mandant ist schockiert über diesen Vorwurf und bestreitet ihn vehement", sagt der Anwalt der Tiroler Tageszeitung. Die Indizien seien "haltlos". So habe ein Bericht des Bundeskriminalamts etwa ergeben, dass man keinesfalls feststellen könne, dass es sich bei der Flasche im Kinderwagen um die Besagte handelte. DER STANDARD erreichte den Anwalt am Mittwoch nicht. (Maria Retter, 1.3.2023)