Hühner, die in einem Schlachthof gegen die Wand getreten, gegen Container geschleudert und als Putzfetzen verwendet werden. Bilder wie diese lösen neue harte Debatten über Nutztierhaltung in Österreich aus. Erwin Kinslechner überraschen sie nicht.

Hühnerfleisch ist trotz wachsenden Appetits auf vegane Lebensmittel in aller Munde. Nun rücken Produktionsbedingungen verstärkt ins Licht der Öffentlichkeit.
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Fleisch werde in Schlachthöfen im Akkord zerlegt, sagt der Gewerkschafter, der die Löhne in der Branche mitverhandelt. Mensch und Lebewesen passten sich an das Tempo der Maschinen an. Es seien überwiegend schlecht bezahlte Jobs, die auf Dauer schwer auf die Psyche schlugen. Wer sich selbst nicht gut behandelt fühle, gehe entsprechend mit Tieren um.

1.622 Euro brutto Mindestlohn

Ab 15. März werden die neuen Gehälter der Geflügelwirtschaft verhandelt. 1.622 Euro brutto beträgt der monatliche Mindestlohn aktuell. Ein angelernter Arbeiter verdient 45 Euro mehr. Netto bleiben rund 1.330 Euro übrig, mit denen dann Fahrtkosten oder Unterkünfte beglichen werden müssen. Denn erledigt wird die Arbeit in Österreichs Schlachthöfen überwiegend von Menschen aus Osteuropa.

Die Löhne in der Geflügelwirtschaft sind die niedrigsten in der gesamten Fleischbranche, erzählt Kinslechner und spricht von einem Verdienst knapp über der hierzulande definierten Armutsgrenze. Die Differenzierung sei historisch begründet: Verarbeiter weißen Fleisches legten Wert auf eine andere Art der Produktion als Verarbeiter roten Fleisches.

Spezialfacharbeiter wie Salzer, Aufschneider und Partieführer kommen in der Industrie auf 2788 Euro brutto im Monat. Wer sich in der Geflügelproduktion verdingt, muss mit knapp 600 Euro weniger vorliebnehmen.

"In sich geschlossene Systeme"

13.000 Beschäftigte zählen Fleischgewerbe und -industrie. Betriebsräte nennt Kinslechner in diesem Bereich Mangelware. Vor allem Schlachthöfe seien "in sich geschlossene Systeme", die kaum Einblick gewährten.

Gewerkschaften versuchten auf europäischer Ebene Probleme auszuloten, die sich vor allem durch den hohen Anteil an Wanderarbeitern und Grenzgängern stellten. Aufgrund von Sprachbarrieren wüssten viele unter ihnen über ihre Arbeitsrechte kaum Bescheid.

Kinslechner sieht es auch in Österreich an Missständen nicht mangeln. Der Branchensekretär der Produktionsgewerkschaft berichtet von Arbeitern, die mit ihrem Dienstvertrag unwissentlich im Vorfeld ihre Kündigung unterschrieben oder einen Verzicht auf eine Abgeltung der Überstunden sowie auf Urlaubs- und Weihnachtsgelder einräumten.

"Angst, Jobs zu verlieren"

Was die Unterkünfte betrifft, seien in den vergangenen Jahren Fälle aufgeschlagen, in denen neun Arbeiter etwa in ein Zimmer gepfercht wurden und ihnen der Quartiergeber für eine Matratze jeweils 100 Euro im Monat verrechnete. Zu Anzeigen sei es nicht gekommen. Zu groß wären der Gruppendruck und die Angst gewesen, Jobs zu verlieren.

Kinslechner will bei den Löhnen der Geflügelwirtschaft nun zumindest die für den Kollektivvertrag maßgebliche Inflationsrate der vergangenen zwölf Monate von im Schnitt 8,5 Prozent abgegolten wissen. 2022 lag das Einkommensplus bei 3,4 Prozent oder zumindest 55 Euro. Vertreter der Arbeitgeberseite waren vorerst trotz mehrfacher Nachfrage dazu für keine Stellungnahmen erreichbar. Nur so viel: Die Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen hätten nichts mit den jüngsten Vorwürfen gegen einen steirischen Betrieb zu tun, so der Tenor.

Dass Hühner unter anderem brutal gegen Container geworfen wurden, sei nicht Druck und Stress in der Produktion geschuldet, sondern fehlender Empathie einzelner Arbeiter.

Wenig finanzieller Spielraum

Bei der bevorstehenden Lohnrunde werden Geflügelproduzenten traditionell einen massiven Preisdruck des Handels ins Treffen führen. Kaum Spielraum sehen sie für sich aufgrund starker Importe. Zuletzt flogen vor allem österreichische Puten aus den Regalen der Supermärkte und Töpfen der Gastwirte.

Strengere Vorgaben für die Mast machen hierzulande gemästete Puten erheblich teurer als Geflügel aus dem Ausland. Zugleich greifen Konsumenten aufgrund der starken Inflation vermehrt zu günstigem Fleisch.

Über allem kreist die Gefahr einer Ausbreitung der Vogelgrippe, die erhöhte Sicherheitsvorkehrungen erfordert. Bricht diese in einem Stall aus, sind sämtliche Tiere zu keulen. Der betroffene Betrieb wird behördlich gesperrt.

"Entsetzt von diesen Bildern"

Akuten Drohungen gegen Angehörige ausgesetzt sieht sich der Schlachthof, den der Verein gegen Tierfabriken wegen Verdachts auf Tierquälerei angezeigt hat. Man sei entsetzt von diesen Bildern, ließ der Familienbetrieb am Mittwoch wissen. Derartiges Verhalten sei inakzeptabel und habe arbeitsrechtliche Konsequenzen. Mitarbeiter würden zudem künftig noch stärker geschult und sensibilisiert.

Ein steirischer Strafverteidiger hat einem Bericht der Kronen Zeitung zufolge eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft Graz verfasst und drei Hühnermastbetreiber sowie die Agrarmarkt Austria wegen Betrugs angezeigt – mit dem Argument, dass Konsumenten auf das AMA-Gütesiegel vertrauten.

Die AMA selbst veranlasste im betroffenen Schlachthof eine Videoüberwachung für mehr Transparenz während des Schlachtvorgangs. Fachleute sollen die Aufzeichnungen regelmäßig auswerten. Bei Fehlverhalten könne damit rascher eingegriffen werden. Die Position der Tierschutzbeauftragten in den Schlachtbetrieben werde gestärkt und ausgebaut. (Verena Kainrath, 1.3.2023)