"Pessimismus kann ich mir nicht leisten, dafür hab ich keine Zeit." Igor Levit paraphrasierte den afroamerikanischen Bürgerrechtler James Baldwin, als er sich am Dienstagvormittag im Wiener Volkstheater daranmachte, die Krisen unserer Zeit aufzulisten und Taten einzufordern. Der 35-jährige deutsche Pianist war Stargast des erstmals veranstalteten "Forum Kultur" und ließ keinen Zweifel daran, dass er auch auf der Klaviatur der politischen Rede in der Weltklasse spielt: Von prekären Arbeitsverhältnissen im Kulturbetrieb über die Klimakrise bis hin zu vergleichsweise kleinen Problemen wie dem Niedergang des Musikunterrichts oder der drohenden Einsparung des Radio-Symphonieorchesters – Levit versuchte aufzurütteln, zu mahnen, aber auch Mut zu machen.

Pianist Igor Levit rüttelte mit einer politischen Rede auf: Er habe keine Zeit für Pessimismus, so seine Botschaft.

Eingeladen hatte Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer. Zugegen auf der ganztägigen Veranstaltung war auch Vizekanzler, Sport- und Kulturminister Werner Kogler, der zwar fachkundig mitdiskutierte, aber auch unumwunden zugab, dass Mayer im grünen Regierungsteam die eigentliche Kulturministerin sei und er eher pro forma abnicke – ein System, das sich gut eingespielt habe.

Die Idee für das "Forum Kultur" entstand aus der Pandemie heraus: 2021 startete Mayer einen fortlaufenden Onlinedialog mit maßgeblichen Playern aus dem Kulturbetrieb, der nun physisch fortgesetzt werden sollte. Das Ziel: kulturpolitische Leitlinien für den Bund zu erarbeiten, was bis zum Ende der Legislaturperiode 2024 umgesetzt werden soll. Ähnliche Prozesse laufen auch in den Bundesländern.

Gut 700 Personen folgten dem Aufruf der Kulturpolitik, im Volkstheater zu einem Diskussionsforum zusammenzukommen.
Foto: BMKÖS / Johannes Zinner

Während es in Deutschland mit dem kulturpolitischen Bundeskongress bereits seit Jahren ein institutionalisiertes jährliches Branchentreffen gibt, betritt Österreich mit dem "Forum Kultur" Neuland. Als ein erster für alle Interessierten frei zugänglicher Event, der Lust auf Wiederholung machen soll (an eine jährliche Wiederkehr ist gedacht), war die Veranstaltung gelungen, 700 Zählkarten wurden ausgegeben.

Mehr Inhalt, weniger Show

Dass das mit künstlerischen Beiträgen – u. a. der Science-Busters und einem Ausschnitt aus der Faust-Inszenierung von Volkstheater-Chef Kay Voges – garnierte Treffen in Zukunft mehr inhaltliche Vertiefung als Show bieten muss, sei der Politik aber auch empfohlen. Mit Kosten von 188.000 Euro für Miete, Catering, Gagen, Technik war die Sache nämlich kein Schnäppchen.

Kabarettist Hosea Ratschiller und Rapperin Yasmo moderierten mit Schmäh und Charme, und bis auf die Chefs der großen Bundesmuseen, die eingeladen waren, aber weitgehend fern blieben (ein möglicher Grund könnten die ungeliebten Pläne zu einer Strukturreform sein), wurde ein breites Spektrum der Kulturszene abgedeckt. Die Podiumsdiskussionen zu Themen wie Fair Pay, Klima und Publikumsschwund konnten freilich nur an der Oberfläche kratzen, die richtigen Themen aber waren es allemal. Aus dem Publikum heraus durfte man sich live via Handy an den Diskussionen beteiligen.

Vom Vormittag war mitzunehmen, dass es zumindest im Publikum große Sympathie für ein bedingungsloses Grundeinkommen gibt. Und dass die Gefahr der Einengung der Kunst- und Meinungsfreiheit durch rechtsautoritäre Tendenzen zwar zu Recht erkannt wird, man eine ebensolche von links (Stichwort Cancel Culture) aber eher nicht wahrhaben will. Diesbezüglich könnte eine Branche, die rechten Meinungsmachern mit überzogenen Verbotsdiskussionen beständig Vorlagen für Hetze liefert, durchaus selbstkritischer agieren.

Gewinnender war da die Klimadebatte: Nova-Rock-Veranstalter Ewald Tatar räumte etwa ein, dass sein Festival trotz vieler Bemühungen noch nicht behaupten könne, ein grüner Event zu sein. Filmproduzent Alexander Dumreicher-Ivanceanu lobte die grüne Wende beim Film als vorbildlich. Die Öko-Neujustierung der heimischen Filmförderung mache nun sogar in Deutschland Schule.

Wie lockt man die Jungen?

Einblick gab es noch in eine von Andrea Mayer beauftragte und bald vorliegende Sora-Studie zum zuletzt beklagten Publikumsschwund. Bei 2000 Befragten zeigte sich, dass 25 Prozent im Jahr 2022 ihre Kulturbesuche reduziert hatten und etwa ein Viertel gar kein Kulturangebot wahrnimmt. Dass Österreicher mit im Schnitt sechs Kulturbesuchen im Jahr noch immer sehr kulturaffin sind, stimmt hingegen positiv.

Wie man die Jungen, eine angesichts des demografischen Wandels immer kleinere Zielgruppe, für sich gewinnen will, war das Hauptthema des Schlusspodiums: Volkskundemuseum-Chef Matthias Beitl und Jolanda de Wit vom Kulturhaus Vöcklabruck plädierten für eine Kultur nahe an der Sozialarbeit, die queere Comedian Denice Bourbon setzt auf Glaubwürdigkeit beim Nischenpublikum, Lotte De Beer von der Volksoper und FM4-Senderchefin Dodo Roscic hielten den Bildungsauftrag und den Kampf gegen eine Zersplitterung der Gesellschaft hoch.

Angesichts der Konkurrenz durch Streaming brach Andrea Mayer abschließend eine Lanze für kuratiertes Radio wie FM4. Alles Neue erfahre sie von dort und nicht von Apple Music. Applaus beim Publikum – dessen Altersschnitt allerdings schon auch Luft nach unten hatte. (Stefan Weiss, 2.3.2023)