Bei dem Unglück sind mindestens 57 Menschen ums Leben gekommen.

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Athen – Nach der verheerenden Kollision zweier Züge in Mittelgriechenland mit mittlerweile mindestens 57 Toten und zahlreichen Verletzten hat am Mittwoch Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis das Unglück auf menschliches Fehlverhalten zurückgeführt. Alles weise darauf hin, dass es hauptsächlich auf einen "tragischen menschlichen Fehler" zurückzuführen sei, sagte Mitsotakis.

Der Bahnhofsvorsteher, der am Dienstagabend am Bahnhof der Stadt Larissa in Mittelgriechenland verantwortlich war, soll am Mittwoch eingestanden haben, die Weichen falsch gestellt zu haben. Zugleich galt es, die Opfer zu identifizieren. Viele Leichen sind verbrannt und können nur per DNA-Analyse identifiziert werden.

Bahnhofsvorsteher festgenommen

"Ich habe einen Fehler gemacht und den Personenzug auf dieselbe Schiene wie den entgegenkommenden Güterzug geschickt", soll der 59 Jahre alte Eisenbahner zu Protokoll gegeben haben, wie der Sender ERT am Mittwochabend unter Berufung auf Polizeikreise berichtete. Der Mann war bereits am Vormittag festgenommen worden.

Doch das dürfte noch längst nicht das Ende der Ermittlungen sein. Schon kurz nach dem schweren Unfall kam Kritik von Eisenbahnern und deren Gewerkschaft auf, dass das elektronische Leitsystem auf der Strecke Athen–Thessaloniki schon länger nicht arbeite. Deshalb seien die Bahnhofsvorsteher dafür verantwortlich, die Züge quasi händisch zu koordinieren.

Im griechischen Fernsehen sprach ein Eisenbahnexperte von organisatorischen und technischen Mängeln, die zu dem Unglück geführt hätten. "Sie werden alles auf den Bahnhofsvorsteher schieben", sagte der pensionierte Lokführerausbilder Nikos Tsouridis. "Er war ausgebildet, aber unerfahren. Man hätte ihm niemals einen so wichtigen Bahnhof wie Larissa übertragen dürfen, und schon gar nicht allein." Der Mann sei dort erst seit einem Monat eingesetzt worden. Angesichts technischer Mängel funktioniere das griechische Bahnsystem lediglich aufgrund seiner erfahrenen Mitarbeiter. "Warum gab es keine Sicherheitsvorkehrungen?", fragte Tsouridis. Zwar habe der Bahnhofsvorsteher einen Fehler gemacht. "Aber natürlich muss es einen Sicherheitsmechanismus als Rückfalloption geben."

Streik der Eisenbahner

Aus Protest gegen den maroden Zustand der griechischen Bahnen haben die Eisenbahner nun reagiert. Sie sind landesweit in einen 24-stündigen Streik getreten. Auch zwei der drei U-Bahn-Linien von Athen werden bestreikt, wie Medien berichteten. Weiteren Medienberichten zufolge hatten Eisenbahngewerkschafter längst vor Unfällen gewarnt, weil das elektronische Leitsystem auf der Strecke Athen–Thessaloniki kaum funktionierte. Das jüngste Schreiben dieser Art ist erst drei Wochen alt, wie die Wirtschaftszeitung "Naftemporiki" schreibt. Demnach soll es auf der Strecke immer wieder zu kleineren und Beinaheunfällen gekommen sein.

Man könne die gefährliche Situation nicht mehr ertragen. "Worauf warten Sie noch, um einzugreifen? Was muss noch passieren?", hieß es in dem Schreiben vom 7. Februar. In einem weiteren Schreiben, das die Vereinigung der Lokführer im vergangenen November an das Verkehrsministerium schickte, werden die Mängel aufgelistet. Demnach funktionierten die Lichtsignale an der Strecke bereits seit vielen Jahren nicht mehr. Auch sei das European Train Control System (ETCS) – das System, das den Zug stoppt, wenn Gefahr droht, und das somit auch vor menschlichem Versagen schützt – außer Betrieb. Darüber hinaus funktionierten seit nunmehr 15 Jahren die Sicherheits- und Beleuchtungssysteme in den Tunnels nicht vollständig.

Verkehrsminister trat mit Kritik zurück

In einer Rede an das Land sicherte Ministerpräsident Mitsotakis den Menschen am Mittwochabend zu, die Umstände des Unglücks vollständig aufklären zu lassen. Eine unabhängige, überparteiliche Kommission solle klären, warum die notwendige Modernisierung der griechischen Bahnen in den vergangenen Jahren ausgeblieben sei.

Zuvor hatte Verkehrsminister Kostas Karamanlis bereits seinen Hut genommen. Er fühle sich verpflichtet, die Verantwortung für die Fehler des griechischen Staates zu übernehmen. Die aktuelle Regierung habe die Eisenbahn vor dreieinhalb Jahren in einem Zustand übernommen, der nicht ins 21. Jahrhundert passe, teilte Karamanlis mit. Man habe seither alles getan, um diesen Zustand zu verbessern. "Leider reichten diese Bemühungen nicht aus, um einen solchen Unfall zu verhindern. Das ist sehr schwer für uns alle und für mich persönlich." Wenn so etwas Tragisches passiere, sei es nicht möglich, so weiterzumachen, als sei nichts geschehen.

Zug nach Thessaloniki unterwegs

Bei den Opfern handelt es sich übereinstimmenden Berichten zufolge hauptsächlich um junge Menschen. Viele seien nach einem Feiertag aus dem verlängerten Wochenende gekommen und auf dem Weg zur Universität in Thessaloniki gewesen. Die Opferzahl dürfte wohl steigen. Neben DNA-Abgleichen dienten auch Tattoos und Kleider bei der Suche nach der Identität der Opfer als wichtige Hinweise, berichten griechische Medien.

US-Außenminister Antony Blinken sprach Griechenland das Beileid seines Landes aus. Er betonte, dass die Vereinigten Staaten in dieser schweren Zeit an der Seite des griechischen Volkes stünden. (APA, red, 2.3.2023)