Am Donnerstag erklärte der deutsche Kanzler Olaf Scholz erst einmal im Bundestag seine Ukraine-Politik.

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Der US-Präsident hatte am Dienstag der vorigen Woche in Warschau gerade seine Rede zum Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine begonnen, als Richard Grenell zum Handy griff. "Deutschland tut nicht genug, um der Ukraine zu helfen, und Joe Biden äußert nicht ein einziges Wort der Kritik", wetterte der ehemalige US-Botschafter in Berlin.

Das Deutschland-Bashing gehört für Donald Trumps pöbelnden Möchtegern-Außenminister zum penetranten Eigenmarketing. Doch auch seriöse Gesprächspartner in Washington kommentieren die Rolle der Bundesregierung im Ukrainekrieg derzeit eher verhalten. "Deutschland hat sich wirklich gesteigert", lobte John Kirby, der Sprecher des Nationalen Sicherheitsberaters, zwar Anfang der Woche. Kurz zuvor aber hatte sein Chef Jake Sullivan in einem Interview ziemlich undiplomatisch geschildert, wie sehr sich Berlin bei der Entscheidung über die Leopard-Panzer gewunden habe. Die "Washington Post" kommentierte angesichts der deutschen "Verzögerung": "Ohne Führung aus Washington passiert nicht viel."

Große Diskrepanz

Objektiv sind Deutschland und Großbritannien nach den USA die zweitwichtigsten Unterstützer der Ukraine. Aber: "Es gibt kein anderes Land in der Koalition, bei dem eine so große Lücke zwischen den tatsächlichen Beiträgen und seinem Ruf in diesem Krieg klafft wie bei Deutschland", sagt Liana Fix von der renommierten Washingtoner Denkfabrik Council on Foreign Relations. Das habe mit den Nachwirkungen der Trump-Agitation, aber auch mit den langwierigen Entscheidungsstrukturen in Berlin und einer teilweise irritierenden Kommunikation zu tun. Es sei wichtig, "Zweifel ausräumen und klarzumachen, dass das zögerliche Vorgehen im letzten Jahr nicht bedeutet, dass Deutschland ein schlechter oder schwacher Alliierter ist", fordert Fix.

Eigene Entschlossenheit und transatlantische Geschlossenheit zu demonstrieren – das dürfte ein wichtiges Ziel des bevorstehenden Besuches von Olaf Scholz (SPD) in Washington sein. Gerade mal für eine Nacht und einen Tag fliegt der Kanzler am Donnerstag in die amerikanische Hauptstadt. Das Programm wirkt extrem schlank. Ein auf knapp zwei Stunden angesetztes Gespräch mit Präsident Joe Biden am Freitagmittag im Weißen Haus soll im Zentrum stehen. Der persönliche Austausch mit dem Anführer des Westens, so heißt es in Berliner Regierungskreisen, sei dem Kanzler ein besonderes Anliegen.

"Sehr wichtiger Moment"

"Auch wenn das Protokoll und das Drumherum ein bisschen bescheidener ausfällt, ist das ein sehr wichtiger Moment für die USA und Deutschland, ihre Positionen und Herangehensweise in der Ukraine abzustimmen", urteilt Jeff Rathke. Der Präsident des American Institute for Contemporary German Studies (AICGS) nennt im Gespräch mit dem RND eine ganze Reihe drängender Fragen: "Wie stellen wir sicher, dass die Ukraine in den kommenden Wochen und Monaten schnell und genug Gerät bekommt? Wie können wir mit Sanktionen und anderen Maßnahmen dafür sorgen, dass Russland nicht in der Lage ist, diesen Krieg auf Dauer zu führen? Und: Wie können wir die Bedingungen schaffen, die Russland zu ernsthaften Gesprächen und zur Beendigung dieser Aggression bringen?"

Der Krieg in der Ukraine, hat das Weiße Haus angekündigt, werde im Zentrum des Arbeitsbesuches stehen. Dass Biden und Scholz unter vier Augen sprechen wollen, wie in Berlin zu hören ist, unterstreicht die Ernsthaftigkeit der Begegnung. Vordringlich, sagt die Wissenschafterin Fix, sei nun die Sicherung des Munitionsnachschubs für die Ukraine. Politisch gehe es zudem um die klare Botschaft, "dass der russische Präsident sich keine Hoffnung auf ein Nachlassen der westlichen Unterstützung für die Ukraine machen soll".

Kompromiss

Doch die Begegnung der beiden wichtigen Verbündeten wird von einem Misston überlagert. Am Sonntag hat Sicherheitsberater Sullivan in einem Fernsehinterview noch einmal detailliert geschildert, wie es zur Entscheidung über die Lieferung deutscher und amerikanischer Panzer in die Ukraine kam. Eigentlich habe Präsident Biden die amerikanischen Abrams-Panzer nicht bereitstellen wollen, da sie "nicht das Gerät sind, das sie (die Ukrainer, Anm.) brauchen". Kanzler Scholz habe aber erklärt, dass er die dringend benötigten deutschen Leopard-Panzer nicht im Alleingang liefern werde. Also habe Biden entschieden: "Okay, ich bin der Anführer der freien Welt. Ich schicke in Zukunft die Abrams, und ihr schickt jetzt die Leoparden."

In der Sache kann das niemanden überraschen, der die Nachrichten verfolgt hat. Für Wirbel sorgte die Äußerung trotzdem, weil sie kurz vor dem Kanzlerbesuch fiel und in ihrer undiplomatisch offenen Schilderung der offiziellen deutschen Darstellung widerspricht, es habe kein Junktim gegeben. Liana Fix glaubt nicht an einen Zufall. Offenbar wolle die Biden-Regierung noch einmal klarmachen, dass "nicht alles ideal gelaufen ist in den letzten Wochen", sagt sie. Washington hätte sich eine deutsche Führungsrolle in der Panzerfrage gewünscht, das Zögern des Kanzlers sei nicht vergessen: "Das wird zum Teil auch das Gespräch prägen."

Hingegen sieht Jeff Rathke, der in seinem früheren Leben als Diplomat gearbeitet hat, die Sache pragmatischer. "Es sollte niemand überraschen, dass zwei Bündnispartner, die beide eine sehr große Rolle bei der Unterstützung der Ukraine spielen, manchmal Zeit brauchen, um ihre Positionen zu koordinieren." Entscheidend sei, dass man zu einer einvernehmlichen Lösung gekommen sei. Rathke weist darauf hin, dass Sullivan ausdrücklich gefragt worden sei, weshalb die amerikanischen Abrams-Panzer nicht schneller geliefert würden. Darin schwinge eine inneramerikanische Kritik mit. "Ich bin mir nicht sicher, dass das Interview als Botschaft an die deutsche Regierung gedacht war", sagt Rathke deshalb.

Problematische Umfragen

Tatsächlich wird oft übersehen, dass auch Biden innenpolitisch wegen des Ukrainekriegs unter Druck seht. Der Anteil der Amerikaner, die die Militärhilfen unterstützen, ist laut Umfragen innerhalb eines Jahres auf rund 50 Prozent gefallen. Während die Falken bei den Republikanern die angebliche Zögerlichkeit des Präsidenten anprangern und die Lieferung von Kampfjets an die Ukraine fordern, lehnt der immer mächtigere Trump-Flügel der Republikaner die Hilfen für das von Russland überfallene Land komplett ab, und Trump selber warnt vor einem "dritten Weltkrieg".

Nach seinem Gespräch im Weißen Haus hat Olaf Scholz die Gelegenheit, die deutsche Position zu erläutern. Allerdings wird er das wohl nicht vor deutschen Medien tun. Eine Pressekonferenz steht nicht auf dem Programm. Stattdessen will der deutsche Kanzler dem US-Sender CNN ein exklusives Interview geben, das erst am Sonntag ausgestrahlt wird.

Diese selektive Öffentlichkeitsarbeit ist zumindest ungewöhnlich. Doch Rathke kann der Planung einen positiven Aspekt abgewinnen: "Ich finde gut, dass Scholz mit einem US-Sender spricht. Auf Englisch redet er ganz anders als auf Deutsch. Dann ist er direkter und ein bisschen offener." Beim Erklären der deutschen Ukraine-Politik für die amerikanische Bevölkerung, findet Rathke, könne das auf keinen Fall schaden. (Karl Doemens aus Washington, 2.3.2023)