Helga Kromp-Kolb: "Der Profit ist wichtiger geworden als das Sportliche."

Mit der Rekordanzahl von 23 Rennen startet die Formel 1 dieses Wochenende in die neue Saison.

Foto: REUTERS/Rula Rouhana

Am Wochenende beginnt in Bahrain die Formel-1-Saison. Mit der Rekordanzahl von 23 Rennen. Die Königsklasse des Motorsports boomt wie nie zuvor. Das US-Medienunternehmen Liberty Media, das 2016 die Formula-1-Group von Bernie Ecclestone übernahm, hat aus einem darbenden ein florierendes Unternehmen gemacht – dank Maßnahmen wie einer Netflix-Serie oder verstärkter Aktivitäten in den sozialen Medien. 2022 wurden dem Vernehmen nach gut 2,3 Milliarden Euro umgesetzt, mehr denn je zuvor.

Werden Kipppunkte überschritten, wäre die Erderhitzung nicht mehr aufzuhalten – ein sich selbst verstärkender Teufelskreis. Wie funktionieren sie, und stehen wir schon an der Kippe?
DER STANDARD

Die Verantwortlichen betonen ihr Umweltbewusstsein und propagieren Maßnahmen, mit denen sie in wenigen Jahren "Klimaneutralität" erreichen wollen. "Ein unehrliches Spiel", sagt die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb. Die Formel 1 vermittle "falsche, nicht mehr zeitgemäße Bilder" und habe eine schlechte Vorbildwirkung. "Dass auf Autobahnen nicht längst schon Tempo 100 gilt, ist wirklich unverständlich."

STANDARD: Der Formel-1-Tross hüpft mehr als je zuvor von Kontinent zu Kontinent. Und doch sagen die Verantwortlichen, dass die Formel 1 bis 2030 klimaneutral werden soll. Was denken Sie, wenn Sie so etwas hören?

Kromp-Kolb: Viele verstehen unter Klimaneutralität, dass sie ihre Emissionen kompensieren. Und sie vermeinen das zu tun, indem sie CO2-Zertifikate kaufen. Das kostet nicht viel, für ein Milliardenunternehmen wie die Formel 1 sind das Peanuts. Aber das ist Augenauswischerei, ein unehrliches Spiel.

STANDARD: Wieso das?

Kromp-Kolb: Weil es keinen Standard dafür gibt, was Klimaneutralität eigentlich ist. Man will, was man in die Atmosphäre eingebracht hat, wieder herausholen, indem man zum Beispiel Bäume pflanzt, die das CO2 aufnehmen. Doch zeitlich geht sich das nicht aus. Bis 2030 müssen die Emissionen halbiert sein. Weil Bäume sehr, sehr lange brauchen, um zu wachsen, können sie bis 2030 nicht das CO2 aufnehmen, das sie kompensieren sollen. Und der Baum muss ja auch stehen bleiben. Beim nächsten Waldbrand ist der Baum weg und das CO2 wieder in der Atmosphäre. Und Waldbrände werden nicht weniger, sondern mehr.

STANDARD: Heißt das, wir sollten das Wort Klimaneutralität am besten aus unserem Wortschatz streichen?

Kromp-Kolb: Wissenschaftlich macht es Sinn, aber es wird halt sehr oft für Greenwashing missbraucht. Der Sport ist nicht der einzige Wirtschaftszweig und die Formel 1 nicht das einzige Sportunternehmen, wo das praktiziert wird. Bei der Formel 1 stellt sich aber auch die Frage, ob dieser Sport grundsätzlich noch zeitgemäß ist – allein schon wegen der Vorbildwirkung, die er hat.

STANDARD: Glauben Sie wirklich, dass jemand schneller Auto fährt, nur weil er sich regelmäßig Formel-1-Rennen ansieht?

Kromp-Kolb: Die Formel 1 vermittelt meines Erachtens falsche, nicht mehr zeitgemäße Bilder. Da geht es um Geschwindigkeit und Konkurrenz. Wir brauchen aber nicht Wettbewerbe, sondern Zusammenarbeit, um unsere Probleme zu lösen. Da machen Teamsportarten vergleichsweise noch mehr Sinn. Aber die Formel 1? Da geht es doch nur um Profit. Die meisten Spitzensportarten, die mit viel Geld verbunden sind, haben aus meiner Sicht eine menschenverachtende Komponente, weil der Profit wichtiger geworden ist als das Sportliche und die beteiligten Sportler, die ihre Gesundheit und teils auch ihr Leben riskieren. Wenn sie die Leistung nicht mehr bringen, werden sie fallen gelassen; das verkraften viele psychisch nicht.

STANDARD: Ich könnte dagegenhalten, dass Sport viele Menschen unterhält. An Formel-1-Wochenenden sitzen viele Millionen Menschen vor ihren TV-Geräten und ziehen sich das rein. Das interessiert viele, man sieht es an den Quoten.

Kromp-Kolb: Jetzt könnte ich dagegenhalten, dass es auch im Kolosseum im antiken Rom gute Quoten gab. Die Arenen waren voll, wenn Menschen aufeinander- oder auch Tiere auf Menschen gehetzt wurden. Das waren natürlich andere Zeiten. Ich finde, Autorennen sind jetzt nicht mehr zeitgemäß. Man kann die Menschen auch sinnvoll unterhalten. Auch mit Sport. Aber angesichts der Situation, in der wir sind, stellt sich die Frage, mit welchem Sport. In einer vollen Welt mit vielen Menschen und wenigen Ressourcen geht nicht alles, was in einer leeren Welt mit wenigen Menschen und vielen Ressourcen geht.

STANDARD: Die Formel 1, fürchte ich, wird noch viele Jahre lang um den Globus fliegen und eher noch mehr Rennen veranstalten als weniger. Wie wollen Sie gegensteuern?

Kromp-Kolb: Es gibt bedeutendere Emittenten als Sportevents. Trotzdem muss Druck entstehen, besser von unten nach oben als von oben nach unten. Eine wichtige Rolle kommt da den Sportstars zu, den Protagonisten. Wenn sie ihre Stimme erheben, können sie viel bewegen.

STANDARD: Da fällt mir ein, dass die Formel 1 den Piloten vor kurzem quasi einen Maulkorb verpasst, ihnen verboten hat, sich politisch zu äußern.

Kromp-Kolb: Die Verträge der Sportler scheinen tief ins persönliche Leben einzugreifen. Ich halte das für sittenwidrig. Wenn Sportlerinnen und Sportler als Menschen gesehen werden, muss man ihnen Anschauungen zugestehen, die sie auch zum Ausdruck bringen dürfen. Man wird sehen, ob sich die Fahrer den Mund verbieten lassen. Immerhin gibt es im Skisport offenbar einen österreichischen Abfahrer, der 400 Unterschriften gesammelt hat, um sich beim internationalen Verband für Klimaschutz einzusetzen. Ich glaube, dass solche Aktionen etwas bewirken können.

STANDARD: Neben Julian Schütter, dem ÖSV-Abfahrer, gibt es auch das US-Team um Mikaela Shiffrin, auf dessen Rennanzügen abgebrochene Eisberge abgebildet sind. Dennoch lässt die Fis einen guten Teil des Trosses in diesem Winter nicht nur einmal, sondern zweimal zu Rennen nach Nordamerika fliegen. Und da schert niemand aus.

Kromp-Kolb: Wahrscheinlich müssten die Stars sich organisieren und es einmal darauf ankommen lassen und sagen, ohne uns. Und wenn ich höre, dass die übernächste Fußball-WM in Saudi-Arabien stattfinden soll, würde ich mir auch von den Fußballern wünschen, dass sie sich schon in der Planungsphase wehren.

STANDARD: Der Fußball-Weltverband Fifa hat die WM in Katar als die nachhaltigste Endrunde aller Zeiten bezeichnet. Und Johan Eliasch, Präsident der Fis, hat kürzlich geprahlt, die Fis sei der erste internationale Sportverband, der seit einem Jahr klimapositiv sei. Nicht nur klimaneutral, sondern klimapositiv.

Kromp-Kolb: Die Sportverbände wollen offenbar vermitteln, dass sie das Thema selbst angehen und sich eh bemühen. In Wirklichkeit reduzieren sie vielleicht da und dort ihre Emissionen ein bisserl, aber das reicht bei weitem nicht aus angesichts der Tatsache, dass wir unsere Emissionen in den nächsten zehn Jahren halbieren müssen – und zwar nicht durch Kompensation! Die Zeit ist ein ganz wesentlicher Faktor.

STANDARD: Was also tun?

Kromp-Kolb: Man könnte jedem Menschen eine bestimmte Menge an Ressourcen- oder CO2-Punkten zuteilen, die er nach seinem Dafürhalten einsetzen kann. Zum Beispiel für den Besuch eines Formel-1-Rennens. Wenn genug Menschen ihre Punkte für Formel-1-Rennen einsetzen wollen, können sie stattfinden. Wenn die Menschen lieber ein neues Smartphone kaufen oder mehr Fleisch essen, eben nicht. Verbieten oder Limitieren ist natürlich nicht der beste Weg. Mehr Bildung, mehr Bewusstsein dafür, was auf dem Spiel steht, Alternativen anbieten und Druck von unten aufbauen, damit die Menschen die Änderung wollen, nicht dazu gezwungen werden. Wobei – dass nicht längst schon Tempo 100 statt 130 auf Autobahnen gilt, ist wirklich unverständlich.

STANDARD: Das hat aber jetzt nicht mit der Formel 1 zu tun.

Kromp-Kolb: Ein wenig vielleicht doch. Die Formel 1 hat Vorbildwirkung und vermittelt, dass man "besser" ist, wenn man schneller fährt. Viele schwere Unfälle passieren, weil jemand sich selbst überschätzt oder beweisen will, dass er der Schnellere ist. Warum ist Tempo 100 sonst so emotional besetzt? Ohne Tachometer und Geräusche wüsste man ja nicht einmal, wie schnell man fährt. Tempo 100 hat für den Einzelnen praktisch keine Auswirkung – von Wien nach Salzburg verliert man ein paar Minuten. Aber die Leute fahren, was erlaubt ist. Daher hat der Staat eine Verpflichtung, so wie die großen Sportverbände Verpflichtungen haben.

STANDARD: Eine dieser großen Institutionen ist auch das Internationale Olympische Komitee. Die nächsten Olympischen Winterspiele finden 2026 in Cortina d'Ampezzo statt. Dort wollen sie nun einen neuen Eiskanal hinstellen, dessen Errichtung und Betrieb enorm aufwendig wäre. Dabei liegt der Eiskanal von Innsbruck-Igls nicht weit entfernt. Kann oder soll dieser Bau noch verhindert werden?

Kromp-Kolb: Ich kenne die Details nicht, aber mir scheint, dass die wichtigste Perspektive übersehen wird: die Ressourcenperspektive. Und damit meine ich nicht das Geld. Es ist die Aufgabe der Politik, Fehlentwicklungen zu verhindern. Die österreichische Regierung könnte zum Beispiel eine Arbeitsgruppe zum Thema Spitzensport und Klimawandel einrichten – Verbände, Sportler, Fanklubs und Wissenschafter könnten gemeinsam nach gangbaren Wegen suchen. Einem grünen Sportminister würde das gut anstehen. (Fritz Neumann, 2.3.2023)