Viele subsaharische Migranten leben unter ärmlichsten Bedingungen in Tunesien.

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Demonstrativ zieht der junge Mann vor der ivorischen Botschaft seine gültige Aufenthaltsgenehmigung und den Studentenausweis aus der Tasche: "Ich könnte bleiben, aber ich will nicht." Er fühle sich nicht mehr sicher in Tunesien. Daher hat er sich registriert, um von der Botschaft ausgeflogen zu werden, so wie rund fünfhundert weitere Landsleute. Einige harren seit Tagen dort aus, weil sie aus ihren Wohnungen geworfen wurden, darunter Familien mit kleinen Kindern.

Vor vier Jahren ist er zum Studium gekommen, erzählt der Mann. Ernsthafte Probleme habe er nie gehabt – bis letzte Woche, als Präsident Kais Saied nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats die Theorie eines Bevölkerungsaustauschs bemühte: Es gebe orchestrierte kriminelle Bestrebungen nicht näher genannter Gruppen, die Geld dafür erhielten, "die demografische Zusammensetzung Tunesiens zu verändern", so das Staatsoberhaupt. Durch eine Welle irregulärer Migranten solle das Land rein afrikanisch und seine muslimisch-arabische Identität ausgelöscht werden. Diesem Phänomen müsse ein Ende bereitet werden. Bereits in den Wochen und Monaten zuvor hatten rechtsnationalistische Gruppen in sozialen Netzwerken einen ähnlichen Diskurs propagiert.

Berichte über Angriffe

"Früher haben wir vielleicht in den Blicken der Leute gespürt, dass wir nicht willkommen waren", sagt der Mann, doch tätliche Übergriffe seien selten gewesen. Seit vergangener Woche mehren sich jedoch Berichte über Verhaftungen und Angriffe auf schwarze Personen. Migranten würden auf offener Straße mit Steinen beworfen, mit Messern angegriffen, ausgeraubt oder daran gehindert, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. "Ganz normale Leute haben mich auf der Straße angehalten und wollten meine Papiere sehen", erzählt der Student.

Zwar hatten Tunesiens Behörden nach scharfer Kritik unter anderem der Afrikanischen Union zurückgerudert und betont, dass die offiziell rund 21.000 im Land lebenden Migranten aus dem Afrika südlich der Sahara willkommen seien. Man wolle nur die irreguläre Migration eindämmen, die zuletzt sprunghaft zugenommen habe. Doch diese Äußerung kam für viele zu spät: Vor verschiedenen afrikanischen Botschaften und der Internationalen Organisation für Migration (OIM) warten seitdem teils hunderte Menschen, die Tunesien verlassen wollen. Guinea hat bereits ein Flugzeug gechartert und den Außenminister persönlich nach Tunis geschickt, um die Rückreise zu überwachen. Die Regierung der Elfenbeinküste hat angekündigt, eine Milliarde CFA-Franc, rund 1,5 Millionen Euro, für eine freiwillige Ausreise ihrer Staatsbürger bereitzustellen.

Schwierige Wirtschaftslage

In der sich stetig verschärfenden Wirtschaftskrise finden die Theorien des Präsidenten in der tunesischen Bevölkerung Widerhall. Migranten nähmen Tunesiern die raren Arbeitsplätze weg und seien für steigende Kriminalität verantwortlich, ist immer wieder zu hören. Für die Migrationskrise sei neben Tunesien aber auch die EU verantwortlich, die ihre Außengrenzen auslagere und Migranten in Drittstaaten zurückschicke, sagt Alaa Talbi von der Bürgerrechtsorganisation Forum für wirtschaftliche und gesellschaftliche Rechte. "Es kann nicht sein, dass die Migranten die Rechnung dafür zahlen sollen – das ist eine Schande für Tunesien und seine Demokratie." (Sarah Mersch aus Tunis, 3.3.3023)