Für den SPÖ-Nationalratsabgeordneten Max Lercher hat seine Partei bei vielen Wählerinnen und Wählern die Glaubwürdigkeit verloren. Wie man diese wieder zurückgewinnen kann, beschreibt er in seinem Gastkommentar.

Wird die rote Nelke erblühen oder verdorren? Die SPÖ ist in internen Debatten über die Parteispitze gefangen. Jetzt kommt die Kärnten-Wahl.
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Wenn jemand etwas verspricht, dann sind viele bereit, erst einmal zu vertrauen. Wird das Versprechen nicht eingehalten, schwindet das Vertrauen. Wenn man Versprechen bricht und dann erklärt, der andere hätte etwas falsch gemacht, ist nicht nur das Vertrauen weg, man ist auch zusehends genervt. In dieser Situation ist die Sozialdemokratie. Zu lange wurden Versprechen nicht oder nur teilweise gehalten. Zu oft war sie oberlehrerhaft dabei, zu erklären, wie es besser geht. Zu Recht können das viele nicht mehr hören.

Der Weg zurück zur Glaubwürdigkeit ist kein leichter. Das sieht man schon daran, dass kein österreichisches, sondern ein europaweites Problem vorliegt. Im Bund und in vielen Bundesländern hat die Sozialdemokratie in Opposition auch gar keine Möglichkeit, viel umzusetzen. Das Besserwisserische wird so automatisch stärker. Weil die Opposition zwar sagen kann, wie es anders geht, aber es nicht umsetzen kann. Und im Zuspitzen ist die Sozialdemokratie leider nicht so stark wie im Belehren.

Eindeutige Position

Es gibt aber auch positive Entwicklungen: In Kärnten und Salzburg zeigt die SPÖ gerade viel Positives. Außerdem mangelt es der SPÖ nicht an den richtigen Inhalten. Im Gegenteil, viele Fehler der Vergangenheit, wie der Irrweg des Wirtschaftsliberalismus, wurden in den letzten Jahren über Bord geworfen. Das reicht aber nicht, denn es mangelt uns an Glaubwürdigkeit. Wie kann es sonst sein, dass die Teuerung momentan das wichtigste Thema ist und die Sozialdemokratie dennoch stagniert? Interne Streitigkeiten? Falsche Plakate? Mag alles sein. Es gibt tieferliegende Gründe:

· Parteirealität und Wirklichkeit In unserer Partei hat sich eine Kultur entwickelt, die zur Beruhigung von Funktionärinnen und Funktionären dient, aber nicht zur Formulierung dringender Bedürfnisse der Bevölkerung. Man sieht das im direkten Vergleich mit der kommunalen Ebene. Bei Bürgermeisterparteien wird in Gremien über Bürgeranliegen gesprochen, in anderen Gremien viel zu oft über Machterhalt.

Auch beim Thema Migration sieht man das Problem: Grundsätzlich ist die Position beschlossen und klar – in der Tonalität nach außen bleibt davon aber leider nichts übrig. Mit dem Hauptthema Migration wird die SPÖ auch keine Wahlen gewinnen. Es braucht aber eine klare und eindeutige Position, um von vielen Teilen der Gesellschaft überhaupt noch gehört zu werden. Die Sozialdemokratie ist in einer Situation, wo es selbst bei den grundlegendsten Fragen eine Linie gibt, die in tausend Varianten interpretiert werden kann. Womit wir beim nächsten Problem wären.

· Wirtschafts- oder Gesellschaftspolitik Reden und Tun greifen in der Sozialdemokratie immer schlechter ineinander. Neben den Ebenen, die direkt gestalten, gibt es ein Vereinsleben, das immer weniger mit der gestaltenden Ebene zu tun hat. Aus Mangel an Interesse von oben und aus mangelnder Möglichkeit zum inhaltlichen Streit entsteht ein bunter Blumenstrauß von Partikularinteressen. Diese werden mit Leidenschaft, aber ohne Durchsetzungsperspektive verfolgt. In der Bevölkerung verfestigt sich der Eindruck einer Partei, die sich mit allem und nichts auseinandersetzt und bei den brennendsten Themen zu zögerlich und unklar agiert.

Wann, wenn nicht jetzt ist Vermögensungleichheit das bestimmende Thema? Dass ganz normale Menschen ärmer werden, egal wie sehr sie sich bemühen, während Reiche auch leistungslos reicher werden? Welche Partei macht hier das neue Wohlstandsversprechen und beendet diesen Unsinn? Wie es die Gewerkschaft richtig sagt: "Ohne Kampf kein Fortschritt", und dieses Bemühen will man von uns sehen. Für mich ist das nicht primär ein Gegensatz zwischen Stadt und Land, Identitäts- und klassischer linker Politik, Wien und den Ländern. Sondern der Unterschied zwischen einer Funktionärspartei, in der jeder in seinem Garten macht, was er oder sie will, und einer Partei mit einer starken inhaltlichen Klammer, in deren Dienst sich alle stellen müssen. Also eine Trennlinie zwischen Idealismus und Opportunismus.

· Gestalten oder verwalten Verwaltung und Gestaltung sind überhaupt ein Grundproblem. Da die SPÖ schon lange in Teilen unseres Landes Verantwortung trägt, wird genau darauf geachtet, ob wir bereit sind, uns und das System zu verändern. Wir sind perfekte Verwalter, die aber die Spielregeln oft nicht mehr hinterfragen. Jetzt geht es darum, Regeln zu ändern. Man merkt auch am Echo aus der Bevölkerung, dass wir hier Schwierigkeiten haben. Dass zwischen verbaler Radikalität und der Wirklichkeit eine Kluft klafft.

· Elite oder Systemwandel All zu gerne wird von Staatsräson gesprochen, wenn unpopuläre Maßnahmen mitgetragen werden. Was Staatsräson ist, wird nicht mehr diskutiert. Der Eindruck verfestigt sich, dass die SPÖ Teil einer veränderungsresistenten Elite ist und nicht aufseiten des Wandels für die Bevölkerung steht. Wir brauchen deshalb eine neue Kultur der Normalität, die normale Leute und deren Lebensrealität in den Mittelpunkt unserer Bewegung stellt. Dafür benötigen wir eine bewusste Entscheidung, Wählerinnen und Wähler, die heute gar nicht, blau oder schwarz wählen, anzusprechen, um den rechten Block zu schwächen und für diese Wählergruppen etwas zu erreichen. Es ist unsere Verantwortung, hier ein besseres Angebot zu machen. Das bedeutet für mich Staatsräson.

Die SPÖ ist die einzige politische Partei, die bereit ist, in das System einzugreifen und es zu verändern. Die FPÖ würde es wegen ihrer Burschenschafterelite nie machen, die ÖVP ist das geronnene System, und die Kleinparteien stellen den Anspruch gar nicht. Es trotzdem nicht oder nur halbherzig zu tun, beraubt uns unserer Identität und unseres stärksten Wahlmotivs.

Inhaltliches Fundament

In der Sozialdemokratie braucht es die Entscheidung für ein inhaltliches Fundament. So wie damals beim Einheitsparteitag in Hainfeld. Damit verbunden sind auch Konsequenzen für Teile unserer Bewegung, die für den sozialen Fortschritt nicht mitstreiten wollen. Es gibt viele andere Parteien und Vereine und keine Notwendigkeit, dass sich alle unter dem Dach der Sozialdemokratie finden.

In den nächsten Jahren wird die entscheidende Frage in Österreich sein, welche politische Kraft die stärkste Glaubwürdigkeit für die einfachen Leute entwickelt und wieder ein System für ihre Bedürfnisse baut. Dazu braucht es Empathie, harte Entscheidungen und Mut. Aber auch eine neue Fehlerkultur. Denn überall passieren Fehler, vor allem bei großen Fragen.

Offene Fehlerkultur

Deswegen ist eine offene Fehlerkultur so wichtig. Man muss Fehler zugeben, um neue Glaubwürdigkeit zu schaffen. Aufbauend auf diese Fehlerkultur müssen wir die Menschen in den Mittelpunkt stellen und wieder stärker in unsere Strukturen holen. Und ja, da sind sicher nicht alle dabei. Dafür wird die SPÖ wieder attraktiver für viele, die uns den Rücken zugewandt haben. Aus meiner Sicht ist das ein Erfolgsprojekt. Die Verwaltung des Status quo und das Zusehen, wie wir demografisch langsam aussterben, ist keines. (Max Lercher, 3.3.2023)