Schwangerschaft als menschliche Erfahrung ging durch die Dominanz von Männerliteratur unter.

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Glückwünsche an Schwangere sind an der Tagesordnung. Sie sind gut gemeint – und doch heikel. Denn "es kann noch so viel passieren". Dieser Satz kommt meist von den Schwangeren selbst. Kann es. Im ersten Trimester gibt es häufig Fehlgeburten, worüber wenig geredet wird. Und – ebenfalls in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten – sind Schwangerschaftsabbrüche in Österreich, Deutschland und vielen anderen Ländern, straffrei. Passieren kann also auch, dass sich eine Frau gegen die Schwangerschaft entscheidet. Darüber wird noch weniger geredet. "Glückwünsche" gibt es dann meist nicht. Außer man gerät an eine Ärztin, wie sie Charlie hatte, die ihr, kurz nachdem sie aus der Vollnarkose nach einer Abtreibung aufwacht, entgegenstrahlt und sagt "Glückwunsch, Sie sind nicht mehr schwanger."

Glückwunsch ist auch der Titel eines Sammelbandes mit 15 Erzählungen über Abtreibung, den Charlotte Gneuß und Laura Weber herausgegeben haben. Damit geben sie anhand literarischer Texte Ungewöhnlichem und Unausgesprochenem rund um ungewollte Schwangerschaften quer durch die Jahrhunderte Raum. Doch es stimmt nicht ganz: Es wird durchaus über Schwangerschaftsabbrüche gesprochen. Zuletzt sogar viel, doch vor allem in einem politischen Kontext. Es geht um den Zugang zu Abtreibung, die Versorgungslage für ungewollt Schwangere, kürzlich wurde auch viel über neue gesetzliche Restriktionen und De-facto-Verbote wie etwa in Polen geschrieben und gesprochen. Eine Schwangerschaft darf dort nur abgebrochen werden, wenn sie die Folge einer Vergewaltigung war, bei Inzest oder wenn Lebensgefahr für Schwangere besteht.

Gefährliche Gesetze

Diese letzte Ausnahme ist für Frauen gefährlich. Seit 2021 sind in Polen auch bei einer schweren Fehlbildung des Fötus Abtreibungen untersagt. Erst im Dezember starb eine 37-Jährige, die im ersten Trimester mit Zwillingen schwanger war. Sie kam mit starken Bauchschmerzen und Erbrechen ins Spital. Ein Fötus war abgestorben, die Ärztinnen und Ärzte haben ihn nicht entfernt – und beriefen sich auf die geltenden Abtreibungsgesetze. Die Frau starb. Nicht zu vergessen die USA, wo das Grundsatzurteil für das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch 2022 vom Obersten Gerichtshof gekippt wurde.

Doch abseits von drastischen Gesetzen mit gefährlichen bis tödlichen Konsequenzen für Frauen wird kaum darüber geredet. Es fehlen die vielen persönlichen, die alltäglichen Geschichten. "Die Sprachlosigkeit erzeugt eine Leerstelle in der Gesellschaft – und in der Literatur", schreiben Charlotte Gneuß und Laura Weber in ihrer Einleitung. Abtreibung ist eine grundlegende menschliche Erfahrung und gehöre zum Kanon moralischer Kernfragen, schreiben sie weiter. Doch Frauen haben erst seit wenigen Jahrzehnten in der Literatur eine Stimme, und erst seit kurzem wurden sie lauter. Trotzdem halten sich die Lebenswelten von Männern bis heute wacker als universelle Erzählung, während es noch immer gelingt, Erfahrungen von Frauen als "special interest" darzustellen – Stichwort "Frauenliteratur".

Das Ereignis von Annie Ernaux ist derzeit wohl die bekannteste literarische autobiografische Erzählung über eine, ihre, Abtreibung. Erzähle sie darüber nicht, schreibt Ernaux, trage sie dazu bei, die Lebenswirklichkeit von Frauen zu verschleiern und somit diese komplexe Erfahrung "zwischen Leben und Tod, von Zeit, von Moral und Tabu, von Gesetz, eine ganz und gar körperliche Erfahrung", schreibt die Literaturnobelpreisträgerin. Genau dieser Komplexität will die Auswahl der Erzählungen in Glückwunsch gerecht werden.

Einfach nur seltsam

Die österreichische Schriftstellerin Monika Helfer schreibt in ihrem kurzen Text über Vicki und Karin. Vicki ist vor Glückseligkeit über ihre Schwangerschaft für andere kaum wiederzuerkennen. Als sie im siebten Monat eine Fehlgeburt erleidet, bricht eine Welt für sie zusammen, sie wird "seltsam", schreibt Helfer trocken.

Seltsam wird auch das Verhältnis Vickis zu Karin, die im selben Haus lebt. Auch Karin ist schwanger, sie weiß nicht, wer der Vater ist – und klar ist für Karin auch, dass sie das Kind nicht bekommen wird, wie sie Vicki kurz nach deren Fehlgeburt völlig empathiebefreit erzählt. Zwei Buchseiten, und fertig. Die Handlungsfreiheit der einen treibt die andere in den Wahnsinn – mehr bleibt vielleicht tatsächlich nicht zu sagen.

Falscher Rat

Die Entscheidungen, egal ob sie schnell und klar ausfallen wie bei Karin oder ob es ein langes Hadern ist, vielleicht sogar immer ein Hadern bleibt, sind der Kern vieler Erzählungen in Glückwunsch. Und wo Entscheidungen nötig sind, sind Ratschläge nicht weit – und die können auch jene ein Leben lang verfolgen, die sie erteilen. Daniel Schreiber erzählt in seiner klugen Erzählung Geister von der Rolle guter Freunde und Freundinnen in schwierigen Entscheidungsprozessen und von schlampig gefällten Urteilen. Von Urteilen darüber, wer die Frau, die hin und her überlegt, sei. Oder noch kühner: wer sie in ein paar Jahren sein könnte, was sie dann womöglich bereuen könnte. Jahre später sieht Noam seine damalige enge Freundin Ela aber völlig anders, er sieht, dass er sie eben nicht gesehen hat. Dass er ihrer eigenen Selbsteinschätzung und jener ihrer Zukunft nicht getraut hat, nicht zugehört hat, was ihre Sorgen sind, wenn sie noch ein zweites Kind bekommen sollte. Es war ein falscher Rat, denkt er viele Jahre später. Und dennoch ist es einer, für den ihm seine damalige enge Freundin dankte, doch da war die Freundschaft längst nicht mehr zu retten.

Charlotte Gneuß, Laura Weber, "Glückwunsch: 15 Erzählungen über Abtreibung". € 24,50 / 208 Seiten. Hanser-Verlag, 2023.
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Puzzleteil für Bilderbuchleben

Neben Freundschaften gehen in den Erzählungen freilich auch Beziehungen in die Brüche. Weil die Protagonistin keine Mutter sein will und spürt, dass das Umsorgen des Partners mit den ersten Schwangerschaftswochen nicht ihr, sondern einzig diesem dominanten Bild von Familie gelten, dass sie plötzlich nur noch ein Puzzleteil für ein Bilderbuchleben mit Kind ist.

Und dann sind da noch diese Erzählungen über die "ganz und gar körperliche Erfahrung". Die eine legt diese in die Hände eines arg esoterisch angehauchten Rituals: eine Ärztin, Yogamatten und andere ungewollt Schwangere. Welche Pillen da genau verteilt werden, erfährt die Leserin nicht – aber es ist ein würdeloses Schauspiel, an dessen Ende eine Erwachsenenwindel steht. Besser läuft es bei der bereits erwähnten Charlie mit ihrer fröhlichen Anästhesistin.

Eine ganz andere Geschichte erzählt wiederum Emilia Roig, eine über Schwangerschaften während des Sklavenhandels. Mit dem Kind einer Sklavin ging die Kalkulation von Sklavenhaltern auf, die Zahl an Sklaven und Sklavinnen zu erhören – ganz ohne zusätzliche Kosten.

Dimensionen von Entscheidungen

Und wieder zeigt das Buch, wie viele Dimensionen die Entscheidungen über eine Schwangerschaft haben. Roig liefert damit auch eine Erklärung, warum die Kontrolle über Schwangerschaften für Herrschende immer derart wichtig war und bis heute ist. Mit der Autonomie über ihren Körper halten Schwangere nichts Geringeres als die Macht über die Existenz einer Gesellschaft in der Hand oder über ein brutales Herrschaftsregime. So übten Sklavinnen mit Abtreibungen Widerstand gegen Sklavenhalter, indem sie ihnen keine weitere Existenz überlassen, derer sie sich bemächtigen könnten. Die Sklavinnen brachen Schwangerschaften ab und töten im schlimmsten Fall ihre eigenen Kinder.

Erschütternde Geschichten stehen neben absurd komischen. Sexualisierte Gewalt gegen Frauen neben ihrer noch jungen Möglichkeit zur sexuellen Selbstbestimmung. Nicht verändert hat sich aber das Schwanger-werden-Können, mit all seinen Facetten. Die Übermacht an Männerliteratur hat den Blick darauf verstellt. Bis jetzt. (Beate Hausbichler, 4.3.2023)