Gertraud Klemm, Anna Maria Stadler und Mareike Fallwickl (von links) gehören zwar unterschiedlichen Generationen an, sind sich aber einig, dass sich im Literaturbetrieb und auch sonst noch immer keine goldenen Zeiten für Frauen abzeichnen.

Foto: Bernd Alfanz, Lukas Gwechenberger, Gyöngyi Tasi

Im neuen Buch der österreichischen Autorin Gertraud Klemm, Einzeller, schlagen sich unterschiedliche Generationen von Feministinnen ideologiebedingt die Köpfe ein. Auch in Mareike Fallwickls erfolgreichem Roman Die Wut, die bleibt, der 2022 erschienen ist, geht es um Unterschiede zwischen Generationen: Im Zentrum steht eine Frau, die plötzlich die Mutterrolle für ein junges, radikales Teenagermädchen übernimmt, was zu Konflikten, aber auch Erkenntnissen führt. In Anna Maria Stadlers Debütroman Maremma über einen gemeinsamen Urlaub von Kindheitsfreunden und -freundinnen spielen Fragen um Care-Arbeit, Mutterschaft und weibliche Identität eine Rolle.

Nicht etwa, um zu "spalten, spalten, spalten", wie Klemm es bei feministischen Diskursen in den sozialen Medien beobachtet, haben wir die drei Autorinnen aus unterschiedlichen Generationen befragt, sondern um gemeinsam über den Status quo feministischer Literatur zu sprechen, über alte Probleme, unter denen Frauen noch immer leiden, über Kapitalismus und den Markt, Schmuddelecken, "Menstruationsprosa" und Diversität.

Anna Maria Stadler: "Ich halte die Frage der Mutterschaft und Care-Arbeit immer noch für eine der zentralen feministischen Fragen. Wenn man das dann zusammen mit künstlerischer Arbeit denkt, dann verbindet beide auch oft eine mangelnde gesellschaftliche Anerkennung."
Foto: Bernd Alfanz, Lukas Gwechenberger, Gyöngyi Tasi

STANDARD: Sehen Sie sich als feministische Autorinnen – und was bedeutet das für Sie?

Klemm: Einen feministischen Roman zu schreiben heißt, dem patriarchalen Markt auf die Füße zu treten. Es ist aber merklich sehr viel weitergegangen, gerade in der Literatur, auch in der Kunst oder im Journalismus. Das war am Anfang der Nullerjahre, als mein Debüt erschienen ist, noch ganz anders. Da war feministische Literatur außer ein paar Klassikern von Pionierinnen Kassengift und lag in einer Buchhandlung im Schmuddeleck.

Fallwickl: Verlage verstehen mittlerweile, dass diese Themen relevant und interessant sind, weil sich Geld mit feministischer Literatur machen lässt. Verlage funktionieren nun einmal kapitalistisch. "Feministische Autorin" ist eine Zuschreibung, die von außen kommt und die, wie Gertraud sagt, in erster Linie mit der Schubladisierung und Kategorisierung, die der Markt vornimmt, zu tun hat. Ich bin nicht eines Tages aufgewacht und hab mir gedacht: "So, jetzt setze ich mich hier hin und schreibe einen feministischen, empowernden Roman." Nein, ich wollte eine gute Geschichte erzählen! Aber "feministische Autorin" ist ein Label, mit dem ich sehr gut leben kann, weil ich mich damit identifiziere, für Feminismus und Gleichberechtigung einzustehen.

STANDARD: Frau Stadler, die Bücher der Kolleginnen sind feministisch in dem Sinne, dass sie verschiedene Feminismen selbst verhandeln. Bei Ihnen ist das nicht explizit der Fall. Würden Sie "Maremma" als feministisches Buch bezeichnen?

Stadler: Ich erlebe mich als Feministin, was mich – denke ich – auch zu einer feministischen Autorin macht, weil das nicht trennbar ist. Ich habe natürlich feministische Intentionen in mein Buch reingelegt, aber ob es dann auch feministisch gelesen wird, ist etwas, was dann erst im Diskurs darüber sichtbar werden wird.

STANDARD: Vor dem Begriff der "feministischen Literatur" gab es ja den meist pejorativ verwendeten Begriff der "Frauenliteratur".

Klemm: Es gab durchaus früh kanonisierte "Frauenliteratur" wie die einer Bachmann, also Literatur, die man als Mann eh auch besprechen und lesen kann. Gleichzeitig gab es aber halt auch das ...

Fallwickl: ... was "Menstruationsprosa" genannt wurde ...

Klemm: ... also Texte, in denen es dann um den weiblichen Körper abseits des Objektstatus ging, um Tabus. Diese wurde von Größen wie Reich-Ranicki als Zumutung empfunden, die Themen nicht als literaturwürdig. Ich bin zu einer Zeit in die Literaturszene eingestiegen, wo das definitiv so war. Und es wird auch immer wieder versucht, diese Themen aus der Literatur draußen zu halten. Ich habe 2014 beim Bachmannpreis noch Schläge für meinen Text über ein Schreibaby bekommen. Für manche in der Jury war das keine Literatur, sondern Frauenzeitschrift-Aufschrei-Befreiungsprosa. Aber die Frauen im Publikum sind aufgestanden und haben applaudiert. Und das war ein Schlüsselmoment. Da wusste ich: Das Interesse ist da, die Verlage hinken hinterher, weil dort eben keine Frauen in Machtpositionen sitzen.

"Maremma", € 23,– / 224 Seiten. Jung und Jung, Salzburg 2022

STANDARD: Frau Stadler, Ihr Debüt ist im Vorjahr erschienen, also zu einem Zeitpunkt, zu dem man meinen möchte, diese Diskussionen gehören der Vergangenheit an. Ist es so?

Stadler: Aktuell bemühen sich Verlage um ein diverseres Programm, Instagram-Accounts oder Buchhandlungen legen den Fokus auf diese Themen. Man spürt den Aufbruch, aber es liegt halt schon noch viel im Argen. Wenn ich es mit dem Diskurs im bildenden Bereich vergleiche, dann kommt mir der Literaturbetrieb schon an vielen Ecken viel verstaubter vor, was Diversität betrifft, aber auch was so etwas wie Leseformate betrifft. Meine Position ist natürlich viel bequemer, als wenn ich vor 50 Jahren oder vor 20 Jahren eingestiegen wäre.

Fallwickl: "Bemühen" – das trifft es gut. Aber Bemühen ist einfach nicht genug. Jo Lendle, der Verleger bei Carl Hanser, hat im Gespräch mit Nicole Seifert im Radio gesagt, dass von den 22 Titeln in seinem Frühjahrsprogramm 2023 14 von Männern und acht von Frauen stammen. Woraufhin der Moderator meinte: "Na bitte, das ist doch fast die Hälfte." Bitte, es ist nicht die Hälfte!

Stadler: Auch die Fragen, die bei Lesungen gestellt werden, finde ich teilweise seltsam. Indiskrete, persönliche Fragen, wo oftmals vom Roman auf die eigene Biografie rückgeschlossen wird.

Fallwickl: Bei mir ist es jetzt das erste Buch, bei dem ich nicht mehr gefragt werde, "wo sind denn Ihre Kinder gerade", wenn ich eine Lesung habe.

STANDARD: Nach den Kindern frage ich jetzt auch, aber nicht nach Ihren eigenen. So maximal unterschiedlich Ihre drei Bücher auch sind, mindestens zwei Themen ziehen sich durch alle drei, ist mir aufgefallen: Care-Arbeit und Mutterschaft. Warum?

Klemm: Weil das meiner Meinung nach die wahren Stolpersteine des Feminismus sind. Der politische Feminismus hat die Rechnung ohne das Private gemacht. Also das Patriarchat kann sich darauf verlassen, dass wenn immer eine alte Person oder ein Kind umfällt, eine Frau herbeieilen wird, die behilflich ist. Der Kosmos der Pflege, sagt Marlene Streeruwitz, sollte eigentlich im Mittelpunkt unserer Gesellschaft stehen. Wie wir miteinander, mit unseren Kindern, mit den Müttern und mit den Alten umgehen – darum herum sollte eine Gesellschaft organisiert sein. Sie ist aber darum herum organisiert, wie wir das Geld verdienen, wie die Autos fahren, wie die Straßen gebaut werden und so weiter. Wenn wir nicht dieses Zentrum des Lebens vom Geld auf den Menschen verschieben, werden wir das Patriarchat nicht wegkriegen. Und deswegen ist auch jede vernünftige feministische Kritik in Wirklichkeit eine Kapitalismuskritik. Davon bin ich überzeugt.

Gertraud Klemm: "Der Feminismus in sozialen Medien hat viel mit dem Christentum gemeinsam: Glaubensbekenntnisse runterbeten, Mantras aufsagen, Schuldgefühle haben."
Foto: Bernd Alfanz, Lukas Gwechenberger, Gyöngyi Tasi

Stadler: Ich halte auch die Frage der Mutterschaft und Care-Arbeit für eine der zentralen feministischen Fragen. Immer noch. Wenn man das dann zusammen mit künstlerischer Arbeit denkt, dann verbindet beide auch oft eine mangelnde gesellschaftliche Anerkennung. Eine Freundin, die künstlerisch arbeitet und ein Kind hat, beschreibt das sehr treffend als "prekäre Gleichzeitigkeit".

Fallwickl: Sorgearbeit ist dermaßen unsichtbar in unserer Gesellschaft und gleichzeitig aber ein riesiger Wirtschaftsfaktor. Allein die unbezahlte Arbeit, die Frauen in der Pandemie in Österreich erledigt haben, wäre 108 Milliarden Euro wert gewesen.

Klemm: Dass es in der Pandemie keinen Aufstand gegeben hat, wo es die Politiker, die Mütter, aber auch die Väter so klar gesehen haben, dass das alles nicht funktioniert, ist der größte Skandal. Mit so einer Gesellschaft lässt sich keine Revolution machen!

STANDARD: Frau Klemm, in Ihrem Buch stellen Sie die Gräben zwischen Altfeministinnen der Marke Schwarzer und der jungen intersektionalen Generation als fast unüberbrückbar dar. Gießen Sie damit nicht nur Öl ins Feuer einer ohnehin überhitzten Diskussion?

Klemm: Ich wollte eigentlich einen revolutionären Roman schreiben, das hat aber nicht funktioniert. Vielleicht war auch Corona dran schuld, dass ich in so eine große feministische Depression gestürzt bin und meinen Roman zu einer Art Frontberichterstattung aus dem Krieg zwischen den Generationen geworden ist. Ich will nicht Öl ins Feuer gießen, sondern das Thema ansprechen und auch in der Überzeichnung über eine Versöhnung nachdenken lassen. Es ist natürlich eine Polemik, das ist mir klar. Aber ich finde es grundsätzlich nicht schlecht, Polemiken zu schreiben. Das "Spalten, Spalten, Spalten" sehe ich gerade bei den Generationen. Letztes Jahr am Frauentag sind die Frauen nicht gemeinsam marschiert. Die Flintas sind dort marschiert, die Radikalfeministinnen sind da marschiert. Das kann es ja auch nicht sein. Wir haben eh viel zu wenige, die sich als Feministinnen deklarieren, und die streiten dann noch, das tut mir wirklich weh.

Einzeller, (€ 24,– / 312 Seiten, Kremayr & Scheriau, Wien 2023)

STANDARD: Können Sie den Forderungen der jüngeren Generation denn so gar nichts abgewinnen?

Klemm: Ich finde die Idee des intersektionalen Feminismus großartig. Aber ich sehe in den sozialen Medien, dass es immer zwei Lager gibt. Zum Beispiel beim Thema Sexarbeit. Die einen sagen, Sexarbeit ist Arbeit, die anderen sagen, Prostitution ist Folter – und diese Lager reden nicht miteinander. Soziale Medien sind Korridore, die nun kompakte Wahrheiten vertragen. Alles andere bewegt sich da drinnen nicht. Der Feminismus in sozialen Medien hat dahingehend sehr viel mit dem Christentum gemeinsam hat: Glaubensbekenntnisse runterbeten, Mantras aufsagen und Schuldgefühle haben. Es gibt aber nicht nur eine Wahrheit.

Stadler: Ich halte es schon für sinnvoll, dass der Kreis quasi weiter gezogen wird. So wie in der zweiten Welle des Feminismus die Klassenfragen dazugekommen sind, werden jetzt weitere unterschiedliche Bedingtheiten und unterschiedliche Ausschlüsse bedacht. Warum sollte man gerade jetzt aufhören?

STANDARD: Frau Fallwickl, auch in Ihrem Buch geht es um unterschiedliche Generationen und Bilder vom Frausein, die aufeinanderprallen. Allerdings lernt die ungefähr 40-jährige Sarah deutlich mehr vom Teenager Lola als umgekehrt. Was lässt sich von der jüngeren Generation lernen?

Mareike Fallwickl: "Ich war an Schulen unterwegs und war jedes Mal verblüfft darüber, wie viel diese jungen Frauen bereits wissen. Als ich 17 war, wusste ich nicht, was Androzentrismus oder ein Male Gaze ist."
Foto: Bernd Alfanz, Lukas Gwechenberger, Gyöngyi Tasi

Fallwickl: Nichts an diesem Buch ist subtil. Sarah steht für einen Frauentyp meiner Generation, der sich in den Neunzigern hat einlullen lassen von diesem postfeministischen "Jetzt haben wir doch eh alles erreicht" und es sich im Patriarchat gemütlich gemacht hat. Sarah hat im Gegensatz zur jungen Lola, die ab Seite eins zornig ist, noch gar nicht erkannt, dass sie wütend sein darf und soll. Tatsächlich haben mich echte junge Frauen inspiriert, die ich kennengelernt habe, als ich mit meinem zweiten Buch, in dem es um sexualisierte Gewalt geht, an Schulen unterwegs war. Jedes Mal war ich verblüfft darüber, dass die alles wissen, was ich weiß, aber 20 Jahre jünger sind. Als ich 17 war, wusste ich nicht, was Androzentrismus oder ein Male Gaze ist. Die haben auch zu mir so Sachen gesagt wie: "Wenn die Gesellschaft so ist und bleibt, wie sie ist, dann werden wir keine Kinder kriegen." Punkt. Und ich bin dann raus und wusste: Ich will über so eine junge Frau schreiben, die alles macht, was wir nicht wollen, dass junge Frauen machen: die Raum einnimmt, die aufmüpfig ist und wütend.

STANDARD: Ich habe auch den Eindruck, dass die sehr junge Generation wirklich viel Ahnung hat. Die Frage ist: Wird nicht vor allem viel geredet – vor allem in sozialen Medien – und dann aber doch recht wenig demonstriert und erreicht?

Stadler: Ich habe auch oft Angst, dass es nur diskursive Oberflächen sind, aber das Wissen, das diese jungen Menschen tagtäglich in ihrem Leben einflechten, verändert ja wirklich etwas. Ich habe zwei Jahre lang unterrichtet, und da war es völliger Usus, dass Mädchen andere Mädchen fragen: "Hast du einen Freund oder eine Freundin?" In meiner Schulzeit gab es das nicht.

Die Wut, die bleibt, (€ 22,95 / 384 Seiten, Rowohlt, Berlin 2022)
Foto: Verlag

STANDARD: Wenn wir schon bei Sprache sind – und damit ja dann auch schnell bei Schrift: Wie haben Sie es in Ihren Büchern mit dem Gendern gehalten – und warum haben Sie sich für die jeweilige Variante entschieden?

Fallwickl: Bei mir sieht man den vorher angesprochenen Generationenkonflikt auch in der Schrift. Sarah verwendet das generische Maskulinum, Lola gendert – dafür habe ich mich für eine Variante mit einem Punkt in der Mitte des Wortes entschieden.

Klemm: In meinem jetzigen Roman habe ich auch die ältere Protagonistin anders sprechen lassen als die jüngere. Die gehen sich gegenseitig ziemlich auf den Wecker mit dem alten oder neuen Sprechen. Was ich auch eine schöne Abbildung der Realität finde, wenn ganz einfach diese beiden Welten aufeinanderprallen. Wenn ich einen Artikel schreibe, schreibe ich Politiker oder Machthaber, weil es eben mehr Männer sind. Wenn ich über Alleinerziehende schreibe, dann schreibe ich Alleinerzieherinnen. Ich habe das Bedürfnis, diese Mehrheitsverhältnisse sprachlich abzubilden.

Stadler: Ich habe im Buch meistens Begriffe verwendet, die alle mit einschließen. Also "die Schwimmenden" statt "die Schwimmer". Und dann habe ich ein paar Stellen drinnen, bei denen das nicht ging, wo ich dann "Freundinnen und Freunde" schreibe. Ich bin mir natürlich dessen bewusst, dass ich damit eine Gruppe ausschließe, die ich nicht ausschließen möchte. In anderen Textsorten gendere ich konsequent mit dem Doppelpunkt. Für mich ist es ein offenes Fragezeichen, und ich denke viel darüber nach, wie ich es in Zukunft in meiner Literatur machen werde. Oft wird ja argumentiert, bei Literatur seien Sprache und Lesefluss so wichtig. Aber wenn die Sprache so besonders wichtig ist, dann müssten wir eigentlich besonders aufmerksam damit umgehen. (Amira Ben Saoud, 4.3.2023)