Der Fokus auf das Aussehen und die Darstellung des Selbst ist derart Alltag geworden, dass er kaum noch auffällt.

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Mit einem neuen Beauty-Filter der Videoplattform Tiktok wurde nun für viele eine Grenze überschritten. Obwohl es Filter für digitale soziale Plattformen en masse gibt, ist es jetzt dieser eine, über den zahllose User nun schockiert sind. Zu Recht, denn was der "Bold Glamour"-Effekt aus Gesichtern macht, ist schlichtweg absurd und hat mit dem echten Antlitz der User kaum was zu tun. Sicher, was ein Make-up laut einer Werbung an einem Model kann, das hat mit dem tatsächlichen Ergebnis auf der eigenen Haut ebenfalls wenig gemein. Besonders fies an dem "Bold Glamour"-Filter ist nun aber, dass die Perfektion an das eigene Gesicht angewandt wird, dass er das reale Aussehen als Basis für etwas "Besseres" nimmt. So könnten Sie aussehen – und das ist vor allem für junge Frauen gefährlich. Von den Nutzer:innen wurde auch beobachtet: Wenn das Programm Gesichter als männlich interpretiert, wird etwas weniger drüberpoliert.

Immer schon unerreichbar

Die jetzige breite Empörung zeigt aber auch noch etwas anderes: Wie sehr es in den vergangenen Jahren verabsäumt wurde, Schönheitsidealen die Stirn zu bieten. Das hat fraglos mit einer mächtigen Schönheits- und Kosmetikindustrie zu tun. Es lässt sich einfach zu viel Geld damit verdienen, unerreichbare Ideale in die Welt zu setzen, an die man sich vergebens abarbeiten kann. Und bevor, vor allem Männer, jetzt einwenden: Na dann lasst es halt, sollte bitteschön in Erinnerung gerufen werden, welche Kommentare Frauen über ihr Äußeres bekommen – egal ob negativ oder positiv. Beides tackert den noch immer hohen Stellenwert von Äußerlichkeiten bei Frauen fest.

Filter für jede Lebensphase

Hinzugekommen ist nun auch: Die Aufmerksamkeit auf das Bild, auf die Darstellung von sich selbst durch Plattformen wie Instagram oder Tiktok ging in den vergangenen Jahren durch die Decke. Das mag wegen der Selbstverständlichkeit, mit der das alles inzwischen zu unserem Alltag gehören, banal klingen. Ist es aber ganz und gar nicht. Denn in der nun vielgeäußerten Kritik geht unter, dass das perfekte Äußere nur ein Teil ständiger Selbstinszenierung ist. Es ist unablässiger Stress, ständige Arbeit – und bei weitem ist es nicht damit getan, Filter anzuwenden. Der unablässige Vergleich mit vermeintlich etwas Besseren, dass "mehr geht", betrifft ebenso das Sozialleben, berufliche Erfolge, ja selbst politisches Engagement wirkt dank der ständigen Arbeit am digitalen Ich wie aus dem Ei gepellt. Und wenn sich junge Menschen vielleicht halbwegs von den ästhetischen Ansprüchen an sie befreit haben – sofern sie es schaffen – wartet schon der nächsten metaphorische Filter für die nächste Lebensphase auf sie.

Schon klar, es wirkt verdammt kulturpessimistisch und altbacken, die digitale Darstellung des Selbst generell aufs Tapet zu bringen. Aber es wird kaum was bringen, einen neuen Filter isoliert von der heute völlig selbstverständlichen Arbeit an einem besser gelaunten, fescheren oder engagierteren Ich zu kritisieren. (Beate Hausbichler, 6.3.2023)