Pferde wurden nach heutigem Wissensstand in der westeurasischen Steppe vor etwa 5.500 Jahren erstmals domestiziert. Doch wann wagten sich Menschen daran, auf ihnen zu reiten?

Diese Frage ist von entscheidender Bedeutung, stellte doch die Erfindung des Reitens einen Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte dar: Die Nutzung von Tieren als Transportmitteln ging mit einem erheblichen Zuwachs an Mobilität einher und hatte tiefgreifende Auswirkungen auf Landnutzung, Handel und Kriegsführung.

Ein Jamnaja-Grab in Bulgarien, das einem Reiter gehört haben dürfte.
Foto: Michał Podsiadło

Funde von Reitequipment geben nur wenig Aufschluss, denn Reiten ist auch ohne Ausrüstung möglich und dürfte gerade zu Beginn so praktiziert worden sein. Bisherige Forschungen konzentrierten sich also auf die Untersuchung von Pferdeskeletten. Doch nun hat ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung der Universität Helsinki und des US-amerikanischen Hartwick College einen neuen Zugang gewählt. Man untersuchte die Skelette von pferdehaltenden Menschen, die in größerer Zahl erhalten sind als Pferdeskelette, auf anatomische Spuren des Reitens und wurde fündig. Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal "Science Advances" publiziert.

Frühes Nomadenvolk

Die Forschungen konzentrierten sich auf 217 Skelette von 39 Fundorten in Südosteuropa, von denen 150 aus Grabhügeln der Jamnaja-Kultur stammen. Dieses Volk wanderte einst auf der Suche nach grünen Weiden aus den pontisch-kaspischen Steppen in die Länder des heutigen Rumänien, Bulgarien, Ungarn und Serbien ein. Sie waren Hirten und könnten die ersten Nomaden überhaupt gewesen sein. Die Jamnaja, die charakteristische Grabhügel errichteten, könnten aufgrund ihrer hohen Mobilität zur Verbreitung der ersten indo-europäischen Sprachen beigetragen haben. Bereits ab 3.000 vor Christus ist ihre Reittätigkeit belegt. Doch wann begannen sie damit?

Darüber können die Jamnaja selbst Aufschluss geben, denn Reiten sorgt für ganz bestimmte anatomische Veränderungen, die aber nicht leicht zu interpretieren sind. "Die Diagnose von Aktivitätsmustern in menschlichen Skeletten ist nicht eindeutig. Es gibt keine singulären Merkmale, die auf einen bestimmten Beruf oder ein bestimmtes Verhalten hinweisen", sagt Martin Trautmann von der Universität Helsinki, der Erstautor der nun erschienenen Studie. "Nur in ihrer Kombination, als Syndrom, liefern Symptome verlässliche Einblicke in die gewohnten Aktivitäten."

Anatomische Besonderheiten als Kriterium

Sein Team identifizierte sechs anatomische Besonderheiten, die Hinweise auf Reittätigkeit darstellen können: veränderte Muskelansatzstellen an Becken und Oberschenkelknochen, Veränderungen der Form der Hüftpfannen, Abdrücke, die durch den Druck des Hüftpfannenrandes auf den Oberschenkelhals entstehen, Auffälligkeiten in Durchmesser und Form des Oberschenkelknochenschafts, Degeneration der Wirbelsäule durch wiederholte vertikale Stöße und schließlich typische Traumata durch Stürze, Tritte oder Bisse von Pferden.

Weil nicht alle Zeichen gleich eindeutig waren, nutzte das Team ein automatisiertes Auswertungssystem, das auch die Verlässlichkeit der Hinweise berücksichtigte. Letztlich betrachtete man 156 Skelette von Erwachsenen genauer und fand heraus, dass 24 von ihnen möglicherweise Reiter gewesen waren. Bei fünf den Jamnaja zugeordneten Individuen war die Wahrscheinlichkeit, dass sie Reiter waren, sogar sehr hoch.

Die Jamnaja-Kultur errichtete charakteristische Grabhügel, die "Kurgan" genannt werden.
Foto: Michał Podsiadło

Auch abgesehen von ihrer Fähigkeit des Reitens war die Lebensweise der Jamnaja-Kultur faszinierend, wie die neuen Analysen enthüllen. "Unsere Forschung beginnt nun, ein differenzierteres Bild ihrer Interaktionen zu zeichnen. Zum Beispiel gibt es in den Skelettfunden bisher praktisch keine Hinweise auf körperliche Gewalt, wie wir sie erwartet hatten", sagt Bianca Preda-Bălănică von der Universität Helsinki. Man beginne zudem, die komplexen kulturellen Austauschprozesse, unter anderem in Bezug auf Bestattungssitten, zwischen Neuankömmlingen und Einheimischen in den 200 Jahren nach ihrem ersten Kontakt zu verstehen.

Noch frühere Funde

Das "Reitersyndrom" ließ sich allerdings nicht nur bei Jamnaja-Skeletten feststellen. Auch vier weitere Skelette, die teils jünger, teils sogar älter waren als die der Jamnaja, zeigten die charakteristischen Merkmale des Reitens.

David Anthony vom Hartwick College in den USA greift einen dieser Funde heraus: "Ein auf etwa 4.300 v. Chr. datiertes Grab in Csongrád-Kettöshalom in Ungarn, von dem man aufgrund der Haltung und der Artefakte lange Zeit annahm, dass es von einem Einwanderer aus der Steppe stammte, wies überraschenderweise vier der sechs Reitpathologien auf, was möglicherweise darauf hindeutet, dass das Reiten ein Jahrtausend früher praktiziert wurde."

Ein Einzelfall wie dieser lasse keine eindeutige Schlussfolgerung zu, sagt Anthony, "aber in den neolithischen Friedhöfen dieser Epoche in der Steppe wurden die Überreste von Pferden gelegentlich zusammen mit denen von Rindern und Schafen in menschlichen Gräbern beigesetzt, und Steinkeulen wurden in Form von Pferdeköpfen geschnitzt." Es liege auf der Hand, dass man die neue Methode auf noch ältere Sammlungen anwenden müsse.

Dass Menschen schon vor über 6.000 Jahren auf Pferden ritten, bleibt bis dahin ein unbestätigter Verdacht. (Reinhard Kleindl, 4.3.2023)