Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer waren bei der Demo am Samstag in Berlin die Hauptrednerinnen.
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So viel "Ehre" wird selten einer Bundestagsabgeordneten oder einem Bundestagsabgeordneten zuteil. Sowohl Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als auch Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) gingen in der vergangenen Woche im Plenum des deutschen Parlaments auf die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht ein.

Neue Friedensbewegung

Doch schmeichelhaft war es nicht, was die beiden zu sagen hatten. "Man schafft keinen Frieden, indem man in Berlin ,Nie wieder Krieg‘ ruft und fordert, die Waffenlieferungen einzustellen", giftete Scholz in Richtung Wagenknecht. Merz nannte ihre Relativierung von Vergewaltigungen im Ukrainekrieg – derlei komme in jedem Krieg vor, hatte sie gesagt – "zynisch, menschenverachtend und niederträchtig".

Kein Zweifel: Seit Wagenknecht sich selbst an die Spitze einer "neuen, starken Friedensbewegung" gestellt hat, wie sie selbst erklärt, sorgt sie für viel Empörung in Deutschland, bekommt aber auch Zustimmung.

Polarisiert hat sie schon immer, zuletzt mit ihrem Buch Die Selbstgerechten (Campus-Verlag). Darin wirft sie Teilen ihrer Mitstreiter und Mitstreiterinnen vor, "Lifestyle"-Linke zu sein, die sich mehr ums Gendern kümmern als um die Probleme der Arbeiterschaft.

Einzelne Schlachten gewinnen

Dennoch: Die streitbare 53-Jährige ist immer noch bei der Linkspartei – mittlerweile kündigte sie allerdings an, bei der nächsten Bundestagswahl 2025 für die Partei nicht mehr kandidieren zu wollen. So mancher wäre sie gerne jetzt schon los. Aber ein Ausschlussverfahren ist langwierig. Außerdem ist Wagenknecht, nebst Gregory Gysi, einfach das prominenteste Gesicht der deutschen Linken.

Nun nutzt Wagenknecht ihre Prominenz, um sich für Frieden einzusetzen. Zunächst veröffentlichte sie mit der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer auf der Onlineplattform change.org ein "Manifest für Frieden".

"Die Ukraine kann zwar – unterstützt durch den Westen – einzelne Schlachten gewinnen. Aber sie kann gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen", heißt es darin. Und weiter: "Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt! Er sollte sich auf deutscher wie europäischer Ebene an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen." Am Freitag hatten mehr als 728.000 Menschen unterzeichnet.

Zurückgewiesene Forderungen

Doch viele weisen diese Forderung zurück, darunter auch der angesprochene Kanzler Scholz. Warum, das hat er in der vergangenen Woche im Bundestag, in seiner Regierungserklärung, dargelegt. "Mit der Waffe an der Schläfe lässt sich nicht verhandeln", sagte er. Und dass der russische Präsident Wladimir Putin mit seiner Aggression nicht durchkommen dürfe.

Doch es ist nicht nur der Inhalt des Manifests, der für heftige Diskussionen sorgt. Wagenknecht und Schwarzer bekommen Applaus von der AfD, die dieselben Forderungen hat.

Dafür können sie nichts. Aber vielen fehlt eine klare Distanzierung von Rechtsextremen und Querdenkern.

"Auf unserer Kundgebung ist jeder willkommen, der ehrlichen Herzens für Frieden und für Verhandlungen demonstrieren möchte. Rechtsextreme Flaggen oder Symbole dagegen haben auf ihr nichts zu suchen und werden nicht geduldet. Mehr ist dazu nicht zu sagen", hatte Wagenknecht vor der Demo erklärt. Ein Nein nur zu Flaggen und Symbolen?

"Wir erleben einen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Da kann man nicht beide Seiten gleichsetzen." Ursula Schröder, Institut für Friedensforschung Hamburg

Sogar die Linken-Spitze distanzierte sich: "Ganz konkret fehlt uns in dem Aufruf die klare Abgrenzung nach rechts." Auch in der 1882 gegründeten Deutschen Friedensgesellschaft ging man aus denselben Gründen auf Abstand zur Demo, zu der dann laut Polizei 13.000 Menschen kamen, laut Wagenknecht 50.000.

Nicht in der Tradition der deutschen Friedensbewegung sieht Ursula Schröder das Engagement von Wagenknecht und Schwarzer. Schröder ist Direktorin des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.

Zum STANDARD sagt sie: "Das ist kein Friedensmanifest und keine Friedensbewegung. Wir sollten sehr vorsichtig damit sein, Selbstbeschreibungen dieser Art zu übernehmen."

Menschenketten und "Ostermärsche"

Wer in Deutschland an die Friedensbewegung denkt, hat Bilder von den Demonstrationen Anfang der Achtzigerjahre in der alten Hauptstadt Bonn im Kopf. 500.000 Menschen protestierten damals gegen den Nato-Doppelbeschluss und wandten sich gegen atomare Aufrüstung und die geplante Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in Westeuropa.

In Süddeutschland bildeten sich Menschenketten, die traditionellen "Ostermärsche" hatten regen Zulauf. "Schwerter zu Pflugscharen", lautete das Motto auf vielen Veranstaltungen, die Sängerin Nicole gewann mit Ein bisschen Frieden den Songcontest.

Serbien und Kosovo haben sich nach Angaben des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell grundsätzlich auf die Umsetzung des Brüsseler Friedensplans geeinigt. Das ist das Ergebnis von Gesprächen Borrells mit Kosovos Regierungschef Albin Kurti und dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic in Brüssel.
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Gravierende Unterschiede

Unterstützt wurde das Engagement damals von SPD-Parteichef Willy Brandt, der sich gegen "atomares Teufelszeug" in Deutschland aussprach. Aktiv waren auch die Schriftsteller Günter Grass und Heinrich Böll. Viele Gründerinnen und Gründer der Grünen stammen aus der Friedensbewegung.

Ursula Schröder sieht einen gravierenden Unterschied zwischen der Bewegung früher und dem Wagenknecht-Protest: "Damals standen sich zwei hochgerüstete Systeme, die USA und die Sowjetunion, gegenüber. Diese wurden beide zur Abrüstung aufgefordert. Heute erleben wir einen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine." Da könne man nicht "beide Seiten gleichsetzen und von beiden Seiten das Gleiche fordern".

Forderung nach Truppenabzug

Schröder weist darauf hin, dass sich ein Teil der Friedensbewegung auch für Waffenlieferungen an die Ukraine ausspricht. Sie vermisst bei Wagenknecht und Schwarzer die Forderung nach einem Abzug der russischen Truppen und jene nach Aufrechterhaltung der Charta der Vereinten Nationen. Ihr Fazit: "Was Wagenknecht und Schwarzer fordern, verdient den Namen nicht."

Wagenknecht aber betont, dass viele Menschen in Deutschland Angst vor dem Krieg hätten. Laut einer Forsa-Umfrage für n-tv und RTL treibt 72 Prozent die Sorge um, die Kampfhandlungen könnten sich nicht auf das Gebiet der Ukraine beschränken.

An sie wendet sich auch Kanzler Scholz immer wieder. Er sagt dann: "Die von mir geführte Regierung macht sich Entscheidungen über Waffenlieferungen niemals leicht."

Auch die Politologin Schröder kann die Sehnsucht nach einem Ende des Krieges gut nachvollziehen. Sie meint aber: "Wir müssen damit rechnen, noch ein Jahrzehnt oder mehr mit dem Krieg und seinen Folgen zu tun zu haben, es steht auch die europäische Sicherheitsordnung auf dem Spiel." Auf lange Sicht werde der Krieg auch am Verhandlungstisch enden. "Aber die Voraussetzungen sind heute noch nicht gegeben." (Birgit Baumann aus Berlin, 5.3.2023)