Eine Brille wird uns für virtuelle Welten leider noch länger nicht erspart bleiben. Der Traum vom Holodeck lebt dennoch.

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Wer den Traum von Virtual Reality (VR) seit den frühen 1990er-Jahren mitfiebert, ist dazu geneigt, ein wenig die Geduld zu verlieren. Generation um Generation scheint die Technologie ein ewiges Versprechen an die Zukunft zu sein. Daran hat sich bis heute nichts geändert: Fremde Welten flimmern – meist über verkabelte Taucherbrillen – als grobe Skizze vor Augen, die wahre Immersion entspringt tendenziell dem guten Willen des Trägers. Solange ihm eben nicht schlecht wird davon. Nicht nur eingefleischten Trekkies drängt sich dabei eine Frage auf: Wie lange müssen wir eigentlich noch auf das Holodeck warten?

Eine steile Vorlage

Die ultimative Immersion scheint mit dem Holodeck aus der Science-Fiction-Serie "Star Trek" "klar" vorgegeben: Hinter der fiktiven Technologie steckt ein raum- bis saalgroßes VR-System, das ohne Brille auskommt und mit fortschrittlicher Computertechnologie realistische Simulationen beliebiger Umgebungen oder Situationen erstellt. Interagieren kann der Benutzer mit diesen Simulationen so, als wären sie real.

Ein kurzer Blick auf das "Original".
Frustrated Idealist

Es kommt aber noch fiktiver: Die Illusion der Umgebung soll durch eine nicht näher spezifizierte Projektion von Kraftfeldern an den Wänden, der Decke und dem Boden aufrechterhalten werden. Sogenannte "Replikatoren" erzeugen physische Objekte zur Interaktion innerhalb der Simulation. Geschöpfe werden holografisch und mittels künstlicher Intelligenz zum Leben erweckt. Nicht umsonst spielt die Serie im 24. Jahrhundert – nichts davon scheint greifbar, im wahrsten Sinne des Wortes.

Die Brille bleibt

Was aber ist im 21. Jahrhundert möglich? Ansätze aus Vergnügungsparks und Freizeitzentren gibt es schon seit längerem, die VR-Erlebnisse der Couch zu verlassen und ein Holodeck-ähnliches, begehbares Erlebnis für Familie und Freunde zu kreieren. Wie zu Hause bleibt aber eine klobige Brille am Kopf – als Zugabe schnallt man auch noch meist einen Rucksack mit Hardware um, die die Illusionen berechnet. Multi-User-Streaming muss seinen Weg eben auch erst in die Praxis finden. Die erlebbaren Szenarien sind zudem auf eine kleine Anzahl reduziert und der Interaktionsgrad überschaubar gering gehalten.

Eines der bekanntesten begehbaren VR-Erlebnisse war "The Void" – bis es wegen der Corona-Pandemie im März 2020 seine Tore für immer schließen musste.
The VOID

In der Wissenschaft ist man schon ein paar Schritte voraus. Hier arbeitet man bereits an mehreren Projekten, die sich durchaus für ein Holodeck eignen könnten. "Wir entwickeln jetzt das Holodeck in Version 1, aber was man in ,Star Trek' sieht, ist eben schon Version 42", sagt Hannes Kaufmann von der Technischen Uni Wien und lächelt. "Es gibt verschiedene Aspekte, die man für ein Holodeck berücksichtigen muss", sagt der Leiter der Abteilung Virtual und Augmented Reality. "Das Visuelle können wir schon ganz gut abdecken, wir können auch räumlichen Klang erzeugen. Momentan arbeiten wir daran, wie wir Dinge in VR auch greifbar machen können."

Der Cobot als VR-Buddy

Ein erster Ansatz dafür ist ein sogenannter Cobot, ein "collaborative robot", der den Benutzer als persönlicher Assistent im virtuellen Raum begleitet. Der Benutzer hat üblicherweise auch hier noch eine Brille auf und merkt somit nichts von ihm. Der Roboter verfügt über Omni-Wheels, das heißt, dass er zu jedem Zeitpunkt in jede Richtung begleiten, aber auch sehr schnell ausweichen kann. Darüber hinaus ist er mit Sensoren ausgestattet, die ihn stoppen lassen, bevor der Nutzer mit ihm kollidieren sollte.

Der Cobot soll Oberflächen im virtuellen Raum simulieren.
Foto: TU Wien

Das typische Anwendungsszenario, das Kaufmann für den Cobot vorschwebt, ist die Simulation von Objekten und Hindernissen im virtuellen Raum. Will man in der virtuellen Welt eine Wand berühren, fährt der Roboter an die richtige Stelle im Raum und hält beispielsweise ein Holzbrett hin. Bewegt der Nutzer die Hand, fährt der Roboter der Bewegung entsprechend mit. Der Cobot könnte auch eine Türschnalle oder ein beliebiges anderes Objekt zur Verfügung stellen, das die Situation in der virtuellen Welt erfordert.

Vom Spaß zur Übung für den Ernstfall

Kaufmann hat gemeinsam mit der Firma Illusion Walk bereits ein VR-Konzept namens "Immersive Deck" entwickelt, das flexible Anwendungen mit mehreren Personen gleichzeitig zulässt. Die Nutzer tragen eine Kamera auf der 3D-Brille und den Computer als Laptop-Rucksack bei sich. Zur Orientierung im Raum sind Codes an den Wänden und an der Decke angebracht, die von der Kamera eingelesen werden und so die Position der Nutzer im Raum erfassen. Das macht das System nicht nur flexibel, sondern auch besonders kostengünstig. Bewegungssensoren an Armen und Beinen ermitteln auch die exakte Körperhaltung.

Über VR können Einsatzkräfte auch für komplexe Ernstfälle üben.
Foto: Illusion Walk

Einsatzmöglichkeiten gibt es für Kaufmann viele. "Ein Airbus-Absturz ist in der Realität nicht simulierbar. Aber mit Virtual Reality kann man Rettungskräfte für solche Extremsituationen schulen." Das System ist bereits seit Jahren erfolgreich im Einsatz, den Anfang machte aber auch hier das Erkunden von Spielwelten. "Für viele Softwarehersteller ist das die kurzfristig interessanteste Möglichkeit, für unsere wissenschaftliche Forschung sind die anderen Einsatzmöglichkeiten aber mindestens genauso wichtig", sagt Kaufmann.

Beschränkte Auswahl

Vergleicht man das Versprechen des Holodecks mit der Realität des 21. Jahrhunderts, zeigen sich auch große Differenzen, was die Beliebigkeit darstellbarer Inhalte betrifft. "Das Teuerste an VR ist ja lange nicht mehr die Hardware, sondern die Erstellung der Inhalte. Die ist in der Regel immer noch sehr personal- und zeitaufwendig", sagt Kaufmann.

Das autonome Vermessen von Gebäuden mit dem Spot-Roboter ermöglicht die schnelle Erstellung virtueller Umgebungen.
TU Wien TV

An der Technischen Universität nutzt man deshalb seit einem Jahr einen Spot-Roboter von Boston Dynamics, dessen Hauptzweck die schnellere Bereitstellung von Content für virtuelle Umgebungen ist. Der Spot ist dabei so programmiert, dass er autonom durch Gebäude gehen und in kurzer Zeit ein 3D-Modell davon erstellen kann. Will man kein reales Vorbild in die virtuelle Umgebung transferieren, kann ein weiterer Ansatz die Nutzung künstlicher Intelligenz zur Erstellung automatisierter Inhalte – in dem Fall zufälliger Räume – sein. Von einer Beliebigkeit ist derzeit dennoch keine Rede.

Großes Suchtpotenzial

Kaufmann warnt bei der Realisierung des Holodecks aber auch vor möglichen Gefahren. "Das Holodeck ist schon eine tolle Vision, das Suchtpotenzial darf man aber sicherlich auch nicht unterschätzen", sagt der Uniprofessor. Dieser Faktor könne mit zunehmender Immersion steigen und besonders durch virtuelle Partnerschaften befeuert werden. Werden Avatare mit künstlicher Intelligenz ausgestattet, werden sich über Konversationen leichter Beziehungen zu den Nutzern aufbauen lassen.

Mit anderen Mitteln zum gleichen Ziel

Auch wenn das "echte" Holodeck noch in weiter Ferne scheint, scheint der Traum jedenfalls nicht mehr so abwegig wie Ende der 1980er-Jahre, als die Idee ursprünglich aufkam. Die Technologien hinter dieser ultimativen Immersion werden möglicherweise andere sein als das Produkt wilder Fantasien aus einem Drehbuch. Sie bewirken aber den gleichen Effekt: in eingeschränkten Räumlichkeiten irgendwann einmal eine beliebige Umgebung simulieren zu können. Bis das so weit ist, muss man sich noch in Geduld üben – und leider auch eine Brille aufsetzen. (Benjamin Brandtner, 4.3.2023)