Das feministische Selbstverständnis vieler Frauen bringt auch neue Gewalt.

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Am Internationalen Frauentag, dem 8. März, wird es wieder viele Bilanzen geben. Wo es noch sehr hapert, aber auch, was gelungen ist.

Doch es ist keine langsame geradlinige Vorwärtsbewegung. Gleichstellung bedeutet auch eine Neuverteilung von Macht, Ressourcen und Anerkennung – und das bringt auch eine starke Gegenbewegung, sagt die deutsche Journalistin Susanne Kaiser. "Wir können seit etwa 20 Jahren einen enormen Aufstieg von Frauen beobachten, wir sehen sie in verschiedenen mächtigen Positionen, wir sagen Mädchen, 'du kannst alles machen'." Gleichzeitig spiele Gewalt gegen Frauen eine riesige Rolle – vor allem im Netz, aber nicht nur. Gleichstellungserfolge würden mehr und neue Gewalt hervorbringen, so die These von Kaiser, die sie mit dem Begriff des "feministischen Paradox" beschreibt.

Dieses Paradox wirke sich für manche Frauen besonders bedrohlich aus. Nämlich jene, die stärker in der Öffentlichkeit stehen. Eine Umfrage des International Center for Journalists (ICFJ) aus dem Jahr 2021 zeigte, dass fast drei von vier Journalistinnen wegen ihrer Arbeit massiv angefeindet wurden. Aber nicht nur Journalistinnen, nahezu jede, die sich in sozialen Medien oder in anderen öffentlichen Räumen bewegt, kennt diese Form von Gewalt. Vor allem, wenn sie sich zu politischen Themen äußert. Frauen mit Uniabschluss, guten Jobs oder öffentlicher Aufmerksamkeit würden Gegenreaktionen auf die bisherigen Gleichstellungserfolge besonders zu spüren bekommen, schreibt Kaiser in ihrem neuen Buch "Backlash – Die neue Gewalt gegen Frauen".

Unsichtbare Gewalt

Andrea Brem ist Leiterin der Wiener Frauenhäuser und traut sich aufgrund fehlender Zahlen dazu nicht einzuschätzen, ob diese Gruppe von Frauen heute stärker von Gewalt betroffen ist. Verändert habe sich allerdings, dass Männer aus bildungsnäheren Milieus inzwischen eher sanktioniert werden, wenn sie ihrer Partnerin sichtlich Gewalt antun. Dafür steigt psychische und somit nicht sichtbare Gewalt an, sagt sie. "Verschiedene Formen von Psychoterror gegen Frauen sind massiv geworden." Neben Cybergewalt wie Stalking oder Drohungen, bestimmte private Bilder zu veröffentlichen, nennt Brem etwa Schlafentzug, die Partnerin ständig wecken – "das ist wie Folter", sagt Brem, aber kaum sichtbar. Im Gegensatz dazu, wenn ein Mann einfach "hinhaut".

Wie intensiv Sexismus und Gewalt gegen Frauen durch digitale Medien schon von jungen Menschen als etwas "Normales" konsumiert wird, zeigten 2021 einige sehr erfolgreiche Videos unter dem Titel "Femizid Challenge" auf Tiktok. In diesen Videos dachten sich junge Männer detailliert romantische Dates mit Frauen aus. Ein Treffen an einem Strand, man küsst sich im Wasser – und hält plötzlich ihren Kopf so lange unter Wasser, bis sie tot ist. Dieser Trend lebte vom Unerwarteten, sagt Kaiser. Erst erfüllen diese jungen Männer die gesellschaftlichen Erwartungen, nett zu sein, dass man sich korrekt verhält und nicht übergriffig ist. Und dann, plötzlich, tritt eine gewalttätige Männlichkeit hervor, die sich wie eine Naturgewalt Bahn bricht.

Souveräne Frauen provozieren

Eine Männlichkeit, die junge Burschen offenbar heute sehr fasziniert und die sie in öffentlichen Figuren wie Andrew Tate finden. Tate avancierte in den vergangenen Jahren mit Bildern seiner Autosammlung, fetten Zigarren und brutalen Sprüchen zum Social-Media-Star. Auf die Frage in einem Podcast, was er machen würde, wenn seine Freundin ihn betrügt, antwortete er: "Ich hol die Machete raus, schlag sie ihr ins Gesicht und halte sie sehr fest am Nacken!" Im Dezember 2022 hat Tate der Umweltaktivistin Greta Thunberg via Twitter ausgerichtet, er würde ihr gerne eine genaue Liste seiner zahlreichen Autos schicken, um ihr zeigen zu können, welch enorme Emissionen er damit verursacht. Thunbergs knappe Antwort wurde zu einem der meistgelesenen Tweets aller Zeiten: "Ja bitte klär mich auf. Schick mir eine E-Mail an smalldickenergy@getalife.com."

Ein gutes Beispiel für das "feministische Paradox": hier ein Sexist, der mit seiner urzeitlichen Männlichkeitsinszenierung Millionen von Fans hat, dort die engagierte Greta Thunberg, die sich keine Sekunde beschränken lässt und souverän mit primitiven Kommentaren umgeht. Dass Tate seinen Worten auch Taten folgen lässt, zeigt sich Ende Dezember. Tate wurde unter anderem wegen Vergewaltigung und Menschenhandel verhaftet.

Sexistische Vorbilder

Günter Fronberg ist Lehrer an einem Wiener Gymnasium und kennt die neue Begeisterung für Sexisten. Schüler sollten in seinem Englischunterricht einen Menschen porträtieren, der sie inspirierte – Tate war unter diesen Porträts. Solche Typen und Inhalte "gehen jetzt total rum", sagen Schüler, erzählt Fronberger. "Ein Bursche hat mal stolz ein Selfie mit Prinz Marcus von Anhalt hergezeigt", erzählt er, ein C-Promi, der 2003 wegen Zuhälterei, gefährlicher Körperverletzung und Menschenhandel zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Den massiven Frauenhass, den Männer wie sie verbreiten, würden die Burschen nach eigenen Aussagen ausblenden, erzählt Fronberg. "Sie fühlen sich aber durch Aussagen wie "man müsste wieder stolz sein, ein Mann zu sein‘", angesprochen, sagt Fronberg und zitiert damit eine Botschaft von Tate. Auch die Sprüche, wonach man sich "nie aufgeben dürfe", fänden viele 13- und 16-Jährige großartig. "Die Burschen haben das Gefühl, sie seien die Verlierer", sagt Fronberg.

Sie kämen in der fünften oder sechsten Klasse entwicklungs- und auch bildungstechnisch mit den Mädchen nicht mit. Wenn ihnen dann jemand sagt, sie sollen "einfach Mann" sein, dann komme das gut an. "Viele Burschen sind von den unterschiedlichen Ansprüchen an sie überfordert, da hören sie gern einfache Antworten." Auch wenn die Burschen in Gesprächen ihre Begeisterung für Männer wie Andrew Tate vor allem mit ihrem Reichtum und Erfolg argumentieren, dringe der ebenfalls durch sie verbreitete Sexismus unbewusst zu den Burschen durch. "Sie sagen, dass es doch wahr wäre, dass Frauen Männer verlassen, die heulen", erzählt Fronberg.

Es fehlen positive Bilder von Männlichkeit, sagt Fronberg. Und das Wissen vieler Eltern, was sich ihre Kinder da ständig ansehen. Eltern, für die Gleichberechtigung eigentlich ein selbstverständlicher Wert ist. Allerdings haben sie weit weniger Sendezeit als misogyne und gewaltverherrlichende Inhalte im Netz, sagt Fronberg, "das macht mir Sorgen". (Beate Hausbichler, 6.3.2023)