Die SPÖ ist existenziell bedroht. Sie könnte bei den nächsten NR-Wahlen auf Platz drei hinter FPÖ und ÖVP absinken. Liegt das am Führungspersonal? Auch. Pamela Rendi-Wagner ist intelligent und anständig, sie hat aber kein politisches Gen. Aber nicht nur sie, sondern praktisch niemand in der Partei weiß eine Antwort darauf, dass die Sozialdemokratische Partei nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist. Strukturell, demografisch, intellektuell.

Die SPÖ war einst die Arbeiterpartei. Doch die Arbeiter (weniger die Arbeiterinnen) sind schon seit langem zur FPÖ abgewandert. Sora-Wahlanalyse 2019: SPÖ 23 Prozent bei Arbeiterinnen und Arbeitern, FPÖ 48 (!) Prozent. Und, zugespitzt gesagt: Die "neuen" Arbeiterinnen und Arbeiter dürfen nicht wählen. Die Arbeiterschicht besteht heute zu einem beträchtlichen Teil aus Personen mit "Migrationshintergrund". Davon wiederum haben sehr viele nicht die österreichische Staatsbürgerschaft.

Wird als Parteichefin immer wieder in Frage gestellt: Pamela Rendi-Wagner.
Foto: Reuters / Leonhard Foeger

Bruno Kreisky, in der Folge aber auch Franz Vranitzky, ist es seinerzeit gelungen, die Wählerschaft der SPÖ auf neue Schichten auszudehnen bzw. den Zuwachs zu halten. Kreisky bot Teilen des Bürgertums an, "ein Stück des Weges mitzugehen". Seine Absolution für die "Kriegsgeneration" brachte ihm zahlreiche Ex-Nazi-Wählerstimmen. Die Bildungs- und Modernisierungskampagne der SPÖ machte aus Arbeiter- und Kleinbürgerkindern Akademikerinnen und Akademiker, man kümmerte sich um die neue Schicht der Angestellten. Und sowohl Kreisky wie auch Vranitzky warb um Künstler, Intellektuelle und Fachleute, die der SPÖ Modernität gaben. So kam man auf drei absolute Mehrheiten (Kreisky) und auf immer noch 38 Prozent bei Vranitzkys letzter Wahl 1995.

Bewahrer des Althergebrachten

Das wurde in den Jahrzehnten danach verspielt. Die SPÖ war und ist hilflos gegen den Rechtspopulismus nach dem Modell Jörg Haider, der die Arbeiterklasse mit dem Thema "Ausländer" und "SP-Bonzen" hinüberzog. Die Jungen, Progressiven, Liberalen wanderten zu den Grünen ab. Der SPÖ blieben die Pensionistinnen und Pensionisten und die Beschäftigten im öffentlichen Dienst (in den Kommunen). Die SPÖ ist von einer Avantgarde der Modernisierung zu einem Bewahrer des Althergebrachten geworden.

Die großen Themen liegen auf der Hand. Das Gesundheitssystem, an sich im Vergleich zu anderen europäischen Ländern top, knirscht in seiner Struktur. Die Politik der Bodenversiegelung, Verbetonierung und rastloser Straßenbau sind mit den Bedrohungen des Klimawandels und der Umweltzerstörung nicht mehr in Einklang zu bringen. Wohnen wird unleistbar. Das teure Bildungssystem liefert nicht adäquate Ergebnisse. Und, ja, die Migration müsste viel, viel besser gemanagt werden. Auch deswegen sind schon längst die Bedrohungen für die Demokratie unübersehbar. Rund ein Drittel der Menschen hat laut Sora-Demokratiemonitor "autoritäre und illiberale Demokratievorstellungen".

Die SPÖ hat darauf keine Antwort. Sie ist nicht auf der Höhe der Zeit. Das hat schon auch mit Führungspersonen zu tun. Werner Faymann unterließ es, begabten Nachwuchs zu fördern. Das wirkt bis heute nach. Seit Jörg Haider und spätestens seit Sebastian Kurz ist es politische Weisheit, dass Politiker vor allem geschickte Kommunikatoren sein müssen. Dass beide sich als Blender ohne Substanz herausgestellt haben, wird irgendwie vergessen.

Die verstörenden, verwirrenden Zeiten, in denen wir leben, verlangen aber vor allem nach Kompetenz. Natürlich nach Kompetenz, die sich artikulieren kann, aber sie muss vorhanden sein. Ohne sich auf die Personaldebatte einzulassen: Wer das bringt, kann die SPÖ führen und womöglich retten. (Hans Rauscher, 4.3.2023)