Am heutigen Sonntag finden in Kärnten die Landtagswahlen statt. Das Ergebnis könnte auch Auswirkungen auf die Bundespolitik haben.
Foto: Collage: Lukas Friesenbichler; Fotos: Regine Hendrich, APA (4), Imago (4)

Jetzt ist es passiert. Kein "Gummi, Gummi" mehr. Nach 40 Jahren wurde das VW-GTI-Treffen am Wörthersee, das unter dem kindischen Motto "Gummi, Gummi" lief, gecancelt. Es war einfach aus der Zeit gefallen.

Der Bürgermeister des Ortes, in dem sich die Gummifans jährlich zu Tausenden trafen, meinte, es gebe nun andere Prioritäten als Benzindämpfe, rauchende, durchdrehende Reifen und GTI-Fahrer. "Die Auswirkungen des Klimawandels, die Verantwortung der politischen Entscheider für den Erhalt der Ökosysteme und die Notwendigkeit, das Handeln nach den Prinzipien der Nachhaltigkeit auszurichten, machen es erforderlich, die Zukunftsgestaltung unter neue Prämissen zu stellen", sagte der Ortschef der Gemeinde Maria Wörth, Markus Perdacher. "Gummi, Gummi" war irgendwie eines der letzten Relikte der partygetriebenen, schrillen, mit hohem Korruptionsfaktor begleiteten Haider-Episode.

Mit dem anfangs recht biederen und akademisch versponnen wirkenden Roten Peter Kaiser als Landeshauptmann hat vor zehn Jahren ein Paradigmenwechsel – auch in der politischen Stilistik und Rhetorik – eingesetzt.

Der Philosoph

Seine innerparteilichen Gegner meinten zwar anfangs, er sei nicht geeignet, zu intellektuell, er philosophiere immer, könne mit den Leuten an der Basis nicht und spreche deren Sprache nicht. Aber Kaiser hatte Kärnten – und das wurde rundum goutiert – nach den Haider-Jahren in ruhigere Gewässer geführt. Seine bisweilen technokratische und auch sperrige Sprache störte da gar nicht, sie signalisierte wohl auch so etwas wie Kompetenz und Seriosität.

Alle Umfragen deuten nun darauf hin, dass Kaiser bei der Wahl am Sonntag von seinen zuletzt knapp 48 Prozent zwar einige Punkte wird ablegen müssen, aber dennoch weiter Landeshauptmann bleiben wird. Und wie es scheint, dürfte er, wenn sich die Blätter nicht wenden, mit der ÖVP (2018: 15 Prozent) als Partner in seine dritte Periode als Landeshauptmann gehen. Ein kleines Koalitionsfenster wäre auch für die Grünen (3,1 Prozent) offen, sollten sie es nach ihrem Rauswurf 2018 wieder in den Landtag schaffen. Vielleicht auch für das Team Kärnten (5,7 Prozent) – aber ohne deren Chef Gerhard Köfer, der mit Kaiser nicht kann. Immerhin waren beide, als Köfer noch bei der SPÖ war, Kontrahenten. Auszuschließen ist eine Kooperation der SPÖ mit der FPÖ (23 Prozent).

Das Zukunftsthema

Wenig wahrscheinlich, aber theoretisch denkbar ist der Einzug der Neos (2,1 Prozent) in den Landtag. Wer versucht es noch? Die "Vision Österreich", eine Bürgerbewegung, die hofft, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen, und 2024 auch bei der Nationalratswahl antreten will. Auf der Wahlliste steht zudem das "Bündnis für Kärnten" (BFK), eine Wahlgemeinschaft mit der "Freien Bürgerpartei" und der "Liste Jörg". In Villach versucht es auch die KPÖ und in Klagenfurt eine "Liste Stark".

Das Interessante an den Themen des Wahlkampfs war, dass sie eigentlich fehlten. Die einzige inhaltliche Diskussion wurde über den Flughafen in Klagenfurt geführt. Der Regionalairport wurde teilprivatisiert, ist aber bisher nicht wirklich flugtüchtig.

Das wirklich große Zukunftsthema Kärntens, mit dem sich die Landespolitik in der nächsten Legislaturperiode intensiv auseinandersetzen muss, wurde nicht einmal im Ansatz angesprochen. Es geht um die wirtschaftliche Zukunft des Landes und die damit zusammenhängende enorme Problematik des demografischen Wandels im Bundesland. Kärnten ist davon von allen Bundesländern am stärksten betroffen und droht dadurch ökonomisch in Österreich noch weiter abgehängt zu werden.

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Es geht langsam aufwärts

Zuvor aber ein positiver Einschub: Kärnten rangiert im Moment zwar österreichweit auf einem unterdurchschnittlichen ökonomischen Niveau. Aber: "Wir haben in den letzten Jahren durchaus einen markanten Aufholprozess messen können. Es ist etwas weitergegangen", sagt der Wifo-Experte für Strukturwandel und Regionalentwicklung Peter Mayerhofer im Gespräch mit dem STANDARD. "Wenn wir das BIP pro Kopf betrachten, messen wir seit 2011 in Kärnten 2,5 Prozent pro Jahr, der Österreich-Schnitt liegt bei 2,1." Es geht in Kärnten also langsam aufwärts. Warum ist das so? Der Grund liegt, laut Mayerhofer, in erster Linie in der günstigen Entwicklung der Produktivität.

Kärntner Betriebe arbeiten besonders effektiv und auch innovativ. Kärnten hat auch in der Spitzentechnologie und vor allem durch den Hightechkonzern Infineon deutlich zugelegt. Kärnten hat ebenfalls in der Forschung-und Entwicklungsrate (F&E) im Österreich-Schnitt signifikant zugenommen. Das liegt speziell an den privaten Forschungseinrichtungen der Unternehmen wie Infineon. Die universitäre Forschung hinkt nach, wegen der beschränkten Möglichkeiten der relativ kleinen Klagenfurter Universität.

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Kärnten "schrumpft"

Die positiven Signale können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das große Problem noch auf dem Tisch liegt: die demografische Entwicklung. Kärnten "schrumpft".

Seit 1961, hat Mayerhofer ausgerechnet, gibt es in Österreich bis jetzt einen Bevölkerungszuwachs von 26 Prozent, in Westösterreich von 50 Prozent, in Vorarlberg 75 Prozent und in Kärnten von nur zwölf Prozent. Bis 2060 aber wird Kärnten als einziges Bundesland vier bis fünf Prozent verlieren. Das heißt, dass die Zahl der erwerbsfähigen Bevölkerung, der 15 bis 65-Jährigen, dramatisch zurückgehen wird. Mit allen bitteren Auswirkungen auf die Arbeitswelt. Die Abwanderung der Jungen, sagt Mayerhofer, sei gar nicht so sehr das Problem – viele studieren in Graz und Wien und bleiben dort. Die Geburtenbilanz sei das besondere Problem. Kärnten geht auf Sicht die erwerbstätige Bevölkerung aus, müsse rasch gegensteuern und danach trachten, die Erwerbsquote nach oben zu bringen.

Kinderbetreuung und Migration

Einerseits müsse die Vereinbarkeit von Beruf und Familie dramatisch verbessert werden. Sprich: Die Kinderbetreuung müsse massiv ausgebaut werden.

Die zweite, entscheidende Maßnahme wird sein, Migration zuzulassen. "Ich glaube, dass man vor allem in der Situation, in der Kärnten ist, mit dieser besonders schlechten demografischen Entwicklung, einen pragmatischen Zugang für die Zuwanderung finden muss. Einen professionellen Weg. Denn eines muss klar sein: Ohne Zuwanderung wird es in Kärnten nicht gehen", sagt Peter Mayerhofer. Wenn die Tore für Migration nicht aufgemacht würden, fehlten bis 2060 rund 120.00 Erwerbsfähige in Kärnten.

Kärnten, das viele Jahre auf völkisch, nationalistisch und xenophob gebürstete Bundesland, muss sich also rasch auf einen multikulturellen Paradigmenwechsel vorbereiten. In dem der braune Trachtenanzug seine Rolle als dominierendes Kärntner Kulturgut wohl verlieren wird. (Walter Müller, 5.3.2023)