Ich sitze mit gekreuzten Beinen auf einem Kissen, lege die Hände auf die Knie und schließe die Augen. Ich versuche, langsam ein- und auszuatmen und meine Gedanken so gut wie möglich loszulassen. Das ist mein tägliches Morgenritual. Anfangs hat es mich einiges an Überwindung gekostet, doch nun könnte ich mir einen Start in den Tag ohne Meditation nicht mehr vorstellen. Im Gymnasium gab uns ein Lehrer eine erste Einführung ins Meditieren. Vor einigen Jahren entdeckte ich diese Praxis als Erwachsener wieder.

Warum erzähle ich Ihnen davon? Weil ich glaube, dass Meditation zu den Kulturtechniken in einer Welt der Verunsicherung gehört.

Achtsamkeit lässt uns einen respektvolleren Umgang mit Mitmenschen und Umwelt finden.
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Nein, wir werden die Klimakatastrophe, den Krieg in der Ukraine oder sonstige Krisen nicht "wegmeditieren" können. Aber Meditation kann uns helfen, eine bewusstere Haltung zu diesen Problemen einzunehmen und dadurch bessere Entscheidungen zu treffen sowie empathischer zu handeln. Durch achtsamen Umgang mit uns selbst können wir auch einen respektvolleren Umgang mit unseren Mitmenschen und unserer Umwelt finden. Im Moment scheint uns das nicht besonders gut zu gelingen.

Jahrtausendealte Tradition

Bevor mich hier jemand ins Esoterikeck stellt, möchte ich darauf hinweisen, dass die Wirkung dieser jahrtausendealten Tradition mittlerweile bestens wissenschaftlich erforscht ist. Regelmäßiges Meditieren verändert durch bewusstes Steuern unsere Aufmerksamkeit. Mir ermöglicht es im Alltag, ein besserer Zuhörer zu sein, Stresssituationen leichter zu bewältigen und ein wenig mehr Ruhe inmitten der (digitalen) Aufregungskultur zu bewahren.

Doch Meditation lässt sich auch therapeutisch einsetzen. Wie die deutsche Wochenzeitung Die Zeit vor kurzem berichtete, kann professionell angeleitetes Achtsamkeitstraining Angststörungen, zum Beispiel Panikattacken oder Angst vor sozialen Situationen, effektiver behandeln als der Einsatz von Medikamenten. Denn im Gegensatz zu Psychopharmaka gibt es bei Meditation keine Nebenwirkungen. Intensive Meditationspraxis verändert sogar erwiesenermaßen und vielfach über MRT-Scans – also Bildgebungsverfahren – belegt die Struktur und Funktionsweise unseres Gehirns.

Geduld und Selbstdisziplin

Wir hören laufend, wie schlecht es um die psychische Gesundheit in unserer Gesellschaft bestellt ist. Wie können wir unsere psychische Resilienz stärken? Wäre es nicht sinnvoll, auch jungen Menschen frühzeitig Zugänge zu unterschiedlichen Achtsamkeitspraktiken zu ermöglichen? Ich bin heute noch dankbar für die Offenheit meines Gymnasialprofessors (er war unser Religionslehrer). Mit seiner Einführung eröffnete er mir einen Zugang zu Meditation, auf den ich später zurückgreifen konnte.

Meditation bietet keinen Weg zu sofortiger Glückseligkeit und Selbstoptimierung. Die Praxis erfordert Zeit, Geduld und vor allem ein gewisses Maß an Selbstdisziplin. Sie widerspricht somit unserem Zeitgeist, der nach sofortiger und einfacher Bedürfnisbefriedigung verlangt. Wenn Achtsamkeitsgurus schnelle Erfolge versprechen, dann ist Vorsicht geboten. Die gute Nachricht dabei: Wir alle tragen den Schlüssel zu einer inneren Bewusstseinskultur und Achtsamkeit in uns. (Philippe Narval, 6.3.2023)