Eine Allianz aus fünf Parteien rund um die sozialdemokratisch-kemalistische CHP will am Montag deren Vorsitzenden Kemal Kılıçdaroğlu als ihren gemeinsamen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen präsentieren. Die İyi Parti, bis Freitagmittag noch im Bündnis, wird wohl allein ins Rennen gehen. Seit Parteichefin Meral Akşener verkündete, ihre Partei werde sich vom "Sechsertisch" zurückziehen, an dem ein Jahr lang das gemeinsame Oppositionsbündnis geschmiedet worden war, ist die gesamte Opposition in Aufruhr.

İyi-Parteichefin Meral Akşener schert aus und sorgt für Aufregung.
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In den sozialen Medien entlud sich die Wut gegen Akşener. Von Verrat war die Rede, viele vermuteten, dass Akşener sich von Präsident Recep Tayyip Erdoğan habe kaufen lassen. Sie sehen die Wahl im Mai bereits jetzt als verloren an. "Wir dürfen den Kopf jetzt nicht hängen lassen", heißt es hingegen bei anderen, nichts sei entschieden.

Monatelang hatte Kılıçdaroğlu seine Kandidatur systematisch vorbereitet – und genauso lange ist klar, dass Akşener ihn nicht für den aussichtsreichsten Kandidaten hält, um gegen den amtierenden Präsidenten anzutreten. Zu alt, zu wenig charismatisch, kein guter Wahlkämpfer, lautete ihr Urteil. Akşener favorisierte hingegen einen der Oberbürgermeister von Istanbul oder Ankara: Ekrem İmamoğlu oder Mansur Yavaş.

Lange Nacht des Streits

Kılıçdaroğlu aber ignorierte die Einwände einfach und stellte Akşener am vergangenen Donnerstag in Absprache mit den anderen Parteiführern vor vollendete Tatsachen. Also stieg Akşener – nach einer langen Nacht der Diskussionen im Parteivorstand der İyi Parti – am Freitag aus dem Bündnis aus.

In ihrer Pressekonferenz forderte sie dann öffentlich İmamoğlu und Yavaş auf: Einer solle kandidieren. Beide Oberbürgermeister, die beide Mitglied der CHP sind, machten aber noch Freitagabend klar, dass sie nicht gegen ihren eigenen Parteivorsitzenden antreten werden. Beide trafen sich dann am Samstag mit Akşener, um sie zu überreden, dennoch im Bündnis zu bleiben. Doch vergeblich.

Das Problem für die verbleibenden Parteien ist, dass die İyi Parti nach der CHP die zweitgrößte Partei ist (sie kommt in Umfragen auf 15 bis 18 Prozent), während die anderen vier Parteien jeweils zwischen 0,5 und drei Prozent schwanken und nicht im Parlament vertreten sind.

"Kurdische Terroristen"

Nach dem Abgang von Akşeners rechtsnationaler İyi Parti wird nun die bislang nicht im Oppositionsbündnis vertretene links-kurdische HDP, die in Umfragen zwischen zehn und 13 Prozent liegt, für Kılıçdaroğlu umso wichtiger. Bislang wollte man die HDP nicht im Bündnis haben, um nicht als Unterstützer "kurdischer Terroristen" diffamiert zu werden. Jetzt wird man wohl das Risiko eingehen müssen, für Erdoğans Propaganda diese Flanke aufzumachen. Selbst wenn die HDP dem Oppositionsbündnis nicht formal beitritt, muss Kılıçdaroğlu ihr entgegenkommen.

Die HDP selbst äußert sich dazu vorerst nicht. Von der Parteiführung gibt es eine Anweisung an alle Mitglieder, keine Statements abzugeben. Akşener machte am Wochenende deutlich, dass der Vorwurf, sie würde nun zu Erdoğans Wahlallianz überlaufen, wohl unberechtigt ist: Sie wolle einen eigenen Präsidentschaftskandidaten aufstellen und scheint auch bereits einen gefunden zu haben – der bekannte Rechtsprofessor Ersan Şen hat signalisiert, dass er sich eine Kandidatur für die İyi Parti vorstellen kann. (Jürgen Gottschlich, 5.3.2023)