Josh Whitehouse, Suki Waterhouse, Sebastian Chacon, Sam Claflin, Riley Keough und Will Harrison sind "Daisy Jones & The Six" – eine Serie gewordene Hippie-Fantasie, auf Amazon Prime abrufbar.

Foto: Lacey Terrell/Prime Video

Am 4. Oktober 1977 spielten Daisy Jones & The Six im Soldier-Field-Stadion in Chicago ein ausverkauftes Konzert. Sie waren zu diesem Zeitpunkt auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, ihr Album war seit Wochen an der Spitze der US-Charts. Es sollte jedoch der letzte gemeinsame Auftritt der Band werden.

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Ihr Aufstieg steht im Mittelpunkt der gleichnamigen Miniserie auf Amazon Prime, die auf dem Bestsellerroman von Taylor Jenkins Reid basiert. The Six ist eine (ha!) fünfköpfige Band aus Pittsburgh, die gemeinsam mit Daisy Jones das Kultalbum Aurora aufnahm. Vor allem die Chemie zwischen den beiden Leadsängern, Billy Dunne (Sam Claflin) und Daisy Jones (Riley Keough), machte ihren Erfolg aus. Bevor jemand an dieser Stelle sein Musikwissen hinterfragt: Weder The Six noch Daisy Jones gab es wirklich, die Serie macht es uns als Zuschauerinnen aber mehr als glaubhaft.

Freigeistige Bandleaderin

Im Dokumentationsstil erzählen die Bandmitglieder zwanzig Jahre nach jenem fatalen letzten Auftritt in Chicago, was damals wirklich zum Ende der Band geführt hat. Denn eine Person war dabei entscheidend: Daisy Jones. Riley Keough spielt die freigeistige Daisy, die ein derartiges Charisma ausstrahlt, dass man nicht wegsehen kann, sobald sie einen Raum betritt. Daisy will nicht länger nur die Muse für untalentierte Männer sein, sondern eigene Songs schreiben.

Sie stürmt in das Leben der Six und frustriert Leadsänger Billy umso mehr, als sie auch noch seine Songs umschreiben will. Musikproduzent Teddy Price (Tom Wright als Rockstar-Ruhepol) hält aber an ihr fest und zwingt die beiden vor ein gemeinsames Mikro. "Es war ein Albtraum", erzählt Billy seiner Frau Camila (Camila Morrone) am Telefon, während er gleichzeitig Daisys Stimme im Tonstudio lauter stellt. Hier ist etwas Magisches passiert, das erkennen alle Beteiligten.

Ist das alles nur Show?

Ohne Daisy wären The Six nie eine stadionfüllende Sensation geworden, mit ihr zu arbeiten bereitet aber auch nur Kopfzerbrechen. Kann man mit jemandem jeden Abend über Liebe und Verlangen singen, ohne Gefühle für die andere Person zu entwickeln? Ist das alles nur Show? Liebesbeziehungen in einer Band enden immerhin selten gut.

Abba und Fleetwood Mac können davon wohl ein Lied (oder ganze Alben) singen. Von der turbulenten Bandgeschichte Fleetwood Macs ist Daisy Jones & The Six übrigens inspiriert. Damit die Auftritte der Six in der Serie möglichst real wirken, wurden alle Schauspieler in ein Rockstar-Bootcamp geschickt, um ihre Instrumente wirklich spielen zu können und ihren Gesang zu verbessern. Ursprünglich waren dafür fünf Wochen Probezeit angesetzt.

Glücksfall Lockdown

Sam Claflin, der Billy Dunne spielt, erinnert sich im Gespräch mit dem STANDARD an den Beginn der Proben: "Ich hatte zuvor noch nie eine Gitarre in der Hand und war noch nie in einem Aufnahmestudio, ich war wie versteinert." Durch zahlreiche Lockdowns verzögerte sich der Drehstart um eineinhalb Jahre, was für Claflin ein Glücksfall war.

Daisy Jones sei für den Briten das erste Filmprojekt gewesen, bei dem er sich am Ende selbst stolz auf die Schulter klopfen konnte. Claflin überzeugt mit Bühnenpräsenz und butterweicher Stimme, die besonders in Duetten mit Riley Keough harmoniert. Keough ist übrigens die Enkeltochter von Elvis Presley. Der Rock ’n’ Roll lebt.

Die 1970er werden von den Showrunnern Scott Neustadter und Michael H. Weber hier nicht als glitzernde Saturday-Night-Fever-Kulisse in Szene gesetzt. Daisy Jones & The Six zeigt eine Zeit, in der Musikerinnen vollgepumpt mit Tabletten und Koks auf der Bühne standen, um ein Konzert nach dem anderen abzuliefern. Eine Zeit, in der nach jeder Show im Tourbus gefeiert wurde und jeder Auftritt unweigerlich einen Schritt in Richtung Aufenthalt in einer Entzugsklinik bedeutete.

Legendäre Clubs

Wenn möglich, wurde für die Serie an Originalschauplätzen gedreht. Ein Großteil der Dreharbeiten fand rund um Los Angeles statt, wo legendäre Clubs wie The Whisky und die Villen im Laurel Canyon als Sets verwendet wurden. Sogar der Sunset Boulevard wurde für den Dreh gesperrt, wie Suki Waterhouse und Josh Whitehouse im Interview mit dem STANDARD erzählen.

Das sei seit Jahren für keinen Filmdreh erlaubt worden. Die beiden spielen die Bandmitglieder Karen und Eddie, die für notwendige Ablenkung zwischen Daisy und Billys Gefühlschaos sorgen. Sowohl Waterhouse als auch Whitehouse machen neben der Schauspielerei Musik. Der größte Reiz an dem Projekt war für sie die Chance, ein Album mit Musikgrößen wie Blake Mills, Marcus Mumford und Phoebe Bridgers zu produzieren. Aurora schaffte es nach der Veröffentlichung sofort auf Platz eins der US-iTunes-Charts.

Selbstaufopferung

Daisy Jones & The Six ist das Abbild einer Zeit, in der Musik zu machen einer Selbstaufopferung gleichkam und Therapie für Musiker noch eine Drohung war. Vor allem ist es aber die Suche nach dem, was gute Musik bis heute ausmacht: große Emotionen, prägende Beziehungen und Texte, die noch Jahre später Menschen zum Mitsingen anregen. Wer nach der Serie übrigens zum Fan der Musik von Daisy Jones & The Six geworden ist, kann sich Aurora auch auf Vinyl anhören. Um auch hier der Ära treu zu bleiben. (Astrid Wenz, 7.3.2023)