Nur ein kleiner Teil der Hochsee ist bislang geschützt. Ein neues Abkommen soll das ändern.

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Das Schiff habe das Ufer erreicht – so beendete am Sonntag die Kommissionsleiterin Rena Lee die über 24-stündige Sitzung über ein globales Hochsee-Abkommen. Jahrzehntelang haben die UN-Staaten über einen solchen Vertrag verhandelt – es geht nicht nur um wirtschaftliche, sondern auch um geopolitische Interessen.

Das neue Abkommen sieht neue Regeln für die internationalen Gewässer vor – und damit für einen Raum, in dem bisher vieles unreguliert war. So sollen erstmals Schutzgebiete in der Hochsee errichtet werden. Zudem sollen Staaten, die besonders von den aus den Ozeanen gewonnenen Erkenntnissen profitieren, einen Teil dieser Gewinne mit Entwicklungsländern teilen, und bestimmte schädliche Aktivitäten vorab geprüft werden. DER STANDARD versucht die wichtigsten Fragen zu beantworten.

Frage: Ist die Hochsee nun geschützt?

Antwort: Erst einmal nicht. Der neue Vertrag weist selbst keine neuen Schutzgebiete aus, sondern schafft nur den politischen Rahmen, in dem Schutzzonen in internationalen Gewässern geschaffen werden können. Das war bisher nicht möglich – weil sie niemandem (oder allen) gehören, konnten sie auch nicht geschützt werden. Ausnahmen sind einige von bestehenden Abkommen umfasste Gebiete. Derzeit sind nur rund 1,2 Prozent der Hochsee geschützt.

Frage: Wer bestimmt, welche Gebiete geschützt werden?

Antwort: Grundsätzlich kann jeder Staat ein Schutzgebiet vorschlagen. Wenn kein Konsens erreicht wird, aber zwei Drittel der Staaten bestätigen, dass alles versucht wurde, um einen einen Konsens zu erreichen, dann reicht auch eine Dreiviertelmehrheit, damit ein Schutzgebiet ausgewiesen werden kann.* Allerdings sieht das Abkommen auch einen Opt-out-Mechanismus vor: Ein Staat kann also im Alleingang ein Schutzgebiet nicht anerkennen. Dieser muss allerdings eine Begründung vorlegen und Alternativen vorschlagen.

Frage: Ist das Abkommen also zahnlos?

Antwort: Zwar gibt es bei internationalen Verträgen – wie etwa auch dem Pariser Klimaschutzabkommen – keine Sanktionen, wenn sie missachtet werden. Dass sich die rund 200 Staaten auf ein Abkommen geeinigt haben, sei allerdings ein starkes Signal, sagt die Politikwissenschafterin Alice Vadrot, die an der Universität Wien zu Biodiversitätspolitik forscht. Auf der politischen Bühne wird die Hochsee künftig öfter Thema sein – so sieht der Vertrag etwa eine neue Konferenz analog zu den Klimagipfeln vor. Allein die Aufmerksamkeit könnte laut Vadrot die Staaten dazu bewegen, sich an den Vertrag zu halten, um ihr Ansehen nicht zu schädigen. In der Forschung wird dieses Verhalten Normdiffusion genannt.

Frage: Warum ist der Schutz der Meere so wichtig?

Antwort: Die Ozeane sind der wichtigste Puffer für die globale Erhitzung – bisher haben sie rund 90 Prozent der durch den Klimawandel entstandenen zusätzlichen Wärme aufgenommen. Dadurch sind sie aber verletzlicher geworden und brauchen mehr Schutz, um das Artensterben zu verlangsamen. Das ist auch für die globale Versorgung mit Nahrungsmitteln wichtig: Für über drei Milliarden Menschen sind die Weltmeere die wichtigste Proteinquelle. Ein Großteil der Tiefsee ist zudem noch unerforscht – die dort lebenden Organismen könnten aber ein Beitrag zur Entwicklung von lebensrettenden Arzneien sein.

Frage: Wer profitiert von der Erforschung der marinen Biodiversität in der Hochsee?

Antwort: Derzeit einige wenige Unternehmen. Allein der Chemiekonzern BASF hält 47 Prozent aller Patente auf marine genetische Ressourcen, 84 Prozent aller Patente laufen auf Unternehmen, die ihren Sitz in zehn reichen Nationen haben. Das neue Abkommen soll diese Ungleichheit etwas ausbalancieren. Staaten, die besonders aus den in den Ozeanen gewonnenen Erkenntnissen profitieren, sollen einen Teil dieser Gewinne in einen Topf einzahlen. Entwicklungsländer können dieses Geld anfordern, um damit Aktivitäten zu finanzieren, die dem Meeresschutz dienlich sind – etwa das Monitoring eigener Schutzgebiete. Woher die Einzahlerstaaten das Geld nehmen, obliegt ihnen. "Möglich wäre eine Besteuerung auf nationaler Ebene", sagt Vadrot – etwa für Pharma- oder Kosmetikkonzerne.

Frage: Darf weiter nach Öl gebohrt werden?

Antwort: Ja, denn bestehende Verträge bleiben von dem neuen Abkommen unberührt. Laut dem 1994 in Kraft getretenen UN-Seerechtsabkommen darf jeder Staat die Ressourcen in internationalen Gewässern nutzen. Neu sind allerdings Umweltverträglichkeitsprüfungen, die neue Bohrprojekte durchlaufen müssen. Sie gelten auch für den Tiefseebergbau, der bislang noch nicht großflächig angelaufen ist. Denn am Meeresgrund schlummern wertvolle Ressourcen – etwa Mangan oder Kobalt, das für E-Auto-Batterien benötigt wird. Die Ausbeutung könnte das Leben in der Tiefsee aber empfindlich stören. Welche Aktivitäten von der Umweltprüfung umfasst sind und wie diese aussieht, hängt von der Tragweite der Umwelteffekte ab. "Möglich wäre, dass diese etwa auch für Windparks gelten, die aber eher in Küstengebieten vorkommen", sagt Vadrot.

Frage: Warum hat die Einigung so lange gedauert?

Antwort: Die Verhandlerinnen und Verhandler hatten am Sonntag einen über 24-stündigen Sitzungsmarathon hinter sich – doch die Verhandlungen über ein Hochsee-Abkommen laufen bereits seit fast 20 Jahren. Es gibt viele Konfliktlinien: Im Vertrag wurde die hohe See zum "gemeinsamen Erbe der Menschheit" erklärt – dagegen sträubten sich vor allem Industrieländer. Denn diese Formulierung hätte auch so ausgelegt werden können, dass es eine globale Behörde geben müsste, die die Aktivitäten in den Ozeanen überwacht. China wiederum drängte auf das Einstimmigkeitsprinzip bei der Ausweisung von Schutzgebieten – um eine solche im für das Land geopolitisch relevanten Südchinesischen Meer zu verhindern. Zuletzt stimmte China zu, Schutzgebiete mit Zweidrittelmehrheit auszuweisen – brachte aber eine Klausel für umstrittene Gebiete in den Vertrag ein.

Frage: Wie bewerten Umweltorganisationen die Einigung?

Antwort: Naturschützerinnen und Naturschützer loben das neue Abkommen. Als einen "Tag zum Jubeln" bezeichnete WWF Deutschland die Einigung am Sonntag. "Definitiv ein großer Erfolg" ist der Vertrag für Artenschutzexpertin Ursula Bittner von Greenpeace Österreich. Bereits im Dezember einigte sich die Weltgemeinschaft auf ein globales Artenschutzabkommen, mit dem 30 Prozent der Land- und Meeresoberfläche bis 2030 unter Schutz gestellt werden sollen. Das neue Meeresschutzabkommen schaffe nun die Grundlage, um dieses Ziel zu erreichen. Dennoch bleiben nur mehr weniger als sieben Jahre, um das ambitionierte Ziel zu erreichen. Deshalb müsse das Abkommen jetzt schnell ratifiziert und umgesetzt werden – sie zweifelt aber daran, dass China und Russland das tun werden. "Die eigentliche Arbeit fängt erst an", sagt Bittner. (Philip Pramer, 6.3.2023)