Im Gastblog skizziert Marlon Possard die wesentlichen Forschungsergebnisse zur Vermeidung von Wirtschaftskriminalität, die er in seiner Forschung an der Universität Innsbruck generieren konnte und hebt dabei insbesondere ethische Reglements hervor.

In den letzten Jahren konnten auf nationaler, internationaler und globaler Ebene (finanz)wirtschaftliche Schäden beobachtet werden, die nicht zuletzt durch dolose Handlungen im Bereich des Externen Rechnungswesens herbeigeführt wurden. Es kann festgestellt werden, dass häufig die unternehmerische Bilanz, die auf dem Vertrauensgrundsatz bei ihrer Erstellung beruht, verfälscht wird. Häufig wird Liquidität vorgetäuscht, die es de facto gar nicht gibt, und die Aktivaseite der Bilanz wird mit fragwürdigen Zahlen aufgehübscht. Die Bilanz als Instrument des Externen Rechnungswesens eignet sich demnach dazu, Manipulationen, teilweise über Jahre hinweg, vorzunehmen und den wirtschaftlichen Kreislauf somit zu gefährden. Die Geschädigten sind meist Anlegerinnen, Anleger, Gläubigerinnen und Gläubiger – und der Staat.

Commerzialbank Mattersburg ist kein Einzelphänomen

Schäden, insbesondere für Bankkundinnen und Bankkunden, konnten auch im Rahmen der Commerzialbank Mattersburg, die im Jahr 2020 zwangsgeschlossen wurde, verzeichnet werden. Die Causa ist nur ein solches Negativbeispiel. Weit größer wiegen Schäden, die zum Beispiel in Verbindung mit Wirecard und den dort vorgenommenen betrügerischen Handlungen stehen (Wirecard-Schadenssumme: ca. 1,9 Milliarden Euro). Was alle diese Fälle gemeinsam haben: Es geht meist um das Verschaffen eines eigenen Vorteiles und um eine beispielslose Rücksichtslosigkeit gegenüber Dritten. Für Anlegerinnen und Anleger wird es jedenfalls schwer, überhaupt noch Geld zurückzuerhalten. Diesbezüglich gibt es bereits höchstgerichtliche Entscheidungen (siehe hierzu: VfGH zu GZ: G 224/2021 und OGH zu GZ: 1 Ob 91/22x und GZ: 4 Ob 145/21h).

Commerzialbank Mattersburg ist kein Einzelphänomen.
Foto: Matthias Cremer

Machtstrukturen werden oft ausgenützt

Bei Bilanzfälschungen ist die Frage nach der Verantwortung oft zentral, sowohl juristisch als auch moralisch. Meist kann diese Frage aber gar nicht so einfach beantwortet werden, da es sich nicht selten um komplexe unternehmerische Machtstrukturen handelt, die für Bilanzmanipulationen ausgenützt werden. Gerade im Bereich von Bilanzfälschungen fällt auf, dass Buchhalterinnen und Buchhalter häufig aus Angst, sie könnten beispielsweise ihren Job verlieren, solche kriminelle Handlungen durchführen. Die Forschung hat ergeben, dass ein solches Agieren einfach ausgeblendet wird. Es zeigte sich also, dass ein Abhängigkeitsverhältnis, das einerseits monetärer Natur und andererseits psychischer Natur sein kann, zu einem Unterlassen, Dulden oder einem positiven Tun führen kann.

Plädoyer für einen neuen Umgang mit Bilanzfälschungen

Dass sich nicht nur in rechtlicher Hinsicht einige Dinge ändern müssen, um Bilanzmanipulationen bereits frühzeitig erkennen zu können, steht außer Diskussion. Hierbei müssen vorwiegend die Tätigkeiten der Abschluss- und Wirtschaftsprüfenden neu überdacht werden. Es braucht dringend Reformen, die in der Praxis auch wirklich spürbar sind. Beispielsweise könnte man die zeitliche Dauer der Tätigkeit von Wirtschaftsprüferinnen und Wirtschaftsprüfern begrenzen oder in einer Art "Random-System" Wirtschaftsprüfungsgesellschaften mit der Abschlussprüfung beauftragen. Auch sollte die Beratung der Prüfungstätigkeit selbst abgegrenzt werden. Von Priorität ist es jedenfalls eine objektive, unabhängige und eine beziehungsfreie Prüfung zwischen den Akteurinnen und Akteuren sicherzustellen. Die Rechnungslegung der Commerzialbank Mattersburg war äußerst fragwürdig, das Vorgehen der Abschlussprüferinnen und Abschlussprüfern aber auch.

Neben der rechtlichen Seite darf aber auch der Bereich der Ethik, der leider in Unternehmen sehr häufig unterrepräsentiert und wenig durchdacht ist, nicht fehlen. Das individuelle moralische Verständnis von Mitarbeitenden ist fast genauso wichtig wie Vorgaben, die auf dem positiven Recht beruhen. Das kann vor allem dadurch aufgezeigt werden, dass sich Recht und Moral zwar in ihrem Kern differenzieren lassen (z. B. im Rahmen ihrer Sanktionsmöglichkeiten), beide Bereiche aber auch Gemeinsamkeiten aufweisen. Für die Stärkung des eigenen Bewusstseins – im Sinne einer Verantwortung von Mitarbeitenden gegenüber dem Unternehmen (Stichworte: Loyalität, Integrität) – können insbesondere Möglichkeiten der Partizipation der Mitarbeitenden und diverse Schulungs- und Bildungsangebote eine Hilfestellung sein. Eine unternehmerische Institutionalisierung von sogenannten Ethikbeauftragten könnte auch dem Finanz- und Bankensektor empfohlen werden.

Die Philosophie kann ihren Beitrag leisten

Ein immer häufiger diskutiertes Mittel zur Vorbeugung von dolosen Handlungen in Unternehmen stellt der sogenannte Ethik-Kodex dar. Die Beschäftigung mit der Implementierung solcher Kodizes führt gleichzeitig zu Fragen der Philosophie, da im Speziellen ethische Gesichtspunkte auch mit dem Menschsein an sich zusammenhängen. Gerade die Ethik wird innerhalb der Wissenschaften als ein zentraler Teilbereich der Praktischen Philosophie angesehen. Im Rahmen der Commerzialbank Mattersburg zeigte sich, dass Emotionen und Motivationen wesentliche Gesichtspunkte von Mitarbeitenden sind und dass eine philosophische Ethik ihren Beitrag zur Festigung des eigenen Verantwortungsbewusstseins leisten kann. Bei der Umsetzung von Ethik-Kodizes in Unternehmen geht es also darum, wie sich Philosophie zeigt und wie sie umgesetzt werden kann. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Ethik in Unternehmen hat jedenfalls nichts mit einer plakativen Unternehmensphilosophie zu tun, die meist auf Homepages von Unternehmen zu finden sind. Das ist reines Marketing und hat meist nur eines zum Ziel, nämlich den Unternehmenserfolg zu steigern. Ernsthaft betriebene Philosophie in Unternehmen kommt überall dort vor, wo Menschen miteinander leben, zusammenarbeiten und versuchen, ihr Handeln nach ihren individuellen Überzeugungen und Werten auszurichten. De facto betrifft das auch unternehmerische Strukturen und Auswirkungen auf Dritte.

Die Philosophie steckt also häufig im Detail und kann, bei seriöser Betätigung, auch zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit beitragen. Was aber auch feststeht, ist die Tatsache, dass Philosophie nie allgemeingültige Lösungen präsentieren kann, denn dafür ist sie zu sehr kritisch, fragend und reflektierend.

Ethik-Kodex als verpflichtendes Instrument in Unternehmen

Durch den empirischen Teil der Forschungsarbeit konnte aufgezeigt werden, dass in der Praxis eine Einführung von Ethik-Kodizes durch betroffene Mitarbeitende (insbesondere durch Buchhalterinnen und Buchhaltern) unisono befürwortet werden. Gleichzeitig konnte aber auch generiert werden, dass Ethik eine untergeordnete Rolle in Unternehmen einnimmt. Von sechs befragten Buchhalterinnen und Buchhaltern konnte nur eine beziehungsweise einer eine konkrete Umsetzung im eigenen Unternehmen nennen. Hierbei wurde ein sogenanntes Compliance-Management-System etabliert, um wirtschaftskriminelles Agieren bereits frühzeitig erkennen zu können. Im Kontext einer Verpflichtung solcher Instrumentarien stellt sich auch die Frage nach ihrer Verbindlichkeit. Die Etablierung von Ethik-Kodizes wird aktuell in verschiedenen Gremien kontrovers diskutiert. Lege artis gibt es diese noch nicht.

Dass Ethik-Kodizes allgemein keiner (rechtlichen) Verbindlichkeit unterliegen, macht sowohl moralisches Agieren per se als auch die Institutionalisierung solcher Grundsätze in den jeweiligen Unternehmen zunehmend schwieriger. Wesentlich kann dabei die Regulierung von Ethik-Kodizes durch das positive Recht sein. Dadurch könnte eine Maximierung der Einhaltung von solchen Standards erreicht werden. Derzeit aber ist es nur möglich, diese in den Kontext einer sogenannten Selbstverpflichtung einzuordnen.

Zwischen Recht und Moral: Was bleibt davon übrig?

Wirtschaftskriminalität hat es und wird es immer geben. Selbst mit den effizientesten Präventionsmaßnahmen kann man solche Phänomene nie vollständig unterbinden. Prioritär in juristischer Hinsicht hingegen ist, wie der Staat mit solchen Handlungen umgeht. Auch im Rahmen der Commerzialbank Mattersburg lässt das staatliche Vorgehen viele Fragen offen – und dieses nagt nicht zuletzt an der Vertrauensbasis der Bürgerinnen und Bürger gegenüber einer unabhängigen Justiz und einem funktionierenden Staat.

Wirtschaftskriminelles Agieren ist aber nicht nur eine Frage der juristischen Bewertung, sondern auch eine wesentliche Komponente der Moral. Nicht erst das Strafrecht darf die Richtschnur für das individuelle Handeln von Mitarbeitenden sein, sondern das Verständnis für persönliche Verantwortung muss bereits viel früher beginnen. Relevant sind diesbezüglich soziale, gesellschaftliche und persönliche Faktoren von Bilanzfälscherinnen und Bilanzfälschern. Dass unmoralisches Verhalten gerade im buchhalterischen Sektor zunehmend beobachtbar ist, kann für das gesamte Berufsbild zur Herausforderung werden. Recht und Moral stehen also miteinander in Beziehung und fördern beide das gesellschaftliche Zusammenleben. Normen werden etabliert, novelliert und aufgelöst. Gesetzgeberisches Handeln basiert also auch auf moralischen Einstellungen, da Aspekte der Moral gesetzgeberische Prozesse beeinflussen, selbst wenn das positive Recht vom Spezifikum der gerichtlichen Einklagbarkeit umgeben ist.

Summa summarum wird sich das Berufsbild von Buchhalterinnen und Buchhaltern in den nächsten Jahren, nicht zuletzt aufgrund der Weiterentwicklungen im Rahmen der künstlichen Intelligenz (KI), wohl stark verändern. Wesentlich dabei ist, dass den Mitarbeitenden das eigene moralische Verständnis noch mehr bewusst wird. Was sich aber keinesfalls manifestieren darf, ist ein selbstkonstruierter Grundsatz namens Omnia bene!, mit dem man ohne detailgetreue Prüfung einfach auf die Richtigkeit einer Bilanz vertraut. (Marlon Possard, 9.3.2023)