Mehr als ein Jahrzehnt galt Bangladesch als Vorzeigeland unter den ärmsten Staaten der Welt und ein Musterbeispiel dafür, wie die Integration in westliche Produktionsketten Wohlstand bringen kann. Die Wirtschaft des südasiatischen Landes ist vor der Pandemie pro Kopf im Schnitt um sieben Prozent pro Jahr gewachsen. Die Wirtschaftsleistung des einstmals als asiatisches Armenhaus verschrienen Staates ist heute höher als jene von Indien.

Dazu beigetragen haben vor allem die steigenden Exporte, Bangladesch beliefert inzwischen weite Teile der Welt mit Kleidungsstücken und Textilien. Das Land gehört zwar zu den Least Developed Countries, den laut Definition der Uno 46 ärmsten Ländern der Welt. Aber bis spätestens 2026 soll der 170-Millionen-Einwohner-Staat einen neuen Status, jenen eines Schwellenlandes, erhalten. Doch auf dem Weg aus der globalen Armutsfalle heraus gab es gerade eine Vollbremsung. Vor gut einem Monat hat die Regierung in Dhaka die finale Zusage für einen 4,7 Milliarden US-Dollar schweren Notkredit vom Internationalen Währungsfonds (IWF) erhalten. Bangladesch ist in Zahlungsschwierigkeiten geraten, und um einer Staatspleite zu entgehen und an Devisen zu kommen, führte kein Weg am IWF vorbei. Im Gegenzug für den Kredit muss Dhaka Reformen und Einsparungen zusagen.

Als offizielle Gründe für die Krise gelten der Ukrainekrieg – der Import von Energie und Lebensmitteln verteuerte sich – sowie die Spätfolgen der Pandemie. Doch dazu kommen weitere Faktoren: große staatliche Infrastrukturinvestitionen, die sich als zu teuer erwiesen. NGOs kritisieren aber auch die grassierende Korruption im Land. Bangladesch ist neben Pakistan und Sri Lanka bereits das dritte Land in Asien, das unter einen IWF-Rettungsschirm schlüpfen muss. Und die Serie könnte weitergehen.

Guterres: Im Interesse der reichen Länder

Diese Woche findet in Katar, in Doha, die fünfte Konferenz der Uno zur Lage in den 46 ärmsten Ländern der Welt statt. Eine drohende Schuldenkrise im Globalen Süden war dabei eines der zentralen Themen der Tagung, zu der auch Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) angereist ist. Kurz bevor die Premierministerin von Bangladesch, Sheikh Hasina Wazed, mehr finanzielle Unterstützung durch reiche Länder forderte, ließ Uno-Generalsekretär António Guterres mit einer Warnung aufhorchen.

25 Entwicklungsländer müssen heute mehr als ein Fünftel ihrer Einnahmen nutzen, um Zinsen an ihre Gläubiger zurückzuzahlen, sagte Guterres. Das internationale Finanzsystem, das vor allem den Interessen der reichen Länder diene, gehöre dringend reformiert.

Unbestreitbar ist, dass die Zinsausgaben der ärmsten Länder in den vergangenen Monaten massiv gestiegen sind. Dazu trägt eine Kombination an Ursachen bei: Der starke US-Dollar hat dazu geführt, dass die Kreditraten für viele ärmere Länder über Nacht gestiegen sind. Diese Staaten verschulden sich meist in Dollar, um an ausländisches Kapital zu kommen. Hinzu kommt, dass der beispiellos schnelle Zinsanstieg in Industrieländern im vergangenen Jahr auch die Neuaufnahme von Darlehen verteuert hat.

Kinder verkaufen Elektronik und andere Produkte auf einem Stand in Dhaka, Bangladesch.
Foto: Imago

Die Folge skizziert ein Weltbank-Bericht zur Verschuldenslage der Entwicklungsländer: Ihre Zinsausgaben sind im vergangenen Jahr um ein Drittel angestiegen. Eine Gruppe, die von dieser Entwicklung besonders betroffen ist, sind natürlich die Least Developed Countries wie Bangladesch. Mali und Sambia sind bereits in eine Staatspleite gerutscht, auch Ghana, obwohl der Staat nicht zur Gruppe der Ärmsten gehört. Auch Sudan, Malawi oder die Republik Kongo sind an der Kippe zur Pleite.

Von den 46 ärmsten Ländern der Welt befinden sich 33 in Afrika, neun in Asien, eines in der Karibik (Haiti) und drei im Pazifik (Kiribati, Tuvalu und die Salomonen).

Afrika kontrolliert seine Finanzströme nicht

Einen spannenden Einblick in die Debatte aus der Perspektive des Südens gegeben hat die Ökonomin und ehemalige Politikerin Cristina Duarte aus den Kapverden. Sie sprach angesichts der beschriebenen Finanzprobleme von einem "afrikanischen Paradox": Afrika sei in Wahrheit unglaublich reich an finanziellen Ressourcen, könne diese aber nicht nützen. Was sie damit meint?

Auch in vielen afrikanischen Staaten existiere eine finanzkräftige Mittelschicht, die gut 1,3 Billionen US-Dollar an Pensionsvermögen angespart hat. Das in diversen Fonds geparkte Geld werde aber nicht am Kontinent investiert, so Duarte, sondern vor allem in westlichen Industrieländern angelegt. Dazu kommen noch einmal fast 90 Milliarden Dollar, die der Kontinent jährlich verliert, weil heimlich Geld am Steuersystem vorbei ins Ausland geschaffen werde. Auch die grassierende Korruption führe zu Milliardenverlusten. "Afrika kontrolliert seine Finanzströme nicht selbst", sagte die Uno-Beraterin. Statt eigene Mittel zu haben, trete der Kontinent daher als Bittsteller auf.

Und Duarte weiter: In Wahrheit seien es nicht exogene Schocks, die zu den aktuellen Turbulenzen führten, sondern strukturelle Schwächen im Finanzsystem der Region, die nun wieder deutlich zutage treten. Und was ist mit der Entwicklungshilfe aus Europa und den USA? Für jeden Dollar, der da komme, fließen wieder drei ab, so der Tenor bei den NGOs und Ökonomen auf der Konferenz.

Rufe nach einem Schuldenerlass

Die große Frage ist, was sich damit tun lässt. Eine Forderung, die in Katar laufend erhoben wurde: Schuldenerlass. Solche Debatten sind nicht neu. Bereits Mitte der 1990er-Jahre haben sich die großen Geberländer im Rahmen des Pariser Klubs zusammengetan, um eine Entschuldungsinitiative für den Globalen Süden auf den Weg zu bringen, die Heavily Indebted Poor Countries (HIPC) Initiative.

Der Prozess war langwierig, Staaten, die profitierten, mussten mitunter umstrittene Reformen zusagen. Aber einer Reihe von Ländern gelang es, den schweren Schuldenrucksack loszuwerden. Aber wie die Weltbank in einer Analyse zeigt, hat sich die Verschuldung dieser Länder zwischen 2010 und 2021 wieder beinahe vervierfacht. Hohe Schulden sind für Industrieländer weniger ein Problem, weil sie die Kredite meist bei ihren eigenen Banken aufnehmen und die Finanzströme dahinter bis zu einem gewissen Grad selbst kontrollieren. Die Kredite laufen in Dollar, Euro oder Yen – also in der eigenen Währung.

China kommt ins Spiel

Das Problem ist, dass Entschuldungsinitiativen wie jene in den 1990er-Jahren heute ungemein komplexer wären, selbst wenn der politische Wille dafür da wäre. Vor 30 Jahren hatten die 75 ärmsten und finanziell angeschlagensten Länder der Welt fast zwei Drittel ihrer Kredite bei westlichen Geberländern wie den USA, dem Vereinigten Königreich oder Deutschland aufgenommen. Heute stammt weniger als ein Drittel der Darlehen von westlichen Industrieländern. Vor allem China ist neu hinzugekommen und zählt inzwischen zu den größten Einzelgläubigern der ärmsten Staaten: Fast ein Sechstel ihrer Schulden haben sie bei der Regierung in Peking. Dazu kommt, dass viele der neuen Kreditgeber private Unternehmen sind.

US-Finanzministerin Janet Yellen bei einem Besuch im Senegal im Jänner. Die Finanzministerin kündigte in mehreren afrikanischen Staaten Unterstützung an – eine effektive Entschuldung scheiterte bisher aber.
Foto: AP

Das macht Debatten über mögliche Entschuldungen politisch heikler und schwieriger. Beispiel Sambia: Das Land ist bereits 2020 in die Pleite gerutscht, China auf der einen Seite und die USA sowie der Währungsfonds auf der anderen können sich seither nicht auf eine gemeinsame Entschuldung des Staates einigen, wobei sich beide gegenseitig die Schuld für die Blockade geben. Sambia konnte bisher nicht entschuldet werden. Der Westen sagt, weil China nicht bereit sei, auf Geld zu verzichten, aus Peking kommt der umgekehrte Vorwurf.

Der Krieg in Europa macht afrikanische Länder, die bisher im Wesentlichen keine Sanktionen gegen Russland beschlossen haben, politisch interessanter. Auch Schallenberg warb in Katar für Europas harte Position gegenüber Russland. Das allein bringt freilich noch keinen Entschuldungsdeal.

Um an frisches Geld zu kommen, forderte die Ökonomin und Uno-Beraterin Duarte in Katar eine massive Mobilisierung inländischer Ressourcen in Entwicklungsländern. Das sei der einzige Weg, um die Finanzkrise im Süden nachhaltig in den Griff zu bekommen. Viele ärmere Länder sind tatsächlich nicht in der Lage oder willens, Unternehmen und Bürger effektiv zu besteuern.

In Bangladesch zum Beispiel belaufen sich die Steuereinnahmen auf umgerechnet gerade acht Prozent der Wirtschaftsleistung. In Sambia sind es 16 Prozent, in Malawi zwölf Prozent. Zum Vergleich: In Österreich sind es über 43 Prozent. Eine höhere Steuerlast mag für die Bürgerinnen und Bürger belastend wirken – global gesehen gibt es freilich die größten Probleme dort, wo der Staat nicht zu genügend Ressourcen kommen kann. (András Szigetvari, 7.3.2023)