Valie Export im Kunsthaus Bregenz.

Foto: M. Tretter / Kunsthaus Bregenz, Valie Export / Bildrecht

Wer auch immer dieses Notenblatt um eine Orgelpfeife in der Wallfahrtskirche auf dem Linzer Pöstlingberg gewickelt hat, wird wohl kaum damit gerechnet haben, damit dereinst zu einer Anti-Kriegs-Kunstinstallation beizutragen. Das auf dem vergilbten Papier noch leserliche "Dona" lässt jedenfalls darauf schließen, dass es sich hier um den Kanon Dona nobis pacem ("Gib uns Frieden") handelt.

Die Botschaft wäre damit geklärt, man wähnt sich im Erdgeschoß des Kunsthauses Bregenz zunächst trotzdem in einem Waffenarsenal. Erstaunlich, welch martialische Wirkung vor allem die verzinkten Pfeifen einer Kirchenorgel entwickeln können: Wie Stalaktiten hängen sie kopfüber von der Decke, stehen als Raketenbündel im Raum oder wurden zur sogenannten Stalinorgel arrangiert. Diesen Namen erhielt ein im Zweiten Weltkrieg eingesetzter sowjetischer Mehrfachraketenwerfer wegen des pfeifenden Geräuschs, das beim Abschuss verursacht wurde.

Orgelpfeifen oder Stalinorgel? Erstaunlich, welch martialische Wirkung die verzinkten Pfeifen einer Kirchenorgel entwickeln können.
Foto: M. Tretter / Kunsthaus Bregenz, Valie Export / Bildrecht

In Bregenz kommt einem gänzlich anderes zu Ohren, nämlich Charles Mingus' auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges entstandener Jazz-Protestsong Oh Lord, Don't Let Them Drop that Atomic Bomb on Me.

Valie Export brachte ihn schon einmal zum Einsatz, und zwar in ihrem Film Aktionskunst International aus dem Jahr 1989. Der Song diente darin als Soundtrack für den Situationismus. Nun hat sich die heute 82-jährige österreichische Pionierin der feministischen Medien- und Performancekunst den Titel für eine Tonskulptur zu eigen gemacht, die ambivalente Gefühle zwischen Nostalgie und Alarmismus weckt. Einer Eskalation des Kalten Krieges mag die Welt noch von der Schippe gesprungen sein, angesichts der aktuellen Weltenlage gärt jedoch neue Angst.

Peter Madsen, langjähriges Mitglied der Charles Mingus Band, hat Oh Lord neu arrangiert, bei der Einspielung kamen die Orgelpfeifen als Blasinstrumente zum Einsatz. Dass sich die sakralen Klangkörper auf der visuellen Ebene in furchteinflößende Geschoße verwandeln, zeitigt effektvolle Irritationen. Und ist zugleich auch unverfänglicher als jene Unterschrift, von der sich Valie Export inzwischen vorsichtig distanziert: Sie gehörte zu den ersten Unterzeichnerinnen des von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht initiierten "Manifests für den Frieden", das seit Wochen heftig diskutiert wird.

"Aggressives Klima"

Das "aggressive Klima", das sich gegenwärtig breitmache, müsse dennoch kritisch reflektiert werden, sagt die Künstlerin im STANDARD-Gespräch. Parallel zu der eigens für das Kunsthaus-Foyer entstandenen Antikriegs-Installation lädt das Haus in den nächsten Wochen mit wechselnden Gästen zu Gesprächsformaten über Begriffe wie "Mut", "Angst", "Armut" oder "Friede".

Bezüge lassen sich in Bregenz aber auch zu Valie Exports frühen künstlerischen Beschäftigungen mit der menschlichen Stimme ausmachen, etwa im Tonfilm aus dem Jahr 1969. Dass die Luftschlitze in den Pfeifenkörpern im Fachjargon als "Lippen" bezeichnet werden, war jedenfalls ein willkommener Anknüpfungspunkt bei der Auseinandersetzung mit dem Material, das aus der Wallfahrtsbasilika Sieben Schmerzen Mariä in Linz stammt, die die Künstlerin aus Kindertagen kennt. Als Export erfuhr, dass die Kirchenorgel durch eine neue ersetzt werden soll, ließ sie die rund 120 ausrangierten Orgelpfeifen in ihr Wiener Atelier transportieren. Die nähere Inspektion förderte auch oben erwähntes Notenblatt zutage.

Marienkirche

Für die neue Orgel auf dem Pöstlingberg schuf Export schließlich auch ein Ornament mit dem Schriftzug "Wer begreift, hat Flügel". Was hat die feministische Künstlerin zur Arbeit im Kirchenraum bewogen? Nicht zuletzt auch die Tatsache, dass es sich bei der Basilika auf dem Pöstlingberg um eine Marienkirche handelt, sagt Export.

Denn gerade in der Figur der Maria würde sich das auf dem vereinfachenden Dualismus von "gut" und "böse" basierende Frauenbild der Religionen spiegeln. Und auch die ausgemusterten Elemente eines sakralen Klangkörpers hätten sich in Bregenz nicht zufällig in Kriegswerkzeuge verwandelt: Schließlich wurden und werden kulturelle Kämpfe immer wieder auch aufgrund von Religionen geführt. (Ivona Jelcic, 7.3.2023)