In vielen Staaten wird bei der Erdölförderung Erdgas abgefackelt, wie hier im Süden des Irak.

Foto: AFP / Hussein Faleh

Über einem Schornstein im südöstlichen Irak lodert eine Flamme. Sie verbrennt überschüssiges Erdgas, das bei der Förderung von Erdöl frei wird. Und sie ist nicht die einzige: In der Region liegen einige der größten Erdölfelder der Welt, fast rund um die Uhr brennen über den Anlagen helle Feuer. Sie verpesten die Luft mit Schmutzpartikeln – und emittieren enorme Mengen Methan. Dieses oft unterschätzte Treibhausgas erhitzt die Welt über eine Zeitspanne von 20 Jahren um über 80-mal stärker als CO2. Nach der Landwirtschaft ist die Energieindustrie der zweitgrößte Emittent.

Das sogenannte Abfackeln von Erdgas ist in vielen erdölfördernden Ländern Usus. Am meisten Erdgas wird in Russland abgefackelt, gefolgt vom Irak, dem Iran, den USA und Algerien. In vielen Fällen ist es für die Erdölindustrie schlicht wirtschaftlicher, Erdgas zu verbrennen, statt es zu sammeln. Das Erdöl, das von diesen Anlagen aus exportiert wird, geht in alle Welt – auch nach Europa.

Auf den Erdölfeldern im südlichen Irak werden riesige Mengen an Erdgas verbrannt – eines davon ist das Nahr-Bin-Omar-Feld in der Nähe der Hafenstadt Basra.
Foto: AFP / Hussein Faleh

Diesen Hebel will die EU nutzen. Oder genauer: Teile der EU-Kommission versuchten das. Nach langen internen Verhandlungen legte die Kommission im Dezember 2021 dann jedoch den Entwurf für eine Verordnung vor, der zunächst kaum verbindliche Vorgaben für Energieimporte macht. Er richtet sich vor allem an innereuropäische Produzenten, die ihre Anlagen besser auf Methanlecks überprüfen sollen. Als sich dann die Mitgliedsstaaten im Dezember auf ihre Position zu dem Vorhaben einigten, war klar: Auch für innerhalb Europas verliert der Verordnung endgültig ihre Zähne, wenn sich die Mitgliedsstaaten durchsetzen.

Was war passiert? Einen Einblick liefern bislang unveröffentlichte Dokumente, die DER STANDARD unter anderem mittels Informationsfreiheitsanfragen von EU-Kommission und Rat erhielt. Sie zeigen: Die Änderungsanträge einiger Mitgliedsstaaten entsprechen fast exakt dem Wortlaut jener Forderungen, die zuvor große Energiekonzerne formuliert hatten. Sie verlangen mehr Ausnahmen für das Abfackeln von Erdgas, laschere Messmethoden und längere Fristen für die Umsetzung der Regeln.

Auf der Europäischen Gaskonferenz, auf der sich die Branche diese Woche in Wien trifft, wird die Regulierung wohl auch Thema sein.

IEA: Konzerne sind bei Methanlecks nachlässig

Wie groß das Problem ist, um das es dabei geht, zeigt eine Analyse der Internationalen Energieagentur (IEA), einer Organisation der Industriestaatenvereinigung OECD mit Sitz in Paris. In einem im Februar 2022 veröffentlichten Bericht schreibt sie: Die Methanemissionen des Energiesektors seien um 70 Prozent höher, als Staaten in ihren offiziellen Zahlen behaupten. Das beheizt den Planeten massiv, insgesamt ist Methan für bis zu 30 Prozent der Erderhitzung verantwortlich.

Dabei ließe sich das ganz einfach verhindern, sagt die IEA. Ganze 75 Prozent der Emissionen könnten ohne großen Aufwand und ohne teure Investitionen eingespart werden – das entspricht der Menge an Erdgas, die Russland vor dem Angriff auf die Ukraine in die EU lieferte. Sowohl für die Gesundheit der Menschen, die in der Nähe von Ölfeldern leben, als auch für die Energiesicherheit hätte es große Vorteile, all dieses Erdgas aufzufangen.

Ein Auszug aus einem Änderungsvorschlag des französischen Energiekonzerns Engie. Die gesammelten Dokumente, die DER STANDARD erhielt, können Sie unter dem Text einsehen.
Foto: DER STANDARD

Dennoch würden Energiekonzerne nachlässig mit ihren Methanemissionen umgehen, kritisiert die IEA im Februar 2023 weiter. Das gilt neben dem Erdöl- und Erdgasbereich auch für die Kohleförderung. Der "Guardian" zeigte unlängst, dass es allein im vergangenen Jahr aufgrund vom Ablassen von Erdgas und von Unfällen mit schlecht gewartetem Material zu 1.000 "Super-Emitter"-Events kam – also Vorfällen, bei denen besonders viel Methan ausgestoßen wird. Das größte von ihnen hatte laut "Guardian" dieselbe Klimawirkung wie 67 Millionen Autos.

EU-Kommission warnt: Das reicht nicht

Die neue Methanverordnung soll die Lage verbessern. Unternehmen sollen ihre Infrastruktur öfter auf Lecks prüfen, das Abfackeln und Ablassen von Erdgas soll verboten werden, und auch verlassene Minen und Bohrlöcher sollen kontrolliert werden.

Viele Industrievertreter melden jedoch lautstark Bedenken an. In einem gemeinsamen Brief fordern verschiedene Verbände der Gasindustrie, die EU müsse auf die "Verhältnismäßigkeit" des Vorhabens achten. "Die Verordnung sollte vermeiden, dass den Endnutzern und der Gesellschaft kostspielige Maßnahmen vorgeschrieben werden, die keinen oder nur einen geringen Minderungseffekt haben", heißt es in einem der Schreiben, die dem STANDARD vorliegen.

Fünf europäische Gasverbände, Entsog, Eurogas, Gerg, Gie und Marcogaz, warnen vor einer einheitlichen Lösung für alle Unternehmen, die entlang der Erdgaslieferkette arbeiten. Sie fordern Flexibilität.
Foto: DER STANDARD

Umweltorganisationen halten dagegen, die Verordnung werde allzu stark verwässert – und erinnern an die Berechnung der IEA, dass 75 Prozent der Emissionen ohne teure Investitionen reduziert werden könnten. "Wenn der Text, den der Rat vorschlägt, angenommen wird, wird die Verordnung deutlich weniger Methanemissionen reduzieren", sagt Kim O'Dowd von der britischen Organisation Environmental Investigation Agency.

Kritik kommt auch von der EU-Kommission: Selbst EU-Energiekommissarin Kadri Simson warnt, dass die aktuelle Ratsposition ihren Vorschlag deutlich schwächen würde. "Die Änderungen zur Leckprüfung und -reparatur, zu verlassenen Bohrlöchern und zum Abfackeln und Ablassen von Erdgas könnten uns davon abhalten, die effektive Reduktion von Methanemissionen bereits kurzfristig zu erreichen", schrieb sie in einem Brief an eine EU-Parlamentarierin.

Welche Messmethoden?

Konkret beginnt die Diskussion um die neue Verordnung bereits bei der Messung der Emissionen. Diese will die Energiebranche breiter fassen, als die EU-Kommission es ursprünglich vorschlug. So empfiehlt der französische Energieriese Engie, die Verordnung solle nicht nur von "Messungen" der Emissionen sprechen, sondern auch von "Quantifizierungen" – also von Berechnungen und Schätzungen, weil in vielen Fällen die direkte Messung nicht möglich sei. Auch die Energiekonzerne Equinor aus Norwegen, ENI aus Italien und MOL aus Ungarn fordern diesen Zusatz.

Die Änderungsvorschläge, die die Staaten im Rat einreichten, zeigen: Zumindest die Niederlande, Ungarn, Tschechien und Polen übernehmen das Argument. Es sei "nicht möglich, jede mögliche Methanquelle direkt zu messen", meint die niederländische Regierung. Tschechien schlägt vor, das Wort "direkte Messung" durch "Quantifizierung" zu ersetzen. Ähnlich klingen die Änderungsanträge Ungarns sowie Polens – möglicherweise auch um die starke Kohleindustrie im Land zu schützen sowie zusätzliche Kosten für die Wartung von Pipelines zu verhindern.

Eine Infrarotkamera zeigt Emissionen eines Untergrundlagers des Gasunternehmens Snam in Minerbio, Italien, bei denen es sich um Methan handeln dürfte.
Foto: Reuters / CATF

Weniger Kontrollen, mehr Ausnahmen

Weiter hatte die EU-Kommission vorgeschlagen, dass fossile Infrastruktur künftig alle drei Monate auf Methanlecks geprüft werden soll. Diese Vorgabe stößt in der Energiebranche auf Ablehnung. So argumentiert die internationale Vereinigung von Erdöl- und Erdgasproduzenten (IOGP), dass ein "extensives und häufiges Monitoring" nicht der effektivste Weg sei, um Methanemissionen zu reduzieren, und fordert, dass nur alle zwölf Monate nach Lecks gesucht werden soll. Und die Thüga AG, Deutschlands größtes Netzwerk kommunaler Energiedienstleister, warnt, die dreimonatige Kontrolle würde die Ressourcen von Unternehmen und Behörden überstrapazieren – außerdem gebe es in Europa gar nicht ausreichend Service-Anbieter, die die vielen Messungen durchführen könnten.

Sowohl Polen und Spanien gingen auf die Forderung ein: Es solle nur einmal im Jahr kontrolliert werden. Ungarn und Rumänien wiederum schlugen vor, einmal im Jahr vor Ort zu prüfen – und alle sechs Monate eine Fernerkundung von Methanquellenebene durchzuführen.

Im Rat gingen die Staaten dann einen Kompromiss ein: Statt wie von der Kommission vorgeschlagen alle drei Monate zu prüfen, soll die Frist auf sechs Monate gesteckt werden.

Details mit großer Wirkung

Sechs statt drei Monate: Was zunächst nicht weiter spektakulär klingt, macht für den Methanausstoß einen deutlichen Unterschied. Laut der Organisation Environmental Defense Fund (EDF), die seit vielen Jahren Methanemissionen beobachtet, könnten halbjährliche Prüfungen mithilfe von Gasdetektionskameras etwa 60 Prozent der Emissionen aus Lecks verhindern, während der dreimonatige Test 75 bis 80 Prozent schaffen würde. "Vierteljährliche Erhebungen gelten als Mindestanforderung, um ein zufriedenstellendes Niveau zu erreichen", fasst Flavia Sollazzo, Direktorin für die Energiewende bei EDF Europa, zusammen.

Viele Markteilnehmer würden natürlich auch sehr wichtige und hilfreiche Beiträge zur Verordnung liefern, ergänzt Sollazzo. "Aber das Gesetz ist so technisch, dass es sehr schwer ist, eine gemeinsame Regulierung zu finden. Das Ergebnis ist in vielen Fällen ein kleinster gemeinsamer Nenner."

Geplantes Abfackeln nicht pauschal verbieten

Abgeschwächt werden sollen auch die Auflagen für das Abfackeln oder Ablassen von Erdgas. Dazu schlagen unter anderem die Gasverbände Entsog, Eurogas, Gerg, Gie und Marcogaz vor, das Ablassen von Erdgas in kleinen Mengen zu erlauben. Als konkrete Grenze nennen sie 50 Kilogramm von Methan – dem Hauptbestandteil von Erdgas – "pro Event". Genau diese Zahl findet sich in den Änderungsanträgen von Italien, den Niederlande und Polen wieder. Umweltverbände schätzen diesen Grenzwert als viel zu hoch ein.

Ein Schild vor einer Erdgasanlage in Polen warnt: "Achtung! Explosionsgefahr. Zone 2" und "Erdgas – Feuer fernhalten".
Foto: REUTERS / Kacper Pempel

In ein Gesetz gegossen ist die verwässerte Version, auf die sich der Rat dann schließlich einigte, noch nicht. Zuerst muss das EU-Parlament seine Position festlegen – dann geht es in den sogenannten Trilog, die Verhandlung zwischen Rat und Parlament auf Grundlage der jeweiligen Änderungen des Kommissionsvorschlags. Energiekommissarin Simson richtet sich dazu an die Mitgliedsstaaten. "Ich lade sie ein, im Trilog Flexibilität zu zeigen", schreibt sie.

Österreich unterstütze den Vorschlag der Kommissarin, erklärt das Klima- und Energieministerium, in dessen Kompetenz die Verordnung fällt. "Methan ist ein hochpotentes Treibhausgas. Jedes Leck soll so schnell als möglich gefunden und geschlossen werden", so das Ministerium.

Von der OMV heißt es, sie habe bereits im vergangenen Jahr ein Projekt gestartet, um die voraussichtlich kommenden Vorgaben der EU-Methanverordnung zur Entdeckung und Reparatur von Lecks umzusetzen. Sie nutze Drohnen, Satellitendaten und akustische Leckbildgebung. 2021 wurden 410 Millionen Kubikmeter Erdgas routinemäßig abgefackelt, 2020 waren es noch 462 Millionen gewesen. Bei der Exploration und Produktion lag die Methanintensität der OMV 2021 bei 0,6 Prozent, bis 2025 soll sie auf 0,2 Prozent sinken.

Kommission schlägt vor, Rolle der Importe 2025 zu prüfen

"Wir wollen deutlich nachschärfen", sagt die Europaabgeordnete Jutta Paulus. Sie ist eine der Parlamentarierinnen, die federführend an dem Vorhaben arbeiten. Auch für Importe will sie strengere Regeln schaffen. Die EU importiert 90 Prozent ihres Erdgases und 97 Prozent ihres Erdöls. "Wenn wir das ignorieren, hat die Verordnung kaum Gewicht", so Paulus. Derzeit sieht die Kommission vor, dass Importeure im ersten Schritt Informationen dazu vorlegen müssen, wie ihre Lieferanten Emissionen messen und berichten. Ihre Angaben sollen in einer Transparenzdatenbank veröffentlicht werden. Als zweiten Schritt schlägt die Kommission vor, die Verordnung ab 2025 zu prüfen.

"Aber das ist sehr vage. Wir müssen die Verordnung jetzt richtig hinbekommen", so Paulus. Doch unter anderem auch Abgeordnete aus Deutschland hätten sich gegen die Erweiterung der Verordnung auf Importe gestemmt, erzählt sie. "Es heißt dann immer, wir wollen verhindern, dass internationale Konzerne einen Bogen um Europa machen. Aber ich bezweifle stark, dass Energiekonzerne den größten Importeur weltweit, den europäischen Markt, liegen lassen würden." Nicht zuletzt gehe es bei der Regulierung für Importeure auch darum, Erdgas nicht länger zu verschwenden.

In Zahlen der IEA: Wäre im Jahr 2021 all das Erdgas, das durch fossile Projekte freigesetzt wurde, eingefangen und verkauft worden, wäre das so viel gewesen, wie der europäische Stromsektor im selben Jahr verbrannt hat.

Globales Methanabkommen erfüllen

Mit dem Vorschlag will die EU ihre Zusage zum Global Methane Pledge umsetzen – einer internationalen Vereinbarung, die die Staaten auf der Weltklimakonferenz in Glasgow unterzeichnet haben. Dort versprechen die Staaten, die Methanemissionen bis 2030 im Vergleich zu 2020 um mindestens 30 Prozent zu senken.

Eine Frau läuft auf Sandbarrikaden über von Erdöl verschmutztem Wasser im nigerianischen Niger-Delta. Im Hintergrund wird Erdgas abgebrannt. Für Unternehmen wird das Abfackeln in Nigeria künftig teuer.
Foto: REUTERS / Afolabi Sotunde

Seither haben Staaten wie Nigeria, Kanada und die USA – allesamt mit großer Öl- und Gasproduktion – ihre Regeln nachgebessert. Nigeria legt fest, dass Infrastruktur im ersten Jahr einmal jährlich auf Lecks geprüft werden soll, im zweiten dann zweimal und ab dem dritten Jahr viermal. Das Ablassen von Gas wird verboten, fürs Abfackeln müssen Unternehmen zahlen.

Kanada erhöht die Prüfrate von dreimal im Jahr auf monatlich und verbietet Ablassen und Abfackeln komplett. Und die USA erlässt etwa eine eigene Steuer für Methanemissionen in der Energiewirtschaft – es ist das allererste Mal, dass die USA Treibhausgasemissionen direkt besteuert.

In vielen anderen großen erdöl- und erdgasproduzierenden Länder hat sich hingegen bislang wenig verändert. Es brauche mehr Druck auf Öl- und Gasimporteure, fordert Sollazzo vom EDF. "Die EU produziert selbst wenig, hat aber über die großen Importmengen so ein starkes Marktgewicht", sagt sie. "Die Verordnung muss unbedingt sitzen." (Alicia Prager, Alexander Fanta, 27.3.2023)