Der Suizid eines Jugendlichen löst in Polen heftige Diskussionen darüber aus, inwiefern die Veröffentlichung seiner Identität instrumentalisiert wurde.

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Der Suizid des Sohnes einer polnischen Oppositionspolitikerin in der vergangenen Woche hat eine heftige Debatte über die Politisierung von regierungsnahen Medien in Polen ausgelöst. Der damals 13-Jährige war 2020 von einem Politiker und LGBT-Aktivisten sexuell missbraucht worden, der Täter – er ist ebenso wie die Mutter des Opfers Mitglied der wirtschaftsliberalen Partei Bürgerplattform (PO) – wurde ein Jahr später aufgrund mehrerer Delikte zu vier Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt.

Obwohl die polnische Rechtslage in so einem Fall vorsieht, die Identität eines minderjährigen Opfers nicht preiszugeben, ihm also besonderen Schutz zukommen zu lassen, veröffentlichte das staatliche Radio Szczecin im Dezember vergangenen Jahres in einem Beitrag Informationen über den Fall, anhand derer ein Rückschluss auf die betroffene Person beziehungsweise dessen Mutter möglich war.

Die Politikerin selbst machte den Suizid ihres mittlerweile 15-jährigen Sohnes öffentlich, als sie am Samstag eine Parte auf Facebook veröffentlichte. Seitdem häuft sich der Vorwurf, dass die Berichterstattung ein wesentlicher Auslöser des Suizids gewesen sein könnte. Experten betonen allerdings, dass jeder Suizid auf eine Vielzahl von Ursachen zurückzuführen sei.

Vorwurf der politischen Kampagne

Innerhalb der polnischen Öffentlichkeit wird heftig über die Frage diskutiert, inwiefern das Aufgreifen des Vorfalls aus dem Jahr 2020 zwei Jahre später von politischen Motiven bestimmt gewesen sein könnte. So schreibt die linksliberale "Gazeta Wyborcza", dass regierungsnahe Medien die Berichterstattung als "Kampagne" lanciert hätten, die wiederum von Personen der regierenden rechtsnationalistischen PiS-Partei aufgegriffen und instrumentalisiert worden sei.

So habe die PiS der Oppositionspartei PO vorgeworfen, den Fall bewusst zu verschweigen, und die Einrichtung einer Untersuchungskommission gefordert. In zwei Fällen seien Artikel über den Vorfall gemeinsam mit Bildern der Politikerin geteilt worden, wodurch die Wahrung der Anonymität ein weiteres Mal verletzt wurde. Die PO wies solche Anschuldigungen zurück: Man habe den Namen des Kindes aus Gründen des Opferschutzes nicht genannt; es sei nicht um den Schutz des Täters gegangen.

Als Reaktion schrieb der ehemalige Regierungschef und heutige PO-Chef Donald Tusk auf Twitter, die PiS für "alle menschlichen Schäden und Tragödien" zur Rechenschaft ziehen zu wollen. Wie die "Berliner Zeitung" schreibt, wurde bereits eine Petition gestartet, um dem Journalisten, der den ursprünglichen Beitrag erstellt hatte, eine Auszeichnung durch Präsident Andrzej Duda abzuerkennen. (Tizian Rupp, 7.3.2023)