An Wissenschaftsminister Martin Polaschek wurde eine Aufsichtsbeschwerde wegen der Wahl der Gründungspräsidentin der Digital-Uni Linz herangetragen.

Foto: APA / FOTOKERSCHI.AT / KERSCHBAUMMAYR

Die in Planung befindliche sogenannte Digital-Uni oder Technische Uni (TU) Linz, die offiziell "Institute of Digital Sciences Austria" (IDSA) heißen soll, ist schon wieder in schweren Turbulenzen. Laut STANDARD-Informationen hat nämlich ein Mitglied des Gründungskonvents, der erst am Sonntag die Informatik-Professorin Stefanie Lindstaedt von der TU Graz zur Gründungspräsidentin gewählt hatte, eine Aufsichtsbeschwerde "über die Rechtmäßigkeit der Bestellung des Gründungspräsidenten oder der Gründungspräsidentin" eingebracht. Laut einem dem STANDARD vorliegenden Schreiben des Wissenschaftsministeriums wurde ein aufsichtsbehördliches Verfahren eingeleitet, der Gründungskonvent um eine Stellungnahme bis 20. März gebeten.

Das Schreiben im Namen von Minister Martin Polaschek (ÖVP) an die Konventsmitglieder endet mit dem Hinweis: "Es darf angeregt werden, den eingeleiteten Bestellvorgang für den Gründungspräsidenten oder die Gründungspräsidentin (insbesondere arbeitsrechtliche Schritte) bis zur möglichst raschen abschließenden Klärung der mit der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen zu verschieben."

Das Gremium wies am Mittwoch die Vorwürfe des Beschwerde führenden Mitglieds scharf zurück und behält sich rechtliche Schritte vor.

Wie der Zeitplan, der schon im heurigen Herbst den Start des Studienbetriebs vorsieht, unter diesen Umständen halten soll, ist Eingeweihten völlig schleierhaft. Der Linzer Bürgermeister forderte schon am Montag erneut eine Verschiebung des Starttermins. Der Zeitplan sei "irrational und inhaltlich nicht ausgereift", sagte Klaus Luger (SPÖ).

Wohingegen die Hintergründe der holpernden Uni-Gründung für mit der Sache näher Befasste nicht völlig im Dunkeln liegen.

Viel politischer Sand im Getriebe

Was also ist da los in Linz? Die ganze Genese der TU Linz ist von Beginn an – seit der politischen Absprache zwischen Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) und dem damaligen Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz, der ihm im August 2020 das Prestigeobjekt versprochen hatte – durchdrungen von intransparenten Hinterbühnenvorgängen, die viel mit politischer Einflussnahme und spezifischen Interessenlagen zu tun haben.

Die Gemengelage im Hintergrund ist komplex und lässt sich so auf den Punkt bringen: Es gibt maßgebliche Gruppen, die schon im Vorfeld der Gründungspräsidentschaftswahl sehr deutlich gemacht haben, wer es werden soll, wen sie haben wollen: Der Wunschkandidat von Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP), aber auch der oberösterreichischen Industriellenvereinigung (IV), die stark mitmischt, war – und ist – der derzeitige Rektor der Johannes-Kepler-Universität (JKU) Linz, Meinhard Lukas. Er hatte sich von Anfang an um die Funktion beworben und angekündigt, auch nicht mehr für eine weitere Periode als JKU-Rektor zur Verfügung stehen zu wollen. Am Sonntag wurde dann aber Lindstaedt gewählt. Schon da gab es Kritik an der Entscheidung, etwa von der Industriellenvereinigung Oberösterreich, die auch den Auswahlprozess des wählenden Gründungskonvents infrage stellte.

Kurzfristig verschobenes erstes Hearing

Den ersten Knall in der Causa TU Linz hatte es bereits vor den für 24. und 26. Jänner angesetzten Hearings für die Gründungspräsidentschaft gegeben. Diese mussten nämlich völlig überraschend kurzfristig abgesagt bzw. verschoben werden, nachdem der Rektor der Universität für angewandte Kunst, Gerald Bast, sein Mandat im Konvent einen Tag vor den Hearings zurückgelegt hatte. Im STANDARD-Interview begründete Bast seinen Schritt so: "Der Grund für meinen Rücktritt als Konventsmitglied ist, dass es mehrere Befangenheiten gibt und es daher einen Rumpfkonvent geben könnte, der diese wichtige Personalentscheidung trifft." Auch mit der inhaltlichen Arbeit des Gremiums zeigt er sich unzufrieden.

Jedenfalls war der Konvent durch diesen Schritt nicht mehr handlungsfähig, die acht eingeladenen Kandidatinnen und Kandidaten mussten kurzerhand wieder ausgeladen werden, bis sie nun Anfang März tatsächlich in Linz vor dem Konvent ihre Vorstellungen für die Gründungsphase der TU Linz erklären konnten. Das Ministerium hatte in der Zwischenzeit den Rektor der Montan-Uni Leoben, Wilfried Eichlseder, nachnominiert.

Insgesamt gehören dem Konvent neun Persönlichkeiten an: Das Wissenschaftsministerium entsandte neben Bast auch den Vizevorstand des Instituts für Informatik-Systeme an der Uni Klagenfurt, Martin Hitz, und Johanna Pirker von der TU Graz (Institute of Interactive Systems and Data Science). Das Klimaministerium nominierte den Vizerektor der Johannes-Kepler-Universität (JKU) Linz, Christopher Lindinger, und die Aufsichtsrätin des Austrian Institute of Technology (AIT), Katja Schechtner; der Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) den von der LMU München kommenden Informatik-Professor Dieter Kranzlmüller und die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) die Vizerektorin der TU Graz, Claudia von der Linden, die dann Vorsitzende des Konvents wurde. Das Land Oberösterreich entsandte den CEO des Softwareunternehmens Fabasoft GmbH, Helmut Fallmann, und die Geschäftsführerin des Metallunternehmens Mark, Christina Rami-Mark.

Konventsmitglied zieht Auswahlprozess in Zweifel

Die Aufsichtsbeschwerde jetzt hat der Konventsvertreter des Landes Oberösterreich eingebracht, das ja größtes Interesse am baldigen Start der TU Linz hat: Fabasoft-Gründer Fallmann, dessen Produkte auch im Amt der Oberösterreichischen Landesregierung etwa bei der elektronischen Aktenbearbeitung zum Einsatz kommen, listet auf 14 Seiten auf, warum der Minister die Wahl von Gründungspräsidentin Lindstaedt für nichtig erklären soll. Der Informatik-Absolvent der JKU zieht die "Sachlichkeit des Auswahlprozesses" für die Findung eines Präsidenten oder einer Präsidentin und "insbesondere die Unbefangenheit des Gründungskonvents" bei der Wahl der Gründungspräsidentin "in Zweifel".

Beobachterinnen und Beobachter des ganzen Vorgangs wundern sich jedoch über die erneute Thematisierung der "Befangenheit" insofern, als ja alle bereits von Bast angedeuteten Befangenheiten aus dem Verkehr gezogen waren: Vorsitzende von der Linden und Pirker, beide an der TU Graz wie die Kandidatin Lindstaedt, sowie Lindinger, der als Vizerektor Mitglied des Rektoratsteams von Kandidat Lukas ist, hatten sich selbst für befangen erklärt und damit nicht an der Wahl der Gründungspräsidentin teilgenommen.

Fallmann eröffnet seine Begründung mit dem Punkt "Unzulässsige Wahlbeeinflussung / Übernahme einer vorgefassten Meinung" und beginnt mit einem Absatz über die krankheitsbedingte Verlegung des Hearings von Lindstaedt vom 2. auf den 4. März – und fügt den Halbsatz "und somit nach dem Termin des Kandidaten Meinhard Lukas" hinzu, ohne diesen genauer auszuführen.

Recht auf ein faires Verfahren

Um Lukas geht es dann auch in einer E-Mail, die Fallmann zitiert. Diese habe ein JKU-Professor – laut STANDARD-Recherchen übrigens an fast alle Konventsmitglieder, deren E-Mail-Adressen auffindbar waren – geschickt und darin von einer Wahl von JKU-Rektor Lukas zum Gründungspräsidenten dringend abgeraten, zum Beispiel mit dem Argument "Als oberösterreichischem Juristen fehlt Herrn Lukas die erforderliche internationale Erfahrung". Diese E-Mail habe die vorsitzführende stellvertretende Konventsvorsitzende Rami-Mark (von der Linden hatte sich ja für befangen erklärt) dem Konvent "erst am Tag der Wahl" vorgelegt und damit eine "unzulässige Beeinflussung der wahlberechtigten Mitglieder" betrieben, heißt es in Fallmanns Sachverhaltsdarstellung. Lukas habe dazu auch keine Stellung nehmen können, womit sein "Recht auf ein faires Verfahren" verletzt worden sei.

Einen weiteren Punkt widmet Fallmann Lindstaedts Eignung für das Präsidentinnenamt für die neue Uni. Sie ist Leiterin des Instituts of Interactive Systems and Data Science der TU Graz und Geschäftsführerin der am TU-Campus angesiedelten Know Center GmbH, einem Innovations- und Forschungszentrum für vertrauenswürdige KI und Data Science, an dem die TU Graz zu 50 Prozent beteiligt ist.

Fallmann bezieht sich in Sachen Eignung auf das Bundesgesetz über die Gründung des Institute of Digital Sciences Austria. Dort heißt es in Paragraf 8: "Zur Gründungspräsidentin oder zum Gründungspräsidenten kann nur eine Wissenschafterin oder ein Wissenschafter mit internationaler Erfahrung, Kenntnissen des österreichischen und europäischen Hochschulsystems, Kompetenz im Wirkungsbereich der Universität (§ 2) und Kenntnissen und Fähigkeiten zur organisatorischen und wirtschaftlichen Leitung einer Universität gewählt werden." Fallmann schreibt: "Diese Kenntnisse und Fähigkeiten liegen bei der Kandidatin Lindstaedt nicht vor. Stefanie Lindstaedt hat keinerlei Erfahrung in der Leitung einer Universität, dies in eindeutigem Gegensatz zum Kandidaten Meinhard Lukas."

Mit unipolitischen Vorgängen dieser Art befasste Fachleute bezweifeln allerdings stark, dass mit dieser eng geführten Interpretation des Gesetzespassus "Fähigkeiten zur organisatorischen und wirtschaftlichen Leitung einer Universität" tatsächlich nur die "Leitung" im Sinne eines Rektorats gemeint ist. Denn das hätte ja bedeutet, dass sich ausschließlich Rektorinnen und Rektoren hätten bewerben dürfen. Leitungsfunktionen gibt es an Universitäten aber in vielfacher Ausprägung.

Heiratsurkunde aus dem Grundbuch

Sogar die "im Grundbuch öffentlich einsehbare" Heiratsurkunde wird gegen die Wahl Lindstaedts in Stellung gebracht: Ihr Mann war in einer Expertengruppe, die ein wissenschaftliches Konzept für die Linzer Digital-Uni erarbeiten sollte, auf das in der Ausschreibung auch verwiesen worden sei, kritisiert Fallmann, die Gründungspräsidentin müsse ja für die Implementierung dieses Konzepts sorgen.

Nach diversen Geschäftsordnungsdetails schließt Fallmanns Papier an Wissenschaftsminister Polaschek mit der Forderung, die Wahl Lindstaedts zur Gründungspräsidentin "aufzuheben".

Aus Polascheks Büro hieß es dazu auf STANDARD-Anfrage am Dienstag, mit Lindstaedts Wahl sei "ein entscheidender und wichtiger nächster Schritt" zur Uni-Gründung gesetzt: "Damit kann nun die unmittelbare inhaltliche Arbeit vor Ort beginnen." Es gehe darum, eine entsprechende Organisations- und Personalstruktur aufzusetzen, "damit die neue Einrichtung über jene Agilität und Innovationskraft verfügt, die sie als Digitalisierungsuniversität braucht". In den nächsten Monaten stehe aber auch mit dem Gründungsbeirat "die Arbeit an der Entwicklung der Forschungsschwerpunkte und des eigentlichen innovativen Studienangebots an. Denn bereits im Herbst soll das Institute of Digital Sciences Austria seinen operativen Betrieb schrittweise aufnehmen."

Ministerium sieht zeitlichen Fahrplan nicht gefährdet

Zur eingelangten Aufsichtsbeschwerde und der Forderung nach Aufhebung der Wahl, die im Ministerium jedoch als "entscheidender und wichtiger nächster Schritt" gemäß des selbstauferlegten Zeitplans gewertet wird, hieß es weiter: "Unter Berücksichtigung der knapp bemessenen zeitlichen Rahmenbedingungen bearbeitet das Wissenschaftsministerium derzeit die eingegangene Aufsichtsbeschwerde jedenfalls mit der gebotenen Sorgfalt. Dabei wird selbstverständlich auch dem betroffenen Gründungskonvent Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, bevor eine rechtliche Würdigung erfolgt. Aus derzeitiger Sicht bleibt es bei der planmäßigen Inbetriebnahme."

Das scheint auch nach wie vor das oberste Ziel der Landespolitik zu sein, auch wenn der Wunschkandidat für die Gründungsphase nicht zum Zug gekommen ist. Landeshauptmann Stelzer räumte im Gespräch mit den "OÖ Nachrichten" zwar offen ein, dass ihm der Linzer Rektor am liebsten gewesen wäre: "Bei Meinhard Lukas weiß ich, dass es zu 100 Prozent geklappt hätte", fügte aber mit Blick auf Lindstaedt hinzu: "Wir werden auch jetzt alles tun, dass es auf jeden Fall klappen wird." Es sei jedenfalls wichtig, dass die Uni schnellstmöglich starte, "damit niemand daran ruckeln kann".

Konvent behält sich rechtliche Schritte gegen Konventsmitglied vor

Am Mittwochvormittag kam dann eine scharfe Reaktion aus dem Büro des Gründungskonvents auf die Aufsichtsbeschwerde von Konventsmitglied Fallmann. Die für den Konvent "nicht nachvollziehbare Vorwürfe" rund um die Wahl der Gründungspräsidentin werden "in aller Deutlichkeit" zurückgewiesen: "Wir betonen, dass das Verfahren unter Einhaltung sämtlicher rechtlicher Vorgaben und Rahmenbedingungen durchgeführt wurde, die Hearings und die Wahl sogar unter Anwesenheit einer vom BMBWF als Gleichbehandlungsbeauftragte entsandten Juristin", teilte Konventsvorsitzende Claudia von der Linden mit. Das Gremium behalte sich rechtliche Schritte gegen Fallmann vor und lässt wissen: "Wir bedauern sehr, dass die für uns überraschende und unverständliche Intervention von Herrn Fallmann – nach der durch den Rücktritt von Herrn Bast erzwungenen einmonatigen Verschiebung der Hearings – die Entwicklung des IDSA neuerlich grundlos um mehrere Wochen verzögert." (Lisa Nimmervoll, 8.3.2023)

Update 10:05 Uhr: Stellungnahme des Gründungskonvents wurde eingefügt.