Es ist eine Szene aus der Schulzeit, an die sich Camila Schmid gut erinnern kann. Dabei ist sie bald zehn Jahre her. Es passierte in Mathe: Als der Lehrer hörte, dass mehrere Jugendliche – darunter auch Schmid – den Führerschein machen, sagte er: "Wenn ihr nachts ein Auto seht, das von alleine fährt, sitzt da die Camila drinnen."

Video-Reportage: Schwarzsein in Österreich
DER STANDARD

Damals habe sie die Aussage aus Selbstschutz abgetan und ihre Reaktion "an den weißen Raum" angepasst, mitgelacht. Sie hatte nicht immer die Kraft, sich zu wehren. Noch dazu war der Lehrer der Vertrauenslehrer der Schule, sagt Schmid, die sich mit den Erfahrungen keiner Lehrkraft anvertrauen konnte.

"Die Schule war für mich ein großes Sammelbecken für Rassismuserfahrungen, sie ist kein sicherer Ort für Schwarze Kinder oder Jugendliche of Colour", erzählt Schmid, die "Schwarz" als ermächtigende Selbstbezeichnung großschreiben will im Gegensatz zu "weiß". Die Studentin engagiert sich beim Verein Disrupt, der Antirassismus-Workshops an Schulen gibt. Sie will Jugendlichen helfen, sich zu wehren. Denn sie ist nicht allein mit der Erfahrung.

Schule als Tatort für Rassismus

Ethnische Herkunft und Rassismus sind die häufigsten Gründe, weshalb Kinder und Jugendliche diskriminiert werden. Und Schulen sind der häufigste Tatort. Das legen 121 Diskriminierungsfälle, die 2021 der Initiative für diskriminierungsfreies Bildungswesen (IDB) gemeldet wurden, nahe. Die Dunkelziffer dürfte höher liegen. Knapp ein Drittel – und damit die meisten – der Fälle passierten an Mittelschulen, AHS-Unterstufen und Sonderschulen. Am meisten geht die Diskriminierung – in rund zwei Dritteln – von den Lehrkräften aus, in 13 Prozent von Mitschülern.

Schülerinnen und Schüler machen die meisten Rassismuserfahrungen am Pausenhof und im Unterricht.
Christian Fischer

Dass solche Vorfälle zum Alltag vieler Menschen gehören, zeigt der Tag gegen Rassismus am 21. März auf. Der Black History Month im Februar rückt die Diskriminierung und Errungenschaften schwarzer Menschen in den Fokus. Ziel ist aber, darüber hinaus zu wirken: Aufklärung und Sensibilisierung sollen nicht auf einen Tag oder Monat beschränkt sein.

Bildung wird oft gefordert, um Antirassismus und Zivilcourage zu vermitteln. Kürzlich betonte Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) beim Holocaust-Gedenktag: "Bildung und Wissenschaft spielen für ein aktives ‚Nie wieder‘ eine zentrale Rolle." Für die Bildung gegen Antisemitismus stellt der Verein erinnern.at im Auftrag des Ministeriums Lehrmaterial bereit. In Österreichs Schulbüchern wird die NS-Vergangenheit recht oft behandelt. Schwarze Geschichte kommt hingegen kaum vor. Das kritisieren IDB und Black Voices, die Initiative hinter dem Antirassismus-Volksbegehren. Letztere hat 2021 Material gestaltet: über Menschenzoos oder afrikanische Raubkunst.

Gegen Stereotype im Unterricht

Eine, die es anders machen will, ist Lisa, die eigentlich anders heißt. Die Lehrerin unterrichtet Englisch an einer Wiener AHS. Auf Instagram klärt sie unter dem Namen "Diversität im Unterricht" über Rassismus und Diskriminierung auf.Im Unterricht thematisiert sie Kolonialismus und englischsprachige Länder abseits der USA und Großbritannien und, wie man rassistisches Verhalten erkennt, benennt und bekämpft. Sie achtet darauf, dass Schwarze nicht nur in Schulbüchern abgebildet sind, wenn es um Rassismus geht. "Die Materialien sind besser geworden im Vergleich zu meiner Schulzeit, aber es gibt immer noch Bilder, die Rassismus reproduzieren." Es sei schwer, gutes Material zu finden, viel erstelle sie selbst.

Spielerisch sollen die Kinder und Jugenlichen in Disrupt-Workshops verstehen, was Rassismus und weiße Vorherrschaft bedeuten.
Christian Fischer

In den Disrupt-Workshops sollen die Schüler mit Spielen und Bildern, die Stereotype aufdecken, sowie aktuellen Beispielen – wie die Debatte um Disneys schwarze Arielle – Rassismus und weiße Vorherrschaft verstehen. Aber auch, wie man rechte Parolen kontert oder mit Hass auf Social Media umgeht. Schmid freut es, wenn die Jugendlichen einen Aha-Moment haben: "Die Workshops sind quasi das Einzige, was man im System anbieten kann, solange Antirassismus nicht Teil des Lehrplans ist." Viele Schulen wüssten nicht von den kostenlosen OEAD-Kursen des Projekts "Extremismusprävention an Schulen". Die Kurse seien aber "nicht nachhaltig, weil die Inhalte nicht richtig internalisiert werden können, wenn es ein einmaliger Input bleibt".

Dass eine stete Beschäftigung mit dem Thema wirkt, weiß Lehrerin Lisa. So seien die Schüler durch Tiktok und Instagram sensibilisierter und fänden dort Gleichgesinnte. Und die Kinder berichteten ihr mehr von Vorfällen mit Mitschülern oder Lehrern. "Das kostet sie große Überwindung. Die meisten wollen, dass ich nichts dagegen mache – aus Angst, es könnte sich verschlimmern." Oder weil sie bereits erfahren hätten, dass es kleingeredet wurde und "nix passiert". Es sei wichtig, dass Lehrende den Schülern die Erfahrung nicht absprechen, sondern lernen, wie sie in solchen Situationen helfen. Aus Angst, etwas falsch zu machen, behandelten selbst engagierte Kollegen Rassismus nur oberflächlich.

Schulungen und Lehrpläne

Rassistisches Denken macht sich für die Lehrerin verschieden bemerkbar: "Manche Lehrer führen Probleme mit Schülern auf den Migrationshintergrund zurück. Sie sind überarbeitet, suchen nach der Ausrede, dass die Schüler:innen wegen einer anderen – gemeint ist schlechteren – Kultur schwierig sind." Andere regten sich auf, dass sie als "rassistisch" bezeichnet wurden. An ihrer vorigen Schule diskutierten Kollegen darüber, dass man N-Wort und Z-Wort sagen dürfe.

Schmid von Disrupt fordert Schulungen für Antidiskriminierung und Critical Whiteness, damit Lehrer ihre Privilegien reflektieren. Auch die Lehrpläne sollten adaptiert werden. Hier gab es Änderungen, betont der Minister: Die Themen seien in den neuen Lehrplänen kommendes Schuljahr verpflichtend verankert. In der siebten Schulstufe sind etwa Kolonialismus, Imperialismus, Rassismus und deren Folgen bis heute Stoff. Mit den Bildungsdirektionen sollen regionale Konzepte gegen Rassismus erarbeitet werden.

In der Aus- und Fortbildung gebe es laut Minister eine Verankerung antirassistischer Inhalte. Und komme es zu einem Vorfall, hälfen Schulpsychologen und -sozialarbeiter "bestmöglich vor Ort". Für die Befragten ist das zu wenig. Initiativen fordern sicherere Meldestellen für Jugendliche. Letztlich braucht es für mehr Diversität eine diverse Lehrerschaft, ist Lisa, die Teil der Black Community ist, überzeugt: "Viele Schüler:innen sind überrascht, wenn sie mich zum ersten Mal sehen. Manche sprechen mich auf meine Hautfarbe an." Sie findet es wichtig, dass schwarze Jugendliche Vorbilder wie sie haben, und Weiße wüssten, dass Schwarze genauso Lehrerinnen und Lehrer sind. (Selina Thaler, 21.3.2023)