Die Covid-19-Pandemie ab 2020, die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan 2021, die Flutkatastrophe in Pakistan 2022, das Erdbeben in der Türkei und Syrien im Februar 2023 – das sind nur einige Beispiele für die jüngsten Krisen, die sich weltweit vervielfacht haben. Wenn unmittelbar Kriege, Naturkatastrophen oder Gesundheitskrisen auftreten, steigt die Gewalt an Frauen, es gibt eine hohe Müttersterblichkeit – und Frauenrechte werden hintangestellt oder zurückgeschraubt. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hat vor kurzem auch deshalb die bereits im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP festgelegte "feministische Außenpolitik" als maßgebliches Ziel ihrer Politik bekräftigt und hat sich damit viel Kritik und Häme eingehandelt.

In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Zahl der Kriege und Krisen vervielfacht. Für Verzweiflung sorgte etwa das Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet.
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Kristina Lunz ist Mitbegründerin des Centre for Feminist Foreign Policy und beschäftigt sich intensiv mit feministischer Außenpolitik. Diese stelle die bisherigen "Paradigmen von Außen- und Sicherheitspolitik auf den Kopf", sagt sie.

Nur drei Viertel der Rechte

"Herkömmliche Außen- und Sicherheitspolitik fokussiert auf militärische Sicherheit und wirtschaftliche Interessen." Die dahinter liegende Annahme, dass dies Sicherheit und Wohlstand für alle bringen würde, habe sich aber nicht bewahrheitet. Feministische Außenpolitik hingegen setzt auf "menschliche Sicherheit und Menschenrechte", sagt Lunz. Und somit auf Frauenrechte.

"Frauen sind die weltweit größte unterdrückte Gruppe. Frauen genießen nur drei Viertel der Rechte, die Männer genießen", so Lunz. Die Forschung zeige auch, dass das Niveau an Gleichberechtigung signifikant dafür ist, ob ein Land innerhalb von Staatsgrenzen oder gegenüber anderen Ländern gewaltbereit ist, also etwa Kriege anfängt.

Ukrainerinnen auf der Flucht.
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Die Erfahrungen von NGOs, die in Krisengebieten im Einsatz sind, zeigen, wie sehr derzeit der Blick für die Folgen von Krisen für Frauen fehlt. "Egal ob es Mangelernährung in Ostafrika ist, der Krieg in der Ukraine oder die Pandemie – Kinder werden weiterhin geboren, und es gibt Bedarf an sicheren Schwangerschaftsabbrüchen", sagt Parnian Parvanta, Gynäkologin und Vizepräsidentin von Ärzte ohne Grenzen Deutschland. Bei anstehenden Geburten würden die Frauen oft zu lange zu Hause warten, weil sie Angst vor dem Weg in ein Krankenhaus haben.

Eine begründete Angst. Das humanitäre Völkerrecht verbietet zwar Angriffe auf Krankenhäuser, seit einigen Jahren werden sie aber weltweit zum Ziel, sagt Parvanta. Im Sommer 2020 beendete Ärzte ohne Grenzen einen Einsatz in Kabul, nachdem dort eine Geburtsklinik angegriffen wurde und 24 Menschen ums Leben kamen.

Fokus auf Frauen fehlt

Allein aufgrund von Geburten oder Schwangerschaften sterben weltweit jeden Tag 830 Frauen. Die Kluft zwischen den Ländern bei der Müttersterblichkeit ist riesig: In vielen Ländern Europas, etwa in Österreich, Schweden, den Niederlanden oder in Belgien, sterben bei 100.000 Geburten zwischen vier und fünf Frauen. In anderen Ländern wie Nigeria oder der Zentralafrikanischen Republik, wo Parvanta im Einsatz war, gibt es über 800 Todesfälle. Der Schwerpunkt der Arbeit in Krisengebieten liegt für Ärzte ohne Grenzen deshalb unter anderem auf Frauen- und Kindergesundheit – und damit auch auf dem Angebot sicherer Schwangerschaftsabbrüche.

Aufgrund der Flutkatastrophe in Pakistan mussten rund acht Millionen Menschen ihre Heimatregion verlassen.
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"Bei Krieg denkt man erst an verletzte Soldaten. Bei Naturkatastrophen oder Dürre denkt man daran, dass Menschen Hunger leiden. Das ist alles wichtig – aber was wegfällt, ist die Gesundheitsversorgung der Frauen", sagt Parvanta. Es fehlt auch das Bewusstsein dafür, dass Menschen in Krisen Unterschiedliches brauchen. Das gemeinnützige Unternehmen des Centre for Feminist Foreign Policy fordert, dass in Camps für geflüchtete Menschen dafür Sorge getragen wird, dass darauf geachtet wird, was Schwangere oder stillende Frauen brauchen. Und dass die reproduktiven Rechte von Frauen gewährleistet werden. Auch solche kurzfristigen Interventionen gehören zu feministischer Außenpolitik, sagt Lunz.

Hypermilitarisierte Welt

In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Kriege und Konflikte von 30 auf 60 verdoppelt, ebenso die Zahl von geflüchteten Menschen von 40 auf 80 Millionen. Heute sterben auch viel mehr Menschen in Kriegen und Konflikten.

Doch ist Annalena Baerbocks Vorstoß für einen internationalen Fokus auf Frauenrechte angesichts genehmigter Rüstungsexporte der deutschen Bundesregierung an Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, wo Frauenrechte nicht viel wert sind, nicht widersprüchlich? Ebenso die Waffenlieferungen an die Ukraine?

Nein, sagt Kristina Lunz. Wir müssten anerkennen, dass wir in einer hypermilitarisierten Welt leben, "das ist der Zustand, und in diesem muss jetzt alles getan werden, um Menschen vor brachialer Gewalt zu schützen". Und dazu würden auch Waffenlieferungen gehören. "Die unterstützende Selbstverteidigung vor Gewalt und Aggressoren war schon immer feministisch", sagt Lunz.

Langfristige Strategien

Doch neben diesen kurzfristigen Strategien gehören zu feministischer Außenpolitik auch mittel- und langfristige. Und zwar bessere Ideen, um Gesellschaften zu schaffen, die nicht mehr dieses Gewaltpotenzial haben, sagt Lunz. Die Forschung zeige, dass laxe Waffengesetze mit Amokläufen und Gewaltausbrüchen zusammenhängen. "Nicht anders ist es mit dem internationalen Waffenhandel: Je mehr Waffen geliefert werden, umso mehr Gewaltpotenzial gibt es."

Langfristig müsse die Militarisierungsspirale von Investitionen in Menschrechtsverteidigung, dem Ausbau von Völkerrechten und von ziviler Krisenprävention abgelöst werden. (Beate Hausbichler, 8.3.2023)