Weltweit verknüpfen Sorgeketten Menschen und Haushalte miteinander. Der Sektor der Pflege-, Sorge- und Heimarbeit ist stark weiblich dominiert. Doch auch Männer ziehen Vorteile daraus.
Illustration: Fatih Aydogdu

Ihre Hilfe ist unentbehrlich und trotzdem meist unsichtbar, denn ihre Arbeit findet dort statt, wo nur ein kleiner Kreis von Menschen tatsächlich Einblicke hat. In Privathaushalten rund um den Globus erleichtern Nannys, Putzfrauen oder Altenbetreuerinnen den Alltag für Millionen von Familien. Sie kochen, erledigen Einkäufe, sorgen für Ordnung, kümmern sich um hilfsbedürftige Angehörige oder helfen den jüngsten Familienmitgliedern bei den Hausaufgaben.

Weltweit verknüpft der Bedarf an Unterstützung in der Care-Arbeit Haushalte und Menschen in globalen Sorgeketten miteinander. Dabei handelt es sich um eine meist länderübergreifende Umverteilung von Betreuungsaufgaben – etwa wenn philippinische Nannys die Kinder berufstätiger US-Amerikanerinnen versorgen oder indigene Guatemaltekinnen als Dienstmädchen in den Haushalten der dortigen Oberschicht arbeiten. Auch europäische Länder profitieren von zuwandernden Care-Arbeiterinnen, sowohl aus Osteuropa als auch aus Südostasien.

Einem Bericht der International Labor Organization zufolge arbeiteten 2018 global fast 250 Millionen Frauen im Sektor der häuslichen Care-Arbeit. Weltweit sind zwei Drittel aller Arbeitskräfte in diesem Bereich weiblich, in Europa steigt der Schnitt gar auf drei Viertel. In den Familien der Arbeiterinnen und vielfach Arbeitsmigrantinnen entstehen dadurch Lücken, die für gewöhnlich von anderen Frauen gefüllt werden. Dabei kann eine Verwandte oder eine Angestellte einspringen, wobei sich in letzterem Fall wiederum der Bedarf ergibt, das Fehlen im eigenen Zuhause zu kompensieren.

Doppelte Last für Frauen

Brigitte Aulenbacher erforscht am Institut für Soziologie der JKU Linz insbesondere die europäische Situation im Care-Bereich. Diese weist im internationalen Vergleich einige Besonderheiten auf. Einerseits findet hier eine Konzentration auf die Pflege und Betreuung von Seniorinnen und Senioren statt, andererseits ist auch die zirkulare Migration ein europäisches Spezifikum. Dabei arbeiten Frauen meist für zwei bis vier Wochen im Ausland und kehren temporär wieder in ihr Heimatland zurück. Viele von ihnen überbrücken Sorgelücken nicht durch fremde Hilfe, wie die Forscherin weiß.

"Am Ende der Kette steht oft dieselbe Person, die auch die bezahlte Care-Arbeit im Ausland leistet." Die betroffenen Frauen bereiten zu Hause alles für die Zeit nach ihrer Abreise vor und arbeiten in ihrer Anwesenheit alles auf, das während ihrer Abwesenheit liegen geblieben ist. "Mit dieser Lösung verdoppeln die Frauen die Last, die sie tragen", sagt sie. In der Diskussion um Pflege und Sorgearbeit werden speziell in Europa zwei Ansätze besonders lebhaft debattiert, erklärt Aulenbacher.

Global arbeitet rund eine viertel Milliarde Frauen im häuslichen Bereich. Ihre Aufgaben reichen von putzen, kochen und einkaufen bis hin zur Betreuung von Kindern oder alten Menschen.
Foto: Imago Images/allOver-MEV

Ideologische Win-win-Erzählungen

Einer sei die problematische Darstellung einer Win-win-Situation in der Heimhilfe. Frauen gewinnen Zeit und die Möglichkeit, ihre Karriere zu verfolgen. Die Care-Arbeiterinnen gewinnen, da sie eine Chance auf ein Einkommen haben, das sie in ihren Heimatländern nicht erzielen könnten. Auch komme eine weitere, ideologisch geprägte Erzählung hinzu: Ältere Menschen und Arbeitsmigrantinnen profitieren gleichermaßen. Während Seniorinnen und Senioren in den eigenen vier Wänden gut umsorgt alt werden können, gewinnen Care-Arbeiterinnen durch das Arbeitsverhältnis.

"Wegen dieser Darstellung besteht in Europa derzeit keine Notwendigkeit, über Alternativen nachzudenken", kritisiert Aulenbacher. Beide Erzählungen legitimieren die Care-Arrangements, klammern aber relevante Aspekte aus. "Sie erwähnen keine Ungleichheiten, weder jene zwischen den Arbeitsmigrantinnen und den Seniorinnen und Senioren noch die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen", sagt die Forscherin. Denn das Interessante an der Win-win-Erzählung ist, "dass es sich dabei um eine Ideologie handelt und Männer in dieser Erzählung nicht vorkommen". Dadurch werde verschleiert, dass Männer ebenso auf vielfältige Weise von diesen Arrangements profitieren.

Ausgeklammerte Männer

Die öffentliche Debatte erweckt ebenfalls den Eindruck, als beträfe die Thematik nur Frauen. Hinzu kommt, dass die bezahlte Unterstützung Geschlechterhierarchien stabilisiert. Aufgrund dieser Hilfe muss die Aufteilung der unbezahlten Arbeit im Haushalt gar nicht erst verhandelt werden. "Männer profitieren von den gleichen Sorgeketten, und trotzdem sehen wir keine Diskussion um die Vorteile, die sie daraus ziehen", bemängelt Aulenbacher. Es gebe keine Debatte darüber, dass Männer ihren bezahlten Jobs und ihrer Karriere auf Kosten von Frauen nachgehen – und zwar auf Kosten ihrer Ehefrauen wie auch auf Kosten der Arbeitsmigrantinnen.

Im Globalen Süden sei die Situation mehr oder minder dieselbe, sagt Wasana Handapangoda von der JKU Linz, deren Forschungsfokus auf Sri Lanka und dem Globalen Süden liegt. "Sorgeketten entstehen aufgrund geschlechtsbedingter Ungleichheit", sagt sie. Die Ursache für das Fehlen der Männer in der Debatte ortet sie in einer Genderideologie, die Care-Arbeit als rein weibliche Domäne definiert. In den von ihr untersuchten Gesellschaften spielen Männer keine Rolle in der Hausarbeit.

Kein Wandel der Geschlechterrollen

Ein Kuriosum der weiblich dominierten Arbeitsmigration ist, dass dadurch gewisse Rollenbilder aufgeweicht werden, während andere unangetastet bleiben. "Ein Teil der Verantwortung für den Lebensunterhalt der Familie wird nun von Frauen übernommen, im Gegenzug wird aber nicht erwartet, dass Männer häusliche Aufgaben übernehmen", erläutert Handapangoda. Zwar gebe es Ausnahmen, doch "insgesamt ist kein signifikanter Wandel der Geschlechterrollen zu beobachten". So bleiben Sorgeketten im Grunde eine Verhandlung zwischen zwei Frauen mit unterschiedlichem sozioökonomischem Hintergrund.

Starke Migrationsströme bestehen von Süd- und Zentralamerika in die USA und nach Kanada. Aufgrund der kolonialen Geschichte und der gemeinsamen Sprache migrieren viele Frauen aus Lateinamerika nach Spanien. Aus Südostasien kommen Care-Arbeiterinnen in die Golfstaaten und die Tigerstaaten. Aus Afrika gibt es neue Bewegungen in die Golfregion. In Europa verläuft die typische Arbeitsmigration von Ost- nach Mittel- und Westeuropa. Routen verlaufen auch innerhalb von Ländern: In Brasilien zieht es Frauen aus ruralen Regionen in urbane Zentren mit höherem Lebensstandard.
Grafik: Oana Rotariu

Dennoch gibt es auch positive Seiten: "Arbeitsmigration im Care-Sektor gibt allen Frauen entlang der Kette die Möglichkeit, von unbezahlter Arbeit in bezahlte Jobs zu wechseln", unterstreicht die Forscherin. Gemeinsam mit Aulenbacher hat sie an der Abteilung Gesellschaftstheorie und Sozialanalysen der Uni Linz in einem FWF-geförderten Projekt die Arbeitsmigration von Frauen aus Sri Lanka in den Mittelmeerraum erforscht. Trotz auftretender Machtgefälle im transnationalen Sorgehandel sieht Handapangoda ein hohes Maß an weiblicher Solidarität auf allen Ebenen. In Sri Lanka sei es so, dass sich migrierende Frauen um die Frauen kümmern, die an ihrer statt im Haushalt einspringen.

Stereotype und globale Ungleichheit

"Sorgeketten richten unsere Aufmerksamkeit nicht nur auf Genderunterschiede, sondern auch auf Ungleichheiten entlang anderer Strukturlinien wie Nationalität, Ethnie, soziale Schicht, Religion, Migrationsstatus oder Staatsbürgerschaftsstatus, die durch Sorgeketten verstärkt werden", sagt Handapangoda. Zunehmende globale Ungleichheiten und die wachsende Kluft zwischen wohlhabenden und ärmeren Nationen drängen Frauen in immer größerer Zahl in die Arbeitsmigration. "Als Haushaltshilfen finden sie sehr leicht Arbeit, ungeachtet der ausbeuterischen Bedingungen", erzählt sie.

Im Kontext der Sorgeketten stellen ethnische Zugehörigkeit und Nationalität kritische Punkte dar, um die sich häufig fragwürdige Klischees ranken. In Kalifornien und Chile wird mexikanischen Dienstmädchen und peruanischen Nannys zugeschrieben, besonders gehorsame Angestellte und von Natur aus gute Mütter zu sein. Diese Erzählungen lenken die Nachfrage nach Arbeitsmigrantinnen aus diesen Staaten und verfestigen diskriminierende Stereotype.

Angestellte als Statussymbol

Neben Geschlecht und Ethnie spielen auch soziale Schichten und die Trennung zwischen diesen eine Rolle. In Argentinien etwa entstanden soziale Hierarchien, in denen die Mittelschicht – zumeist weiße, urbane Gruppen europäischer Abstammung – ihre Identität auf die ethnische Abgrenzung zur normalerweise migrantischen Arbeiterklasse baute. Nicht zuletzt streichen Hausangestellte auch den Status der Arbeitgebenden hervor, da offensichtlich das nötige Kapital vorhanden ist, diese zu beschäftigen. Während reiche Länder von der Migration durch den fachsprachlichen Care-Gain gewinnen, kämpfen wirtschaftlich schlechtergestellte Nationen mit dem gegenteiligen Care-Drain, also dem Abzug dringend benötigter Sorgekräfte.

Doch auch in den entsendenden Staaten gibt es pflegebedürftige Angehörige oder kleine Kinder in der Familie, die Betreuung brauchen. "Die entstehenden Lücken sind ein gewaltiges Problem in ärmeren Nationen", sagt Aulenbacher. Schwer wiegt die Abwanderung gut ausgebildeten medizinischen Personals, die Engpässe im Gesundheitssystem schafft. Vielen Staaten des Globalen Südens fällt es enorm schwer, diese Arbeitskräfte im Land zu halten, weiß Handapangoda.

Für die Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger setzen viele Haushalte aus reichen Nationen auf die Hilfe ausländischer Care-Arbeiterinnen. Doch auch in deren Familien gibt es oft Angehörige, die betreut werden müssen.
Foto: Imago Images/allOver-MEV

Eklatante Lücken im System

Solche Probleme entstehen auch in Europa. Rumänien sei mit einem Personalmangel im Gesundheits- und Sozialsektor konfrontiert. "Die Angst vor entstehenden Sorgelücken ist groß", erinnert sich Aulenbacher an Gespräche vor Ort. Lösungen werden fieberhaft gesucht. Viele Spitäler arbeiten Verträge aus, die abwandernden Frauen die Möglichkeit geben, nahtlos in ihren alten Job einzusteigen, so sie zurückkommen.

Global wird das Tauziehen um Arbeitskräfte heftiger werden. Alternde Gesellschaften, wirtschaftliche und soziale Veränderungen steigern den Bedarf an Care-Dienstleistungen. Saudi-Arabien, das bereits heute ein gigantisches Aufnahmeland darstellt, implementiert verstärkt Strategien, um seine Bürgerinnen zum Eintritt in den Arbeitsmarkt zu bewegen. Das entstehende Vakuum in den Haushalten zieht mehr Frauen aus Staaten des Globalen Südens an und ab. Es gibt allerdings auch Länder, die Vorteile aus solcher Abwanderung ziehen und sie sogar zum Wirtschaftsfaktor erhoben haben.

Arbeitsmigration als Wirtschaftsfaktor

Arbeitsvermittlungsstaat wie Sri Lanka und die Philippinen haben großes Interesse daran, dass Menschen zum Arbeiten ins Ausland gehen und bilden Arbeitskräfte zum Zweck des Exports aus. Die Ursachen dafür reichen von wirtschaftlicher Not im Land über Arbeitslosigkeit bis hin zu sozialen Ungleichheiten. "Die Staaten animieren Frauen zur Emigration, da dieses Vorgehen eine gigantische Industrie am Laufen hält, möglicherweise die einflussreichste weltweit, speziell im Globalen Süden", sagt Handapangoda.

Sri Lanka etwa kämpft derzeit mit steigenden Lebenshaltungskosten und hoher Arbeitslosigkeit unter Männern wie Frauen. Daher sende das Land verstärkt Frauen ins Ausland. Unterm Strich gehe es um die Überweisungen zurück ins Heimatland – und dabei seien Frauen verlässlicher als Männer. "Das Geld, das die Frauen überweisen, ist die Rettungsleine für diese strauchelnden Volkswirtschaften."

Neue Player, mächtige Broker

An diesem Geschäft sind auch andere interessiert. Seit knapp zwanzig Jahren etablieren sich auf dem Feld der Care-Arbeit in privaten Haushalten weltweit neue transformative Kräfte. "Mit den Vermittlungsagenturen haben wir neue, mächtige Player, die sowohl die Arbeitsbedingungen, wie auch den Arbeitsmarkt selbst verändern", erklärt Aulenbacher. Hier liegt der verbindende Punkt zwischen Homecare-Gesellschaften in Europa und Arbeitsvermittlungsstaaten wie Sri Lanka.

In beiden Fällen gestalten und kommerzialisieren mächtige Vermittler den Markt, erschaffen eine Migrationsindustrie und formen die Konditionen darin. "Die Vermittler schneiden ihre Dienstleistungen so zu, dass sie für jeden individuellen Haushalt passen", erklärt Handapangoda. Im Globalen Süden und im Mittelmeerraum kreieren sie durch ihre Machtposition Angebote, die Haushaltshilfe durch Arbeitsmigrantinnen nicht nur für Ober- und Mittelschicht erschwinglich machen.

In Europa verlaufen Migrationsbewegungen im Care-Sektor typischerweise von Ost nach West. Dabei spielt das wirtschaftliche Gefälle zwischen Ländern eine große Rolle.
Grafik: Oana Rotariu

Hierarchien zwischen Frauen und Männern

Im Verbogenen finden sich auch in dieser Kommerzialisierung des Sektors starke Geschlechtergefälle. Aulenbachers Forschung zeigt, dass in Europa 97 Prozent der migrantischen Care-Arbeitenden und Haushaltshilfen Frauen sind. Betrachte man hingegen die Vermittlungsagenturen, wandelt sich das Bild.

Männer leiten beinahe die Hälfte aller Agenturen. Wird diese Schieflage nicht konsequent angesprochen, "bleiben die Hierarchien zwischen Frauen und Männern in diesem Feld unsichtbar", sagt Aulenbacher. Schweigen reproduziert diskriminierende Rollenbilder und zementiert die Geschichte der Care-Arbeit als ausschließlich weibliche Domäne ein. Mit höchst nachteiligen Folgen für die Beschäftigten in diesem Feld: "Es wird als Frauenarbeit akzeptiert, und das bedeutet auch billige Arbeit", so Aulenbacher.

Heim- und Care-Arbeit hat eine lange Geschichte, die bis zu den Anfängen der Kolonialzeit zurückreicht. "Der Schritt hin zu einer Migrationsindustrie und die Entstehung von Vermittlungsagenturen sind neue Aspekte unseres Jahrhunderts, die das Feld fundamental verändern", sagt die Soziologin. Die Metapher der Sorgekette sei kaum noch ausreichend, um alle Facetten dieser neuen Tendenzen zu beschreiben. Es entstehen völlig neuartige Landschaften der Versorgung und Unterversorgung, auch wandeln sich Sorgeketten zunehmend zu Wertschöpfungsketten.

Demontage des Sozialstaats

In den vergangenen 50 Jahren fand in fast allen europäischen Ländern, aber auch darüber hinaus, ein markanter Abbau des Sozialstaats statt. "Bei dem eklatanten Mangel an Sozialinvestitionen ist die Heimpflege eine leistbare Lösung – und sie füllt die Lücken des Wohlfahrtsstaats", attestiert Aulenbacher. Professionelle Pflege und Betreuung zu Hause sei ohne Arbeitsmigrantinnen aber schon heute nicht mehr ausreichend verfügbar. "Ohne Expansion des Sozialstaats wird dieses Problem nicht zu lösen sein", unterstreicht sie.

Der rapide Wandel des Marktes lässt auch Diskussionen darüber entstehen, wie transnationale Arrangements für alle Beteiligten fairer gestaltet werden können. "Diese Frage ist Gegenstand lebhafter Auseinandersetzungen im Feld", sagt die Wissenschafterin. Eine gerechte Gestaltung des Care-Sektors sieht auch der G20-Thinktank T20 als unumgänglich.

"Bereits heute sichtbare Spannungen werden eskalieren, wenn sie nicht adressiert werden", schreibt die Gruppe in einem Strategiepapier zum Thema Sorgeketten. Darin findet sich auch die Forderung nach mehr Forschungsförderung. Dieser Schritt sei unerlässlich, um Wissenslücken zu schließen, evidenzbasierte Strategien zum Schutz der Rechte von Arbeitsmigrantinnen zu entwickeln und vorherrschenden Sexismus im Care-Bereich zu bekämpfen. (Marlene Erhart, 8.3.2023)