Maccabi Wien wurde 1995 neugegründet.

Foto: Heribert Corn

Es herrscht traumhaftes Fußballwetter an diesem Freitagnachmittag im März. Und dennoch muss man zweimal, ja drei- bis fünfmal, schauen, um etwas von Maccabi Wien, dem einzigen jüdischen Fußballverein der Stadt, zu erkennen. Auf den Trainingsplätzen hinter dem Ernst-Happel-Stadion im Prater ist überraschend wenig los. In der Skyline ragt der Marina-Tower in den Himmel, rund ums Stadion herrscht belangloser, vereinzelter Betrieb.

Ein paar Buben schlendern zum Eingang der Umkleidekabinen, ein Vater übt mit seiner Tochter Rad fahren. Hinter einem großen Tor geht es zu den Fußballfeldern, Michael Margules schiebt es auf: "Natürlich sind wir dankbar, dass wir hier trainieren dürfen, aber wenn man ehrlich ist, sind die Rasenplätze in einem nach heutigen, internationalen Maßstäben verbesserungswürdigen Zustand", sagt er. Die meisten der elf Fußballfelder sind leer, wer annimmt, dass Haupttrainingszeit ist, täuscht sich.

Michael Margules will mit Maccabi in die Stadtliga.
Foto: Heribert Corn

Margules ist Obmann von Maccabi. Oder "Vorstandsvorsitzender" wie man im Funktionärsjargon seit neuestem zu sagen pflegt. Der 63-Jährige begleitet die Korrektur mit einem Lächeln, Begrifflichkeiten sind ihm nicht wichtig – und dennoch wird schnell klar, dass er der Mann ist, ohne den beim Verein wenig geht. Die U-18 Maccabis und ein weiteres Nachwuchsteam trainieren auf Platz elf, ganz hinten auf dem Trainingsgelände. Im Vergleich zu den Rapid-Buben, die nebenan in einheitlicher Trainingskleidung dem Ball nachjagen, wirkt es bunter, ja chaotischer. Margules: "Die Vorgabe, dass alle einheitlich gekleidet trainieren, ist gescheitert." Einige Nachwuchsspieler sind dennoch in den blau-weißen Klubfarben gekommen. Auf der Brust prangt das Logo: ein Fußball mit dem Davidstern.

Verwurzelt

Die Geschichte des SC Maccabi Wien ist kurz und reicht gleichzeitig weit zurück, sie ist in der Stadt tief verwurzelt und zugleich herausgerissen und umhergeschoben. Es ist eine Gratwanderung aus jüdischer Tradition und den Ansprüchen an einen modernen Fußballverein — mit all seinen Problemen und Errungenschaften, für den Fußballinteressierten im Kleinen und auch die Stadtgesellschaft im Größeren. Es ist eine Geschichte einer Wanderschaft.

Trainiert wird im Prater.
Foto: Heribert Corn

Auf dem Papier wurde der Verein 1970 erstmals gegründet. Jüdischer Sport war in Wien bis zum sogenannten "Anschluss" 1938 sehr präsent, es gab eine Vielzahl an Vereinen in unterschiedlichen Sportarten, darunter auch der SC Maccabi. Nach dem Krieg war in Wien ausschließlich der ursprünglich größte jüdische Sportverein SC Hakoah aktiv, in den 1950er-Jahren stellte der ehemalige österreichische Meister (1925) seine Fußballsektion aber ein. In den 1970er-Jahren nach der Erstgründung konnte sich ein Maccabi-Team im Wiener Unterhaus halten, eine Fusionierung ließ es aber von der Bildfläche verschwinden. Im Jahr 1995 wurde Maccabi neu gegründet, angestoßen von Oskar Deutsch, dem heutigen Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde. 1996 bestritt man das erste Meisterschaftsspiel und ist seither Bestandteil der Wiener Amateurligen.

Raues Unterhaus

Aktuell liegt man in der zweiten Landesliga (Österreichs fünfthöchste Spielklasse) auf dem neunten Rang. Die ursprüngliche Idee, ausschließlich jüdische Spieler und Funktionäre aufzuweisen, konnte nicht umgesetzt werden. Der Grund: Es gibt zu wenige. Heute ist der SC Maccabi ein Schmelztigel: "Wir sind interkulturell und weltoffen. Es geht um den Sport und nicht die Religion", sagt Margules. Bei Maccabi kicken Juden, Christen, Muslime, Sieben-Tages-Adventisten und Atheisten. Der jüdische Anteil ist im Nachwuchs höher. Im Einserteam ist aktuell ein jüdischer Spieler.

Im Unterhaus geht es oft rau zu. Ist Antisemitismus ein alltägliches Problem für einen ausgewiesenen jüdischen Verein? Margules: "Es gibt vereinzelt Vorfälle, und jeder ist einer zu viel. Wir geben die Antwort auf dem Platz." Am Samstag wird übrigens nicht gespielt: Am Shabbat gibt es keine Maccabi-Aktivitäten. Man ist bei der Spielplanerstellung auf das Entgegenkommen der Verbände angewiesen. Der Vorstandsvorsitzende weiß um die Schwierigkeit, aber es funktioniert.

Margules hat seit 2003 eine tragende Rolle beim Verein, er begann den Nachwuchs aufzubauen, die Strukturen zu verbessern. Er ist im österreichischen Fußball kein Unbekannter: In den 1990er-Jahren war er mitverantwortlich für das gescheiterte Experiment des Börsengangs des SK Rapid. Maccabi als One-Man-Show abzutun wäre vermessen: "Von Cheftrainer Milan Sprecakovic bis Jugendleiter Ivan Stefanovic und den anderen Betreuern und Vorstandsverantwortlichen ziehen alle an einem Strang", sagt Margules. Dabei sind die Probleme mannigfaltig: Allen voran ist da die Heimatlosigkeit.

Unbekannt in der jüdischen Gasse

Seit der Neugründung tingelt Maccabi über die Sportplätze Wiens, aktuell trägt man die Heimspiele im 21. Gemeindebezirk beim SC Elite aus, davor war man unter anderem auf der Sportanlage am Dampfschiffhaufen beheimatet. Der Traum wäre, den gesamten Spielbetrieb in den zweiten Bezirk zu verlegen, der auch ob seiner jüdischen Tradition bestens geeignet wäre.

Mit einer fixen Heimstätte hätte man laut Margules auch die Möglichkeit, "die Identität stärker zu verwurzeln und einem geregelten Vereinsbetrieb nachzugehen". Denn ein weiteres Problem sind die Mitgliederzahlen. Wie viele kleinere Vereine kämpft auch Maccabi um Mitglieder, während der Pandemie gab es einen Schwund im Nachwuchs, 250 wäre der Traum, aktuell hält man bei rund 160. Und in der sogenannten jüdischen Gasse ist man laut Margules noch nicht angekommen: Die Suche nach Gönnern und Sponsoren gestaltet sich schwierig.

Wo soll es also hingehen für Wiens einzigen jüdischen Fußballverein? Neben dem Wunsch nach einer Heimstätte und einer erhöhten Sichtbarkeit sieht Margules die sportliche Zukunft in der Stadtliga: "Das wäre aktuell das höchste Ziel. Und es ist möglich." (Andreas Hagenauer, 9.3.2023)