Sámi und Unterstützerinnen demonstrierten Anfang März in Oslo.

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Die norwegische Regierung – im Bild Erdöl- und Energieminister Terje Aasland sowie Landwirtschafts- und Ernährungsministerin Sandra Borch – entschuldigte sich nun bei den Sámi.

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Die Rentiere meiden die Windmühlen auf zehn Kilometer.

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Die Sámi schließen weitere Proteste nicht aus.

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Rentiere sind keine Fans von Windrädern. Zu laut, zu irritierend sind die technischen Anlagen, die auf der norwegischen Halbinsel Fosen in den Himmel ragen. Den indigenen Sámi ist das seit mehr als zwanzig Jahren bewusst – als der europaweit größte landgebundene Windpark noch ein paar Striche auf Papier war.

Doch erst nach dem Anschluss der letzten der 277 Turbinen war es auch dem norwegischen Höchstgericht klar: Zwei der sieben Windparks auf Fosen verletzen die Rechte der Sámi. Bei der Vergabe der Lizenzen wurden sie zu wenig eingebunden. Die Menschenrechte des einzigen indigenen Volks in Europa wurden demnach verletzt, sie wurden in ihrer Kultur und Lebensgrundlage beschränkt. Ihren Rentierherden wurden wichtige Weideflächen im Winter genommen. Die Tiere meiden die Windräder auf eine Entfernung von zehn Kilometer.

Das Urteil erging 2021. Mehr als 500 Tage ist der norwegische Staat seitdem untätig.

Sicher in Zeiten des Klimawandels

Und die Zeit läuft, wie Eva Maria Fjellheim warnt. Sie arbeitet für die EU-Abteilung des Sámi Council, ist Doktorandin im Fach Indigene Studien, und ihre Familie ist einer der größten Rentierhalter in Südnorwegen. "Rentierherden müssen flexibel bleiben, denn sie können nicht immer in die gleichen Winterquartiere zurückkehren. Diese müssen sich immer wieder regenerieren", sagt Fjellheim im Gespräch mit dem STANDARD.

In der jüngsten Vergangenheiten hätten die Sámi rasante Temperaturveränderungen mitbekommen. Regen sei zu schnell zu Eis gefroren, einige Quartiere deshalb für die Tiere unerreichbar geblieben. In der Gegend des Windparks blase der starke Wind – der auch den Windpark angelockt hat – den Regen und den Schnee weg. "Wenn man bedenkt, dass der Klimawandel voranschreitet, sind das die sichersten Quartiere", sagt Fjellheim.

Das ist auch der Grund, warum die Sámi keine Kompensationszahlungen akzeptieren wollen. Der Windpark muss weg. Nur so könnten die Menschen in der Region weiterhin von der Rentierhaltung leben und ihre Kultur pflegen, heißt es von den Indigenen.

Entschuldigung, aber keine Taten in Oslo

Dem gegenüber steht die norwegische Regierung. Nach den Protesten vergangene Woche in Oslo hat sich diese zwar in Person von Premierminister Jonas Gahr Støre entschuldigt, doch konkrete Vorschläge wurden nicht kommuniziert. Zumindest nicht öffentlich.

In einem Pressestatement des Erdöl- und Energieministeriums hieß es vor wenigen Tagen, dass es seit dem Urteil des Höchstgerichts Beratungen mit der Industrie und den Sámi gebe. Minister Terje Aasland erkannte an, dass Menschenrechte verletzt wurden und er sich dafür entschuldige. Man müsse nun "so schnell wie möglich" einen Fortschritt erzielen, wird Aasland zitiert. Im Höchstgerichtsurteil sei aber nicht festgelegt worden, was mit den Windturbinen zu geschehen habe, heißt es vom Ministerium. Man schließe aber nichts aus, wenn es um eine Lösung gehe. Am Montag bekräftigte Aasland im Parlament, dass er nicht glaube, dass die Turbinen abgebaut werden müssen.

Widerstand in den 70ern

Die Sámi schließen deshalb weitere Proteste nicht aus, sollte es nicht bald zu einer Einigung kommen. Fjellheim erzählt, dass viele davon ausgehen, dass es sich beim Fosen-Fall um den wichtigsten zivilen Ungehorsam seit dem Alta-Konflikt handelt. In den 1970er- und 1980er-Jahren demonstrierten zahlreiche Menschen gegen ein Wasserkraftwerk am Fluss Alta in der nordnorwegischen Region Finnmark. Damals sollte ein künstlicher See angelegt und das Sámi-Dorf Máze überschwemmt werden.

Kurzfristig waren die Demonstrationen kein Erfolg – das norwegische Höchstgericht bestätigte die Regierungsseite, und das Kraftwerk wurde gebaut. Doch langfristig brachte es die Rechte der Indigenen an die Öffentlichkeit. Unter anderem basiert das 2005 verabschiedete Finnmark-Gesetz auf den Protesten. Dadurch wurde fast das gesamte Gebiet der Region an die Bewohnerinnen und Bewohner übertragen. Ein sechsköpfiges Gremium entscheidet über die Landnutzung. Drei von ihnen sind Sámi.

Rassismus und Zukunftsangst

Die Untätigkeit des offiziellen Norwegen im Fall Fosen erschüttert das bereits beschädigte Vertrauen der Sámi in die Regierung in Oslo, ist sich Fjellheim sicher. Sie selbst beschrieb in Veröffentlichungen den Rassismus, dem die Indigenen in dem skandinavischen Land ausgesetzt sind. In einem Hearing, in dem es um Land- und Wasserrechte ging, zweifelten Waldbesitzer etwa den Anspruch ihrer Familie auf indigene Rechte an. Zu hellhäutig und gut gebildet sei die Familie Fjellheim, um tatsächlich zu den Sámi zu gehören.

Dabei sollte die Expertise der Rentierhalter im Kampf gegen den Klimawandel genutzt werden: "Hier wurde ein Gebiet zerstört, das bereits nachhaltig und ökologisch genutzt wurde", sagt Fjellheim. Der Kampf gegen die Auswirkungen des Klimawandels sei wichtig, doch dürfe er nicht auf Kosten von Menschenrechten gehen. (Bianca Blei, 14.3.2023)