Die Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Sihem Bensedrine gilt nicht ohne Grund als eine der führenden Figuren im Kampf für Demokratie in Tunesien. Die von ihr mitbegründete Liga für Menschenrechte (LTDH) erhielt 2015 als Teil des "Quartetts für den nationalen Dialog" den Friedensnobelpreis. Die 72-Jährige hat sich über Jahrzehnte mit den Verbrechen der tunesischen Politik auseinandergesetzt, zuletzt auch in einer Kommission. Nun wurde ihr am Dienstag in Verbindung mit dieser Arbeit verboten, das Land zu verlassen – ein weiteres Zeichen für die zunehmende Repression im Geburtsland des Arabischen Frühlings.

Menschenrechtsaktivistin Sihem Bensedrine wurde mit einem Ausreiseverbot belegt.
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Bereits in den 1990er-Jahren war Bensedrine an der Gründung einer tunesischen NGO beteiligt, die Menschenrechtsverbrechen dokumentierte. Dafür wurde sie vom Regime des autokratischen Präsidenten Zine El-Abidine Ben Ali verfolgt und inhaftiert. Bensedrine floh mit ihrem Mann und den drei Kindern, im Jahr 2008 lebte sie für ein Jahr in Graz. Erst nach dem Sturz von Ben Ali kehrte sie 2011 nach Tunesien zurück.

Von 2015 bis 2019 war Bensedrine Präsidentin der infolge des Arabischen Frühlings eingesetzten Wahrheitskommission, die Menschenrechtsverbrechen der Diktaturen von 1955 bis 2011 dokumentieren und eine rechtliche Aufarbeitung ermöglichen sollte. 2019 wurde der Abschlussbericht präsentiert, der einen dringenden Reformbedarf der Institutionen aufzeigte, um demokratische Strukturen zu stärken.

Kritische Stimmen unerwünscht

Die aktuellen Vorwürfe gegen Bensedrine beziehen sich auf eine Passage dieses Dokuments: Sie sei bestochen worden, um in einem Absatz der Bank "Banque franco-tunisienne" Korruption zu unterstellen. Seit 2021 wird daher ein Prozess gegen sie geführt, nun folgte das Ausreiseverbot.

In Tunesien hat sich der Umgang mit kritischen Stimmen zuletzt verschärft. Im Februar wurde der Chef der oppositionellen Republikanischen Partei festgenommen, vor wenigen Tagen kam es zu Protesten, nachdem insgesamt mehr als zwanzig Regierungskritiker festgenommen wurden – unter anderem wegen angeblicher Korruption.

Präsident Kais Saied arbeitet indessen weiter daran, seine Macht auszubauen und die Demokratie zu demontieren. Dabei will er Aufsehen im westlichen Ausland, vor allem in Europa, möglichst vermeiden. Das Ausreiseverbot für Bensedrine ist offenbar ein Versuch, eine international besonders angesehene Stimme zum Schweigen zu bringen. (Tizian Rupp, 8.3.2023)