Trial-Mountainbiker lieben den neu gestalteten Bahnübergang am Innradweg bei Hall in Tirol. Alltagsradler hingegen weniger.

Foto: Joe Bertsch

Mit längeren Rädern oder Anhängern ist die Stelle nur mehr tragend zu meistern. Schieben allein ist zu wenig.

Foto: Steffen Kanduth

Freiluft-Showroom für Umlaufsperren und verwirrende Radwegbeschilderung in Hall in Tirol.

Foto: Steffen Kanduth

Hall in Tirol – Radland Tirol, Radmasterplan 2030, gemeinsam verdoppeln wir den Radverkehrsanteil! Die Politik wird nicht müde, ihren Willen zur Mobilitätswende medial wirksam kundzutun. Kaum eine Gelegenheit wird ausgelassen, um sich mit, nebst oder auf einem Rad ablichten zu lassen. Man überbietet sich in Absichtserklärungen hinsichtlich Radinfrastrukturplänen, jährliche Exkursionen in Radmusterländer wie Dänemark oder die Niederlande gehören mittlerweile zu den Fixterminen jedes Verkehrspolitikers. So weit die Theorie. Denn die graue Radler-Realität sieht hierzulande anders aus. Die neu gestaltete Eisenbahnkreuzung bei Kilometer 1,026 des Stammgleises Hall in Tirol steht beispielhaft für vieles, was in Sachen Radverkehrspolitik falsch läuft.

Zur Ausgangssituation: Der Innradweg ist Tirols längster und wichtigster Radweg. Auf einer Länge von 211 Kilometern quert er das Land und führt entlang des namensgebenden Flusses. Die Tirol Werbung preist ihn als Radwanderroute an, die "ideal für Familien und Genussradler" sei. Für Einheimische, die im Alltag per Fahrrad mobil sind, dient er als eine der wichtigsten Verkehrsrouten, die größere Orte und Städte in der Inntalfurche verbindet. Dass er für diesen Zweck völlig unterdimensioniert ist, sei an dieser Stelle dahingestellt. Denn es fehlt an noch Grundlegenderem. Seit wenigen Wochen versperrt nämlich ein eigentümliches Konstrukt diesen Radweg auf Höhe ebenjener Eisenbahnkreuzung.

Wirksamer Schutz gegen Radler

Im Boden verankerte Metallbügel und riesige Findlinge wurden derart drapiert, dass ein Durchkommen für herkömmliche Räder nur mehr schiebend möglich ist. Wer ein Lastenrad oder einen Kinderanhänger nutzt, sieht sich mit einer schier unüberwindbaren Hürde konfrontiert. Grund für die Barriere ist eine "Sicherheitsmaßnahme". Denn die Eisenbahnkreuzung, die hier schon bisher mit "Umlaufsperren" in Form von Metallbügeln so verriegelt war, dass man nicht einfach über die Gleise radeln konnte, musste wegen des "massiv gestiegenen" Aufkommens an Radverkehr adaptiert werden.

Die vorliegenden "Hauptprobleme" stellen die mittlerweile fast 2.000 Radlerinnen und Radler dar, die laut Zählung des Landes diesen Weg täglich passieren, und eben deren "nicht regelkonforme Querung" der Eisenbahnkreuzung. Denn viele hätten die Umlaufsperren einfach umfahren und seien dann unachtsam über die Gleise weiter, so das Ergebnis eines Lokalaugenscheins. Im Protokoll heißt es dazu: "Laut Auskunft ÖBB ereigneten sich hierdurch bereits mehrere Beinaheunfälle." In der zuständigen Landesabteilung für Verkehrs- und Seilbahnrecht ist gar von "traumatisierten Verschubmitarbeitern" die Rede. Und es stimmt, es kam hier laut Unterlagen im Oktober 2021 zu einem solchen "Beinaheunfall" im Zuge von Verschubarbeiten, der zum Glück ohne Verletzte endete. Für die betroffenen ÖBB-Mitarbeiter bestimmt keine angenehme Situation.

Eine Frage der Prioritäten

So weit "das Problem". Die Nachfrage, wie oft auf dem Gleis Verschubfahrten stattfinden, konnte bis Redaktionsschluss leider nicht beantwortet werden. Der grüne Gemeinderat im Nachbarort Thaur, Joe Bertsch, kennt die Stelle gut und hat sich die Situation daher genauer angesehen. Er spricht von vier Verschubfahrten pro Tag, die diese Stelle passieren würden. Somit stünden diese vier Fahrten den vom Land gezählten knapp 2.000 Radlern gegenüber. Was also tun?

Im Ergebnisprotokoll der zuständigen Landesabteilung, die hier im Auftrag des Bundesministeriums tätig wurde, ist die Lösung klar benannt: "Massive Reduktion der querenden Radfahrer". Und so wurden die Umlaufsperren nun derart ausgebaut, dass kaum noch ein Durchkommen möglich ist. Sicherheit geht schließlich vor. Dass dasselbe Gleis kaum hundert Meter weiter einfach unbeschrankt die Straße für Pkws, Lkws, Radler und Fußgänger quert, sei "eine völlig andere Situation" und daher nicht zu vergleichen, heißt es dazu auf Nachfrage.

Der Unmut ist groß

Für jene, die den Innradweg täglich nutzen, ist der Umbau ein echtes Ärgernis, und er zeugt vom Stellenwert, den Radfahrer in den Augen der Zuständigen offenbar haben. Die Radlobby Tirol spricht von "Schikanieren im Radland Tirol". Gemeinderat Bertsch attestiert den verantwortlichen Politikerinnen und Politikern, dass sie Radeln nur im Zusammenhang mit dem Tourismus für wichtig erachten: "Die Einheimischen, die das Rad nutzen, sind ihnen egal." Der Chef der Tiroler Grünen, Gebi Mair, fragt sich, wie man die Gefahrenstelle entschärft hätte, ginge es um 2.000 Pkws und nicht um Radfahrende, die hier täglich passieren. Er gibt sich die Antwort gleich selbst: "Man hätte sofort Schranken errichtet."

In einem offenen Brief sparte der Leiter des Dorfmuseums in Absam und Organisator zahlreicher Fahrradexkursionen in der Region, Matthias Breit, nicht mit bissiger Kritik an den Zuständigen: "Best Practice gegen 'Radlerpest'. Vorbildliche Gleiskörper-Schutzmaßnahmen in Hall – ein voller Erfolg. Nach vielen Jahren mit einem immer unerträglicher werdenden Provisorium ist es den ÖBB bei Hall nun endlich gelungen, ihr fragiles Schienennetz gegen den diesen wichtigen Verkehrsweg immer stärker belastenden Radverkehr umfassend und weitreichend zu schützen."

Dass die Eisenbahnkreuzung für Radlerinnen und Radler nicht gänzlich gesperrt wurde, ist im Übrigen der Gemeinde Hall zu verdanken, die sich gegen diesbezügliche Pläne des Landes und der ÖBB starkgemacht hat. Denn es gibt einen gültigen Bescheid, der diese Kreuzung erlaubt. Seitens der Gemeinde wird betont, dass man diesen "wichtigen Übergang unbedingt erhalten" wollte. Die vorliegende Lösung sei nun ein Kompromiss, auf den man sich habe einigen können.

Tirol darf nicht Niederösterreich werden

Was baulich alles möglich ist, wenn es um Nutzungsgruppen geht, die der Politik wirklich wichtig sind, zeigt sich in unmittelbarer Nähe des besagten Bahnübergangs. Denn so wurde etwa für den Schwerverkehr, der im angrenzenden Gewerbegebiet unterwegs ist, eine gewaltige Unterführung der Bahngleise errichtet. Den Radweg neu oder besser zu trassieren sei hingegen unmöglich, so die Auskunft der Behörde. Man sei hier schließlich in Tirol, wo die topografischen Gegebenheiten gänzlich andere sind als etwa in Niederösterreich. Es fehle schlichtweg der Platz dafür.

Ein Nebenstrang der Posse ist übrigens die Fortführung des Radwegs hinter der besagten Kreuzung in Richtung Osten. Hier spießt es sich ebenfalls seit Jahren. Der Innradweg führt dort ein paar hundert Meter lang auf einem nicht befestigten und nicht asphaltierten Pfad durch den Auwald. Denn an dieser Stelle legt sich die Landesumweltanwaltschaft mit Verweis auf Bodenversiegelung gegen die Pläne von Land und Gemeinde quer, die den Weg gerne asphaltieren würden. Und so ist dieser Abschnitt derzeit als "Musterstrecke" mit einem "ökologisch optimierten Radwegbelag" ausgewiesen. (Steffen Kanduth, 8.3.2023)