In ihrem Gastblog berichtet die Kultur- und Sozialanthropologin Sabina Cveček über den Vergleich von archäologischen und ethnographischen Befunden.

Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum Sie bestimmte Dinge so tun, wie Sie sie tun? Warum gibt es zum Beispiel zum Frühstück Bergkäse und nicht Tofu? Warum leben Sie in einer kleinen Kernfamilie und nicht in einer Großfamilie mit zehn oder noch mehr Personen? Warum gibt es in Ihrem Haus oder Ihrer Wohnung mindestens einen Artikel von Ikea? Eine Antwort auf diese Fragen wäre ohne einen Vergleich nicht möglich – einen Vergleich zwischen "uns" (die bestimmte Gewohnheiten teilen) und "denen" (die bestimmte Dinge anders machen). Dies gilt auch, wenn wir Haushalte und soziopolitische Organisation der kleinen Gemeinschaften zu Beginn der frühen Bronzezeit in Westanatolien verstehen wollen.

In meinem vor kurzem erschienenen Buch "Çukuriçi Höyük 4: Household Economics in the Early Bronze Age Aegean" vergleiche ich die archäologischen Funde von zwei frühbronzezeitlichen Fundorten in der Ägäis, nämlich Çukuriçi Höyük in Westanatolien (Türkei) und Platia Magoula Zarkou in Thessalien (Griechenland), mit ethnographisch dokumentierten nichtstaatlichen "Stammes"-Gesellschaften. Diese Forschungen wurden im Rahmen eines Doc-Team-Projekts an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gemeinsam mit Stephanie Emra, Maria Röcklinger und Constanze Moser und in enger Zusammenarbeit mit Barbara Horejs, Ausgräberin von Çukuriçi Höyük, und Eva Alram-Stern, federführende Mitherausgeberin des ersten Bandes über die neolithische Siedlung von Platia Magoula Zarkou, durchgeführt. Aber was kann eine Kultur- und Sozialanthropologin, die für die Erforschung der Lebensweise der Lebenden ausgebildet ist, über die Lebensweise derer sagen, die vor circa 5.000 Jahren gelebt haben?

Die Mitglieder des Doc-Teams, von links: Sabina Cveček, Maria Röcklinger, Constanze Moser, Stephanie Emra
Foto: ÖAW-ÖAI/F. Ostmann

Bewohnerinnen und Bewohner des Çukuriçi Höyük

Çukuriçi Höyük ist eine Tellsiedlung in der Nähe der modernen Stadt Selçuk und der antiken Stadt Ephesos, sechs Kilometer von der Ägäisküste entfernt. Die frühbronzezeitlichen Schichten wurden in zwei Grabungsschnitten angetroffen, die mehrere Gebäude und Haushaltstätigkeiten an diesem Ort belegen. Darüber hinaus war Çukuriçi Höyük zu Beginn der Bronzezeit ein wichtiges metallurgisches Zentrum, wie die von Mathias Mehofer durchgeführten archäometallurgischen Untersuchungen aufzeigen konnten.

Umfangreiche naturwissenschaftliche Analysen der ausgegrabenen Mikro- und Makroreste sowie Artefakte ermöglichen einen neuen und detaillierten Blick in die Vergangenheit. Die Ausgrabungen auf diesem Siedlungshügel verlängern die Geschichte von Ephesos schlagartig um mehrere Jahrtausende, sodass sie nun bis circa 7000 vor unserer Zeit zurückreicht. Der Hügel wurde über mehrere Perioden bewohnt und liefert neue Erkenntnisse zur Urgeschichte von Ephesos, und zwar vom Neolithikum über die Kupferzeit bis in die frühe Bronzezeit.

Illustration der Metallverarbeitung am Çukuriçi Höyük.
Illustration: Bettina Egger

Die Bewohnerinnen und Bewohner vom Çukuriçi Höyük waren jedoch weit mehr als nur Metallproduzierende. Die in den Häusern gefundenen Überreste von Rindern, Schweinen, Schafen und Ziegen deuten darauf hin, dass sie auch Viehzucht betrieben, während der Anbau von Pflanzen durch Überreste von Emmer, Einkorn, Gerste und Linsen belegt werden kann. Neben den handwerklichen und bäuerlichen Tätigkeiten umfassten die Mahlzeiten am Çukuriçi Höyük auch Feigen, Pistazien, Fisch und Wild wie Rot- und Damhirsche, Auerochsen, Wildschweine, Hasen und Aale. Der Speiseplan gibt nicht nur Einblick in die vielfältigen Ernährungsgewohnheiten der Bewohnerinnen und Bewohner dieses Siedlungshügels, sondern auch in zahlreiche alltägliche Aktivitäten wie Viehzucht, Jagd und Metallherstellung, die täglich an dem und um den Ort herum stattfanden.

Sie lebten von einer gemischten Wirtschaft, die den Fernhandel mit Obsidian und Metallen wie Zinn und arsenhaltigem Kupfer einschloss. Hervorzuheben ist, dass alle Haushalte am Çukuriçi Höyük sowohl Zugang zu Metallen als auch zu tierischen Nahrungsmitteln hatten. Daher konnten bei einem Vergleich der Haushalte am Çukuriçi Höyük keine Unterschiede im materiellen Reichtum festgestellt werden, obwohl materielle Ungleichheiten in den bronzezeitlichen Gesellschaften weithin als gegeben angesehen werden.

Gemeinsamkeiten zwischen Çukuriçi Höyük und Papua-Neuguinea

Die Baruya sind ein dezentralisierter, akephaler Stamm im Hochland von Papua-Neuguinea, der in den 1970er-Jahren von dem französischen Sozialanthropologen Maurice Godelier dokumentiert wurde. Die Baruya unterscheiden sich deutlich von der überall in Melanesien dokumentierten "Big Man Society", deren soziale Reproduktion auf der Anhäufung von Schweinen und dem Wettbewerb um Reichtum zwischen den "Big Men" der Region beruht.

Die Baruya-Männer konkurrieren stattdessen miteinander auf der Grundlage der Anhäufung von Status oder persönlichem Prestige, das auf ihren Fähigkeiten beruht. Zu den angesehensten Mitgliedern der Gesellschaft zählen ein großer Krieger (great warrior), ein großer Jäger (great hunter) oder ein großer Handwerker, der die Salzproduktion überwacht (great salt maker). Die Salzproduktion ist bei den Baruya ein stammes- und regionalspezifisches Fachgebiet. Sie produzieren Salz aus lokal verfügbaren "Salzpflanzen" für den lokalen und regionalen Verbrauch. Durch den Tausch von Salzbarren, die gemeinsam hergestellt werden, erwerben die Baruya Dinge von außerhalb.

Ein qualitativer Vergleich zwischen den am Çukuriçi Höyük analysierten archäologischen Daten und den bei den Baruya gesammelten ethnographischen Zeugnissen ermöglicht einen wichtigen Einblick in die bronzezeitlichen Lebensweisen. Die Anhäufung von persönlichem Prestige und nicht von Reichtum bestimmte die soziale Reproduktion zu Beginn der Bronzezeit am Çukuriçi Höyük. Dies haben die Baruya – wie in den 1970er-Jahren dokumentiert – mit den Bewohnerinnen und Bewohnern des Çukuriçi Höyük gemeinsam, trotz der circa 13.000 Kilometer Entfernung und der 5.000 Jahre, die sie trennen.

Interdisziplinarität in der Archäologie

Die sozialanthropologische Untersuchung der Haushalte des frühbronzezeitlichen Çukuriçi Höyük und der Platia Magoula Zarkou hat zwei wichtige Implikationen für die interdisziplinäre Forschung in der Archäologie. Erstens zeigt sie, wie fruchtbar der Vergleich scheinbar unvergleichbarer Daten ist. Ohne Vergleiche würden wir nichts über die soziopolitischen Gründe für das weitverbreitete Metallverarbeitungswissen und den Zugang zu Metallen am Çukuriçi Höyük erfahren. Zweitens unterstreicht sie die Wichtigkeit des qualitativen Vergleichs und der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Archäologinnen, Archäologen, Sozialwissenschafterinnen und Sozialwissenschaftern.

Darstellung der interdisziplinären Zusammenarbeit im Rahmen des Doc-Team-Projekts.
Illustration: ÖAW-ÖAI/M. Röcklinger

Interdisziplinarität in der Archäologie ist heute eine Selbstverständlichkeit. Allerdings bedeuten interdisziplinäre Ansätze zumeist eine Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten aus den Naturwissenschaften, die ein breites Spektrum an physikalischen, chemischen, geologischen und biologischen Techniken in der Archäologie einsetzen. Trotz der Anwendung zahlreicher Methoden und Techniken der physikalischen und biologischen Wissenschaften und ihrer Ergebnisse ist die Archäologie keine Naturwissenschaft. Während die Archäologie in Europa als eigenständige Disziplin angesehen wird, stellt sie in Nordamerika gemeinsam mit physischer Anthropologie, Linguistik sowie Kultur- und Sozialanthroplogie ein Teilgebiet der Anthropologie dar (Vier-Felder-Ansatz). Daher ist eine kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen Naturwissenschaften, Sozialwissenschaften und Archäologie für die Weiterentwicklung der europäischen Archäologie unerlässlich.

Die Vielfalt der interdisziplinären Ansätze in der Archäologie ist so wichtig wie die Frage, warum wir kaum widerstehen können, in unseren Haushalten einen Ikea-Artikel zu besitzen. Diese Frage zu beantworten ist nicht einfach. Ein Weg dorthin führt über eine Analyse auf lokaler, regionaler und globaler Ebene und mithilfe quantitativer und qualitativer Methoden. Daher sollten wir uns als Forscherinnen und Forscher die Freiheit nehmen, gemischte Methoden (Mixed-Methods-Ansatz) anzuwenden, um komplexe Fragen anzugehen und qualitative Erkenntnisse zu scheinbar quantitativen Fragen zu beurteilen. Man kann jedenfalls davon ausgehen, dass der Besitz von Ikea-Artikeln, der eine gemeinsame Praxis darstellt, die wirtschaftlichen und sozialpolitischen Aspekte (einer breiten Bevölkerungsschicht) des 21. Jahrhunderts in Mitteleuropa widerspiegelt. (Sabina Cveček, 10.3.2023)