Die OECD analysiert nicht nur gesetzliche Grundlagen, sondern auch die Stimmung im Land gegenüber Zuwanderern.

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Der Mangel ist inzwischen allgegenwärtig, die Pandemie dürfte das Problem nur kaschiert haben. Aktuell können in Österreich zehntausende Arbeitsplätze nicht besetzt werden. Ärztinnen und Ärzte fehlen ebenso wie Ingenieure, Köche, Programmierer und Busfahrer. Standen 2022 noch 66 Mangelberufe auf der bundesweiten Liste, sind es 2023 schon 100. Und beim AMS sind konstant seit Monaten unterm Strich deutlich mehr als 100.000 Stellen als unbesetzt gemeldet.

Die Konjunktur am Arbeitsmarkt unterliegt immer Schwankungen, über Fachkräftemangel wurde schon vor Jahren diskutiert. Aber diesmal spricht vieles dafür, dass die Probleme länger anhalten können, die Gesellschaft altert zusehends.

Diese Entwicklung trifft nicht nur Österreich, sondern zahlreiche Industrieländer in Europa. Zum Problem wird der Trend, weil sich der Wohlstand ohne ausreichend Menschen, die bereit sind, die Arbeit zu verrichten, nur schwer aufrechterhalten lässt. Wer soll dann die Straßen bauen, die Kinder ausbilden und im Restaurant servieren?

Als eine Möglichkeit, um den Arbeitskräftemangel zu entschärfen, gilt eine stärkere Zuwanderung. Aber wie gut sind einzelne Länder aufgestellt, um Fachkräfte aus dem Ausland anzuziehen? Dieser Frage ist die Industriestaatenorganisation OECD in einer am Donnerstag veröffentlichten Analyse nachgegangen. Das aus heimischer Sicht ernüchternde Ergebnis: Österreich tut sich tendenziell schwer damit, qualifiziertes Personal anzuziehen.

So hat die OECD einen Index erstellt, mit dem gemessen wird, wie attraktiv ein Land für gut ausgebildete Migrantinnen und Migranten ist. Im Ranking landet Österreich auf Platz 26 von 38 Industrieländern. Weniger ein Problem ist dabei wohl, wenn weit entfernte Staaten wie Kanada, Australien, Neuseeland und die USA besser platziert sind. Aber auch europäische Staaten wie Deutschland, Frankreich, die Schweiz und die Skandinavier schneiden besser ab.

Wie genau misst die OECD die Attraktivität für ausländische Schlüsselkräfte?

Bewertet wird, wie einfach es für Menschen ist, ins Land zu kommen, die zumindest über einen Master-Abschluss verfügen und auf Basis des geltenden Regelwerks, in Österreich ist das die Rot-Weiß-Rot-Karte, eigentlich befugt wären, ein Visum zu erhalten. Die OECD wertet dazu eine Reihe von Kriterien aus. Dabei geht es etwa um die Visavergabeverfahren selbst. Aber eine Rolle spielen auch das Umfeld für Familienangehörige, das Klima gegenüber Einwanderern im Aufnahmeland und das Steuersystem. Dass Österreich eher schlecht abschneidet, liegt an einer Reihe von Faktoren, wie Thomas Liebig, Migrationsexperte bei der OECD, erklärt.

Nicht willkommen

So sind die Ablehnungsquoten für Visaanträge in Österreich im Vergleich hoch. Diese Auswertung beruht auf Daten der international tätigen Anwaltskanzlei Fragomen: Bewertet wird dabei nur, wie hoch die Ablehnungsquote bei Anträgen ist, bei denen laut Einschätzung der Kanzlei eigentlich alle Voraussetzungen für eine Visavergabe vorliegen. In Österreich enden dennoch zehn Prozent der Verfahren negativ. In mehreren anderen Staaten tendiert diese Ablehnungsquote gegen null, so Liebig von der OECD.

Dazu kommt, dass die Verfahren lange dauern und kaum digitalisiert sind.

Punkteabzüge gibt es aber auch, weil die Willkommenskultur in Österreich wenig ausgeprägt sein soll. Diese Einschätzung beruht auf Umfragen des Gallup-Instituts. Dabei fragt Gallup in zahlreichen Ländern ab, was Menschen darüber denken, wenn Einwanderer in ihr Land kommen, ihre Nachbarn werden oder sogar in die Familie einheiraten. Daraus erstellt Gallup dann einen eigenen Index. Österreich schneidet hier nicht nur schlechter ab als klassische Einwanderungsländer, sondern auch schlechter als Deutschland.

Abzüge gibt es aber auch von der OECD, weil gut ausgebildete Migrantinnen und Migranten, die schon in Österreich leben, häufiger unterhalb ihres Qualifikationsniveaus arbeiten. Ebenfalls negativ bewertet wird die relativ hohe Steuerbelastung des Faktors Arbeit im Land. Pluspunkte gibt es für die gute Lebensqualität in Österreich und das gute Umfeld für die Familie. Im Spitzenfeld des Rankings landen Neuseeland, Schweden, die Schweiz sowie Australien.

Für Österreich ernüchternd ist außerdem, dass sich die Position des Landes im Ranking verschlechtert hat, was daran liegt, dass andere Staaten vorbeigezogen sind. 2019 gab es noch Platz 17 für Österreich, wobei die OECD betont, dass es bei den Bewertungskriterien Änderungen gab, weshalb sich die Ergebnisse nur bedingt vergleichen lassen.

"Luft nach oben"

Wobei Analysen wie diese auch mit einer Portion Vorsicht zu genießen sind: Sie messen ausgewählte Kriterien, die bei Migrationsentscheidungen eine Rolle spielen können, aber nicht müssen. Ob ein gut bezahlter Angestellter ins Land A statt ins Land B geht, bloß weil dort die Steuern niedriger sind, lässt sich hinterfragen.

Was ist die Conclusio aus dem Ganzen? Laut dem Migrationsexperten Liebig, dass eine Reihe von Faktoren darüber bestimmt, ob ein Land für Fachkräfte attraktiv ist – und nicht nur die gesetzlichen Regelungen. Denn selbst für jene Gruppe, die an sich kommen darf, gibt es praktische Hürden und Hindernisse beim Zuzug. "Da gibt es in Österreich Luft nach oben."

Andererseits ließe sich relativ viel durch einfache Eingriffe verbessern, etwa beim Vergabeprozess der Rot-Weiß-Rot-Karte. (András Szigetvari, 9.3.2023)