Ikonisches Cover von Storm Thorgerson: viel, viel Brechung.

Michael Ochs Archives

Der Herzschlag, mit dem das womöglich einflussreichste Album der 1970er-Jahre einsetzt, würde die Besorgnis jedes pflichtbewussten Kardiologen wecken. Er pocht schlichtweg zu langsam. Pink-Floyd-Drummer Nick Mason entschied sich irgendwann für die Bassdrum, anstatt den Lärm dröhnender Muskeln für die Ouvertüre Speak to Me einzuspielen. Im Takt seines Pedalschlags flog der Vierer aus Cambridge in vordem unbekannte Bezirke der Einbildungskraft: weit hinaus auf die erdabgewandte Seite des Mondes.

The Dark Side of the Moon, echt nur mit der Lichtbrechung durch das Prisma, avancierte sofort nach Erscheinen im März 1973 zum wichtigsten popkulturellen Besitz: ausgerechnet ein Hörspiel, das von Anfang bis Ende todtraurig war und das Schlagen und endgültige Ausklingen der Lebensuhr thematisierte. Mit Dark Side unterzogen Boomer mit Niveau den Dolby-Surround-Klang ihrer Anlagen dem ultimativen Stresstest. Zum Kreis der Initiierten gehörte, wer sich spätnachts, gut gedopt, die Kopfhörer überstülpte, um den zivilisationskritischen Ergüssen von Floyd-Kopf Roger Waters zu lauschen.

Niemals vorher war es so niederschwellig möglich, sich unbehaglich und unverstanden zu fühlen – es sei denn durch Waters und Co. Dark Side definierte den pochenden Weltschmerzpunkt. Um ihn zu erreichen, wurde man über daunenweiche Orgelteppiche geleitet. Man wurde vom Pluckern eines "EMS Synthi A" durch Korridore gehetzt. Zu anderer Gelegenheit klingelten Registrierkassen, schlugen die Uhren und dröhnten die Glocken. Nur das seufzende Heulen von David Gilmours Pedal-Steel-Gitarre söhnte das Herz aus mit den Zumutungen einer kalten, aufs Kuschen und Funktionieren getrimmten Welt.

Irre, die im Gras sitzend in schallendes Gelächter ausbrechen, Pop-Dienstleister, die von Flugangst gepeinigt werden: Der Sommer der Liebe war kaum verklungen, da sangen Pink Floyd, die Pioniere der psychedelischen Modernisierung anno 1967, bereits von Lobotomie, Panik und Entfremdung.

Faris Chugthai

Schrecken des Weltkriegs

Man muss sich vergegenwärtigen: Einigen der wichtigsten Rockstars der damals begonnenen Dekade saß, bewusst oder unbewusst, noch der Schrecken des Weltkriegs in allen Gliedern. Der Sirenenlärm von War Pigs (Black Sabbath) hallt nach im kulturellen Gedächtnis, die Luftalarme, das Verschwinden der Väter auf den Schlachtfeldern in Übersee – Waters’ Vater war 1944 an der italienischen Front gefallen. Floyd hatten auf Ummagumma (1969) wie zur eigenen Besänftigung das bukolische Idyll ihrer Heimatstadt Cambridge beschworen (Grantchester Meadows). Jetzt besangen sie auf Us and Them die unsichtbare Frontlinie, die die Täter für alle Zeit von ihren Opfern trennt. Ihr schlechtes Gewissen war Syd Barrett, das an einen LSD-Rausch verloren gegangene Gründungsmitglied.

Pink Floyd war eben niemals, entgegen einem hartnäckigen Klischee, eine "Prog-Band". Dieser Schlüsselformation der Generation Protest blieb es vor genau 50 Jahren vorbehalten, auf die Gegenkultur mit all ihren hochfliegenden Träumen das endgültige, nicht zu toppende Requiem anzustimmen.

Die späteren Floyd-Alben mit ihren vielen bedeutenden Schönheiten nehmen sich wie Postskripta aus: zunehmend unwirsche Formulierungen eines Unbehagens, das durch nichts zu besänftigen ist. Heute mag aus Roger Waters ein verbohrter älterer Herr geworden sein, der angeblich The Dark Side of the Moon noch einmal neu eingesprochen (!) hat.

Es erscheint unwahrscheinlich, dass die beiden noch lebenden, mit ihm zerstrittenen Ex-Kollegen ihm ihr Placet für eine Veröffentlichung erteilen werden. Wer braucht die Übermalung eines Bündels Licht? (Ronald Pohl, 9.3.2023)