Dass auf der Erde Leben gedeihen kann, ist nicht zuletzt der Architektur unseres Sonnensystems zu verdanken. Würde man nur eine Kleinigkeit ändern – beispielsweise die "Baulücke" zwischen Mars und Jupiter mit einem weiteren terrestrischen Planeten schließen – , würde das unser Heimatsystem signifikant umgestalten – und die Erde vielleicht sogar aus dem Sonnensystem befördern, wie nun ein Experiment in kleinem Maßstab vor Augen führte.

Für die Versuche hat sich ein Team um Stephen Kane von der University of California, Riverside, zwei wichtige Leerstellen des Sonnensystems vorgenommen: Die erste ist eine Lücke in der Größenverteilung unserer planetaren Population, die zwischen den felsigen Planeten Merkur, Venus, Erde und Mars einerseits und den "Eisriesen" Uranus und Neptun andererseits klafft.

In unserem Sonnensystem herrscht eine empfindliche Ordnung.
Illustr.: Nasa

Zwei ungewöhnliche Lücken

Nach dem größten Felsplaneten, der Erde, und vor dem kleinsten Eisriesen Neptun, der 17-mal massereicher ist als die Erde, hätte locker noch eine planetare Zwischengröße Platz, die es in anderen Sternensystemen tatsächlich gibt: Fachleute kennen sie als Supererden, eine noch ziemlich rätselhafte Übergangsklasse, zu der große Gesteinsplaneten ebenso zählen könnten wie kleine Gasplaneten.

Die zweite Lücke in unserem Sonnensystem, für die sich die Gruppe um Kane interessierte, ist quasi eine geografische und liegt dort, wo heute die Bestandteile des Asteroidengürtels kreisen. Man mag sich diese Region vielleicht als dichte ringförmige Trümmerwolke vorstellen, in Wahrheit jedoch besteht sie fast ausschließlich aus leerem Raum, gesprenkelt von einigen größeren und vielen kleinen Brocken. 60 Prozent der Masse sind in den vier größten Asteroiden Ceres, Vesta, Pallas und Hygiea vereint. Die Gesamtmasse aller Asteroiden wird auf etwa drei Prozent der Mondmasse geschätzt.

"Ungenutztes Bauland"

"Planetenforscher fantasieren häufig darüber, wie es wäre, wenn zwischen Mars und Jupiter ein weiterer Planet wäre. Die Region erscheint wie eine Verschwendung von ungenutztem Bauland," sagte Kane. Und wirklich: Folgt man zumindest der sogenannten Titius-Bode-Reihe, einer im 18. Jahrhundert von zwei deutschen Astronomen vorgestellten Abstandsformel, müsste an der Stelle des Asteroidengürtels ein nennenswerter Planet existieren – ein Glück, dass diese Reihe eher als Zahlenspielerei denn als physikalischer Mechanismus gilt.

Das Team von der University of California, Riverside, hat untersucht, was passiert, wenn man eine fiktive Supererde in die rote Zone zwischen Mars und Jupiter setzt.
Illustr.: The Planetary Science Journal/Stephen Kane et al.

Das Team um Stephen Kane konnte nämlich anhand eines dynamischen Modell des Sonnensystems demonstrieren, welche fatalen Auswirkungen ein Planet mit bis zu zehnfacher Erdemasse an dieser Stelle haben würde. "Ein solcher fiktiver Planet gibt dem Jupiter einen Schubs", sagte Kane. Und bei einem so gewaltigen Planeten wie dem Jupiter will man das auf keinen Fall: Der Gasriese ist fast 320-mal so massereich wie die Erde und vereint die 2,5-fache Masse aller anderen sieben Planeten des Sonnensystems.

Durcheinander

Dementsprechend groß wäre auch der gravitative Einfluss einer potenziellen Bahnveränderung auf die gesamte planetare Community, wie die Forschenden im Fachjournal "Planetary Science Journal" schreiben. Fast in jedem durchgespielten Szenario würde ein zusätzlicher Planet von hinreichender Masse je nach Position innerhalb des Asteroidengürtels auf dem Umweg über den Jupiter die Orbits der inneren Planeten Merkur, Venus und Erde deutlich destabilisieren, in einigen Fällen sogar die Umlaufbahnen aller Planeten

Besonders folgenreich wäre es, wenn man den fiktiven Planeten in 3,1- bis vierfacher Sonne-Erde-Distanz (Astronomische Einheiten, AU) platziert. Im schlimmsten Fall könnten dann nämlich die drei inneren Planeten binnen weniger Millionen Jahre aus dem System katapultiert werden. Für das Leben auf der Erde würde das unweigerlich das Ende bedeuten. Aber selbst kleinere Veränderungen der Erdumlaufbahn hätten wohl dramatische Folgen für ihre Bewohnbarkeit.

Künstlerische Darstellung der Supererde Kepler-62f, einer Welt, die rund 40 Prozent größer ist als die Erde. Ein solcher Planet würde im Sonnensystem für Chaos sorgen.
Illustr.: NASA/Ames/JPL-Caltech

Nicht nur eine Spielerei

Die Bahnintegrität des Mars wiederum würde bröckeln, wenn die Supererde in einem Abstand von zwei bis bis 2,7 AU kreist. Abhängig von der genauen Position der Supererde und ihrer Masse könnte ihre Anwesenheit sogar die Bahnen von Uranus und Neptun durcheinanderbringen. Nur unter ganz bestimmten Annahmen würde ein kleiner, sorgfältig innerhalb des Bereichs von 2,7 bis 3,1 AU eingepflanzter Planet (das wäre ziemlich genau in der Mitte des Asteroidengürtels) theoretisch auch längerfristig die Balance des bestehenden Systems gewährleisten. Aber selbst dann hätten kleinste Bahnstörungen, egal in welche Richtung, schwerwiegende Auswirkungen auf die gesamte Architektur des Sonnensystems.

Die Modellberechnungen sind freilich keine reine Spielerei, sondern lieferten dem Team wichtige Erkenntnisse über die Fähigkeit fremder Sternensysteme, Leben über längere Zeiträume hinweg zu beherbergen. So stützt die Arbeit etwa die Idee, dass Exoplanetensysteme ohne Jupiter-Analoga am besten geeignet wären, um mehreren erdähnlichen Welten in ihren inneren Regionen und damit in den habitablen Zonen eines Sterns eine stabile Heimat zu geben.

Aber nicht zuletzt schüren sie auch Respekt für die empfindliche Ordnung, die die Planeten um die Sonne zusammenhält. "Unser Sonnensystem ist viel feiner abgestimmt, als man es für möglich gehalten hatte. Das Ganze funktioniert wie ein kompliziertes Uhrwerk: Wenn man ein Zahnrad hinzufügt, kann der ganze Mechanismus kaputtgehen", sagt Kane. (Thomas Bergmayr, 18.3.2023)