Wenn der russische Botschafter in Polens Hauptstadt aus dem Fenster schaut, sieht er seit kurzem das "Krym". Drei Flaggen wehen vor dem Restaurant – die ukrainische, die tatarische und die polnische. Keine russische. Nachts leuchtet weithin sichtbar der intensivblaue Neonschriftzug Krym und darüber der wie eine Krone wirkende goldene Tamga, das Siegel, das ursprünglich das Wappen des Khanats der Krim war.

"Wir wollten ein politisches Zeichen setzen", bekennt Ernest Sulejmanow (54). "Wir hätten unser Restaurant auch woanders in Warschau aufmachen können, aber die Lage hier ist politisch einfach nicht zu toppen!" Seine Frau Elmira Seit-Ametowa (50) nickt und deutet aus dem großen Panoramafenster: "Rechts die Botschaft Russlands, links das Puschkin-Kulturinstitut und …" Sie macht eine kleine Pause und deutet auf die vielen Gäste an den kleinen Tischen: "... und mittendrin wir Krimtataren mit all den vielen Unterstützern aus Polen, der Ukraine, eigentlich aus ganz Osteuropa."

Ernest und Elmira betreiben in Warschau ihr Restaurant Krym.
Foto: Olena Ostafi

Sie schenkt Saft ein. "Als wir das Lokal renovierten, hatte ich erst große Angst, dass uns hier niemand finden würde." Ihr Mann nickt, legt einen Arm um sie: "Aber bei uns isst man eben nicht nur tatarisch, sondern politisch. Unsere ‚Krym‘ – das ist die Küche des Protests!"

Demos gegen Russland

Seit dem militärischen Überfall Russlands auf die Ukraine vor gut einem Jahr hat sich die Gegend rund um die russische Botschaft in Warschau verändert. Direkt neben der herrschaftlichen Einfahrt steht seit einigen Monaten ein neues Straßenschild: "Allee der Opfer der russischen Aggression". Hier finden immer wieder lautstarke Demonstrationen mit vielen blau-gelben Ukraine-Fahnen und Fotos von gefolterten und ermordeten Zivilisten statt. Auf dem breiten Trotoitr gegenüber der Botschaft hat jemand in riesengroßen Lettern und ebenfalls in Blau-Gelb gepinselt: "Slava Ukraini".

"Eigentlich sind wir keine Köche", erzählt der schlanke Mittfünfziger mit dem kurz geschnittenen Oberlippen- und Kinnbart. "Ich habe in der krimtatarischen Redaktion des ukrainischen Radios gearbeitet, später im Jugendministerium der Ukraine, und nach dem Maidan habe ich mich vor allem politisch engagiert. Als ich gegen das russische Referendum auf der Krim mobilmachte, hingen plötzlich Steckbriefe mit meinem Foto an jedem zweiten Baum. Ich musste fliehen."

Foto: Gabriele Lesser

Er geht kurz zur Tür, begrüßt einen Bekannten und bringt ihn an einen Tisch. Elmira Seit-Ametova streicht ihre dunklen Haare zurück: "Ich koche gerne, bin aber auch keine Profiköchin. Ich bin eigentlich Künstlerin, arbeite vor allem mit Stoffen und habe in Indonesien das Batikmalen gelernt. Leider haben wir in Polen in unseren Berufen keine Arbeit gefunden." Sie hält kurz inne und richtet den Blick auf einen der Kellner: "Ihm geht es genauso. Er ist eigentlich Architekt." Sie zuckt die Schultern: "So ist das eben im Exil. Aber wir beklagen uns nicht."

Beide haben Aufbaustudiengänge in Polen absolviert: er in Gastronomie-Management an der Uni Warschau, sie in Tuchmalerei an der Akademie der schönen Künste in Łódź. "Wir dachten, dass ein Diplom von einer polnischen Uni eine Art Türöffner für uns sein würde, aber unser Polnisch war einfach nicht gut genug", seufzt sie. Ihr Mann nippt am Kirschkompott: "Unser Sohn wird es da sicher leichter haben. Er ist 22 und studiert jetzt hier in Warschau." Dabei wollen sie eigentlich in drei Jahren zurück auf die Krim. "Wir hoffen, dass die Russen dann abgezogen sind", sagt Sulejmanow. "Wenn nicht, müssen wir uns etwas Neues ausdenken. Den Mietvertrag für das Restaurant haben wir erst mal für drei Jahre unterschrieben."

Vor der russischen Botschaft in Warschau finden regelmäßig Demonstrationen statt. Mittlerweile heißt die Straße "Allee der Opfer der russischen Aggression". Ernest und Elmira betreiben dort ihr Restaurant.
Foto: EPA/RAFAL GUZ

In Simferopol, der Hauptstadt der Autonomen Republik Krim, leben die Väter des Ehepaars sowie weitere Verwandte. "Wir sind in ständigem Kontakt", erzählt die zierliche Elmira Seit-Ametowa. "Nicht nur per Telefon und Videocall, ich fahre auch regelmäßig hin. Das können meine Männer natürlich nicht. Die würden ja sofort für die Armee rekrutiert." Sulejmanow nickt: "Wenn man Pech hat, kommt man in die russische Armee und muss dann gegen die Ukrainer kämpfen." Die meisten jungen Krimtataren und Ukrainer hätten schon 2014 die Krim verlassen, also direkt nach der völkerrechtswidrigen Annexion durch Russland.

Bewegte Geschichte

"Es war doch klar, was kommen würde." Er habe direkt nach der Ankunft in Polen erst einmal einen großen historischen Text über die Vertreibung der Krimtataren 1944 nach Zentralasien geschrieben. "Das war mir ein inneres Bedürfnis." Er winkt zwischen seiner Frau und sich selbst hin und her: "Unsere Familien kamen damals nach Usbekistan. Wir haben die Deportation überlebt, durften aber nicht zurück. Elmira und ich sind da geboren." Aber als die UdSSR 1991 zerfiel, hätten die meisten krimtatarischen Familien in Usbekistan die Koffer gepackt und seien zurück in die alte Heimat gezogen.

Aus der Küche weht der würzige Geruch von Tschebureki, knusprig ausgebackenen Teigtaschen, die mit gehacktem Lammfleisch oder mit Spinat gefüllt sind. "Das ist unsere Spezialität", sagt Sulejmanow, nimmt dem Kellner das Tablett aus der Hand, bringt das Essen selbst an den Tisch und sagt: "Slava Ukraini!" – "Ruhm der Ukraine!" (Gabriele Lesser aus Warschau, 9.3.2023)