Die mehrteilige Verfilmung von Frank Schätzings Weltbestseller "Der Schwarm", die dieser Tage im Fernsehen ausgestrahlt wird, hat für recht unterschiedliche Reaktionen gesorgt, in jedem Fall aber hohe Wellen geschlagen. Der Autor selbst äußerte sich mäßig begeistert und hätte sich weniger Rosamunde Pilcher, aber eine stärkere Thematisierung der Klimakrise gewünscht. Nicht wenige sehen sich in der Annahme bestätigt, dass der 1.000-Seiter im Grunde doch unverfilmbar ist, andere sind durchaus sehr angetan.

Egal. Nicht um die internationale Verfilmung, sondern um den wissenschaftlichen Hintergrund zu einem der Schlüsselereignisse des Weltuntergangsthrillers soll es hier gehen. Wer nicht gespoilert werden will, sollte den Rest des Absatzes zum fiktiven Kontext überspringen. Der dramatische Höhepunkt des Werks ist ein gigantischer Tsunami, der weite Teile der nordeuropäischen Küsten verwüstet und unter anderem Tina Lund das Leben kostet. Lund, Mitarbeiterin einer Ölfirma, ist zuvor Zeugin geworden, dass bisher unbekannte Tiefseewürmer den Schelfrand vor der norwegischen Küste besiedeln. Diese Würmer sollten letztlich die gewaltige unterseeische Hangrutschung hervorrufen, die den Tsunami auslöst.

Historisches Vorbild – ohne Würmer

Den unterseeischen Schelfabbruch, der bei Schätzing Fiktion ist, hat es – wenn auch ohne die Würmer – tatsächlich gegeben: Historisches Vorbild für das gewaltige Abbrechen des Kontinentalrandes vor Norwegen war das sogenannte Storegga-Ereignis vor rund 8.150 Jahren, die vermutlich größte bekannte unterseeische Rutschung weltweit. Auf fast 300 Kilometer Länge brach damals die Schelfkante ab, mehr als 3.000 Kubikkilometer Geröll, Sediment und Gestein rasten den Hang hinunter in die Tiefsee. Dieses Volumen würde ausreichen, um ganz Österreich mit einer mehr als 30 Meter hohen Sedimentschicht zu bedecken.

Die Region, in der sich das Storegga-Ereignis vor der Küste von Norwegen (rechts in Grau) zutrug.
Jens Karstens / Geomar

Die unterseeische Lawine kam erst nach rund 800 Kilometern zum Stehen und löste entlang der Küste einen gewaltigen Tsunami aus. Dessen bis zu 20 Meter hohe Flutwellen trugen unter anderem zum Untergang von Doggerland bei, einem während der Eiszeit existierenden ausgedehnten Landgebiet in der heutigen Nordsee.

Das Storegga-Ereignis gilt als eine der am besten erforschten Mega-Rutschungen weltweit. Doch nun wartet Jens Karstens (Geomar-Helmholtz- Zentrum für Ozeanforschung Kiel) gemeinsam mit Kollegen – und zeitlich gut abgestimmt mit der Ausstrahlung von "Der Schwarm" – mit neuen Erkenntnissen zur gewaltigen Hangrutschung auf. Und diese neuen Fakten sind nicht unbedingt beruhigend: Es gab nämlich in Wahrheit zwei Mega-Rutschungen – wenn auch ohne Wurmbeteiligung. Was wiederum bedeutet, dass solche Ereignisse häufiger auftreten dürften als bisher angenommen.

Storegga und Nyegga

Die Forscher bei der Probenentnahme.
Foto: Jens Karstens / Geomar

Die neuen Erkenntnisse, die kürzlich im Fachblatt "Communications Earth & Environment" publiziert wurden, beruhen einerseits auf Echolot-Untersuchungen, die während einer Forschungsfahrt im Jahr 2012 erhoben wurden, sowie der Untersuchung von dutzenden Sedimentkernen aus dem Gebiet der Rutschungen. Altersdatierungen und sedimentologische Untersuchungen wiesen in sieben der Sedimentkerne ungewöhnliche Ablagerungsprofile nach, die sich nicht mit dem bisherigen Wissen über die Rutschung vereinbaren lassen.

Die neue Erklärung der Forscher: Ein großer Teil des Materials, das bisher dem Storegga-Ereignis zugeschrieben wurde, war bereits 12.000 Jahre früher, also nach dem Höhepunkt letzten der Eiszeit, in Bewegung geraten. Dieses Ereignis vor 20.000 Jahren erhielt von den Wissenschaftern den Namen "Nyegga-Rutschung", benannt nach dem Gebiet, in dem sie die ersten Hinweise auf das Ereignis entdeckt haben.

3D-Ansicht der Storegga-Rutschung, bei der enorm viel Material in die Tiefsee abbrach – aber vermutlich ein Drittel weniger als bisher angenommen.
Jens Karstens / Geomar

Höheres Tsunamirisiko?

Die Geophysiker und Geologen gehen davon aus, dass rund ein Drittel des gerutschten Materials, das bisher dem Storegga-Ereignis zugeschrieben wurde (also etwa 1.000 Kubikkilometer), in Wahrheit auf die Nyegga-Rutschung zurückzuführen ist. Das bedeutet nicht nur, dass Storegga kleiner ist, als bisher angenommen, sondern auch, dass untermeerische Massebewegungen am mittelnorwegischen Schelf komplexer und häufiger sind als bisher gedacht.

Demnach ist auch das Tsunamirisiko durch solche Ereignisse größer, als es die bisherige Modelle vorhersagen. "Die Ergebnisse unserer Studie sind daher von großer Bedeutung für die Bewertung von Georisiken im Zusammenhang mit Hangrutschungen an Kontinentalrändern", resümiert Karstens. Und weitere Forschung sei nun notwendig, um das Gefahrenpotenzial großer untermeerischer Schelfabbrüche besser abschätzen zu können. (Klaus Taschwer, 8.3.2023)