Die Bundeswettbewerbsbehörde wird die Lieferdienste-Branche genauer unter die Lupe nehmen.

Foto: imago images/Seeliger

Die Unabhängigkeit der Wettbewerbsbehörde ist zentral, betont die Behördenleiterin. Sie setze den Weg ihres Vorgängers Theodor Thanner fort.

Foto: Christian Fischer

Jeder kennt sie, die grünen und orangen Männer und Frauen, die auf ihren Fahrrädern Essen von A nach B bringen. Lieferdienste wie Mjam und Lieferando haben in der Corona-Krise einen regelrechten Boom erlebt. Die beiden Unternehmen sind nach Aufkäufen und Marktaustritten aber mittlerweile die einzigen Anbieter in Wien, was nun die Wettbewerbsbehörde (BWB) auf den Plan ruft. Sie wird die Branche genauer unter die Lupe nehmen, wie Behördenleiterin Natalie Harsdorf-Borsch im Interview mit dem STANDARD bestätigt.

VIDEO: Das STANDARD-Videoteam hat im Jänner 2022 Robert Walasinski vom Internationalen Rat des ÖGB und einen anonymen Mjam-Fahrer getroffen
DER STANDARD

Mjam betont auf Anfrage, dass es sich um eine Branchenuntersuchung handle, die "nicht ungewöhnlich" sei. Das Unternehmen stelle der Behörde "sämtliche angefragte Informationen selbstverständlich zur Verfügung". Von Lieferando heißt es, dass man "natürlich mit der Behörde zusammenarbeiten und ihre Fragen beantworten" werde. Man sei "zuversichtlich bezüglich der Ergebnisse."

"Ich möchte nicht ausschließen, dass die Untersuchung in die Prüfung eines Marktmachtmissbrauchs mündet", sagt Harsdorf-Borsch. "Sollte es Verhaltensweisen geben, die missbräuchlich sind, können wir sie aufgreifen und in einem Verfahren vor das Kartellgericht bringen." Die Behörde will dabei drei Ebenen untersuchen: das Verhältnis der Anbieter zu den Restaurants, dasjenige zu den Kundinnen und das zu den Fahrern. Bei den Restaurants könnte laut der Juristin problematisch sein, wenn bestimmte Betriebe bevorzugt in der App angezeigt werden. Abseits der Lieferdienste hält die Inflation die BWB laufend auf Trab.

STANDARD: Die Preise gehen bei den Lebensmitteln durch die Decke, in Österreich stärker als in anderen Ländern. Was ist der Grund dafür?

Harsdorf-Borsch: Das untersuchen wir gerade. Wir führen Befragungen im Lebensmittelsektor durch und analysieren, ob die Preissteigerungen mit den Kostensteigerungen zusammenpassen. Sollten sich die Gewinnspannen der Unternehmen erhöht haben, wollen wir wissen, wohin dieses Geld fließt. Die Konsumenten sind zu Recht misstrauisch und fragen sich, warum sie so viel mehr bezahlen müssen.

STANDARD: Gibt es bei Lebensmitteln in Österreich zu wenig Wettbewerb?

Harsdorf-Borsch: Richtig ist, dass wir beim Handel eine hohe Marktkonzentration haben. Jede weitere Verschärfung werden wir sehr kritisch sehen. Aber es ist auch entscheidend, wie hart der Wettbewerb zwischen diesen wenigen Marktteilnehmern ausgetragen wird. Bei den Lieferanten hängt die Marktsituation sehr vom Produkt ab.

STANDARD: Die billigsten Produkte kosten oft überall gleich viel. Ist allein das nicht schon ein Indiz für wettbewerbswidriges Verhalten?

Harsdorf-Borsch: Preisanpassungen, die allein dadurch entstehen, dass sich die Unternehmen gegenseitig beobachten, sind nicht verboten. Das Kartellverbot greift erst, wenn es direkten Kontakt zwischen Unternehmen gibt. Klar ist, dass sich der Handel gegenseitig sehr genau beobachtet. In einem perfekten Wettbewerb sollte es immer einen Mitbewerber geben, der versucht, noch attraktiver zu sein. Aber den perfekten Markt gibt es nicht.

Harsdorf-Borsch verbrachte ihre gesamte bisherige Berufslaufbahn bei der BWB.
Foto: Christian Fischer

STANDARD: Sie untersuchen viele Branchen, es gibt aber selten Konsequenzen, wenn man vom Baukartell absieht. Viel geredet, wenig getan?

Harsdorf-Borsch: Ich glaube, dass das Gegenteil der Fall ist. Letztes Jahr haben wir im Baukartell die höchsten Bußen seit Bestehen der BWB verhängt. Und wir haben zwei Sektoruntersuchungen abgeschlossen, etwa bei Treibstoffen.

STANDARD: Aber ohne Folgen.

Harsdorf-Borsch: Eine Sektoruntersuchung durchleuchtet den Markt und führt nicht unmittelbar zu Maßnahmen. Wir geben der Öffentlichkeit das Wissen in die Hand. Alles Weitere ist eine politische Frage.

"Wir haben eine Taskforce und sehen uns die Effekte der Strompreisbremse genau an."

STANDARD: Bei den Treibstoffen haben Sie festgestellt, dass sich die Margen von den Rohölpreisen entkoppelt haben, aber keine Beweise für Absprachen gefunden. In der Praxis ist das öfter ein Problem. Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) schlägt Beweiserleichterungen vor. Würde Ihnen das helfen?

Harsdorf-Borsch: Das ist ein sehr interessanter Vorschlag, der jetzt in Deutschland diskutiert wird. Wenn das deutsche Kartellamt eine Sektoruntersuchung abgeschlossen hat, soll es in den Markt eingreifen können, auch wenn keine konkreten Rechtsverstöße festgestellt wurden. Zum Beispiel durch den Verkauf eines Tochterunternehmens an einen ausländischen Wettbewerber oder in letzter Konsequenz durch eine Entflechtung des Konzerns. Im angloamerikanischen Raum gibt es dieses Instrument bereits.

STANDARD: Sie sind dafür?

Harsdorf-Borsch: Das ist eine rechtspolitische Frage. Wenn man die Möglichkeit schaffen will, in Märkte einzugreifen, die nicht mehr funktionieren, muss man die Instrumente dafür schaffen.

STANDARD: Die Strompreisbremse subventioniert Stromkosten bis zu 40Cent pro kWh. Viele Stromanbieter sind jetzt ein bisschen unter dieser Grenze oder genau bei 40 Cent. Die nutzen das doch aus, oder?

Harsdorf-Borsch: Ich habe im Herbst öffentlich vor diesem Phänomen gewarnt.

STANDARD: Fühlen Sie sich in Ihrer Warnung bestätigt?

Harsdorf-Borsch: Wir haben eine Taskforce und sehen uns die Effekte der Strompreisbremse genau an. Wenn der Staat eine Art von Benchmark setzt, kann das einen koordinierenden Effekt haben.

STANDARD: Sie leiten die Behörde interimistisch. Die Spitze ist nach dem Rücktritt von Direktor Theodor Thanner noch nicht nachbesetzt worden, weil sich die Koalition gegenseitig blockiert. Sie wollen dieses Politikum nicht kommentieren. Aber beeinträchtigt die Situation die Arbeit der BWB?

Harsdorf-Borsch: Ich habe meinem Team von Anfang an versprochen, dass sich die Situation nicht auf ihre Arbeit auswirken wird. Ich versuche, mit großem Einsatz den Job zu machen, den wir machen müssen.

STANDARD: Haben Sie genug Ressourcen, um alles zu untersuchen, was Sie untersuchen wollen?

Harsdorf-Borsch: Wir müssen priorisieren, je nach Situation und Verdachtslage.

STANDARD: Ihnen wurden als unabhängiger Behörde 2021 neue Berichtspflichten an das Wirtschaftsministerium auferlegt. Stellt der Minister viele Anfragen?

Harsdorf-Borsch: Die Unabhängigkeit lebt davon, dass ich sie jeden Tag lebe und das erfordert Anstrengungen. Ich setze hier den Weg meines Vorgängers fort.

STANDARD: Sie wollen nicht sagen, wie viele Anfragen der Minister stellt?

Harsdorf-Borsch: Wir haben keine schriftlichen Anfragen. (Eric Frey, Jakob Pflügl, 9.3.2023)