"Künstliche Intelligenz im Journalismus ist eine Geschichte von Missverständnissen, Hoffnungen und Ängsten", seufzt APA-Geschäftsführer Clemens Pig.

Foto: Ian Ehm

"Heute"-Herausgeberin Eva Dichand postete am Mittwoch amüsiert auf Twitter, wie die KI ChatGPT sie beschreibt. Ärztin und Unternehmerin, Tochter von Christoph Dichand (der "Krone"-Herausgeber ist ihr Mann) und verheiratet mit Branchenverleger Christian W. Mucha zum Beispiel.

Am Donnerstag präsentierte die APA, Nachrichtenagentur und Technologieunternehmen der österreichischen Medien, was sie mit künstlicher Intelligenz vorhat.

Wie passt das zusammen?

Wie das unter dem Begriff KI zusammengeht – also hier eine künstliche Intelligenz, die allerlei Falsches und Seltsames doch sehr lesbar zusammenfabuliert, und da die APA, deren Kerngeschäft auf Fakten und authentischer Information fußt? Das erklärte APA-Geschäftsführer Clemens Pig auf STANDARD-Anfrage.

Hat Clemens Pig schon ein Porträt über sich von ChatGPT verfassen lassen wie Eva Dichand gerade diese Woche? "Ja, klar habe ich das gemacht, man will ja die Technologie spielerisch kennenlernen. Da kommen lustige Sachen raus, in der AI-Welt habe ich eine interessante internationale Karriere gemacht. Das Lachen bleibt einem allerdings rasch im Hals stecken, wenn man ernsthafte Recherchen in ChatGPT betreiben wollte."

"Das Lachen bleibt einem allerdings rasch im Hals stecken, wenn man ernsthafte Recherchen in ChatGPT betreiben wollte."

Pig hat ChatGPT gefragt: Was ist die APA? Was kam heraus? Die staatsunabhängige Genossenschaft österreichischer Medien von ORF bis "Österreich" wurde von der KI-Anwendung als öffentlich-rechtliches Unternehmen charakterisiert, das vom Innenministerium finanziert wurde. "Das sind echte Fake News", konstatiert Pig trocken.

Wenn die Wahrscheinlichkeit der Wortabfolge textet

An dem Punkt setzt der APA-Geschäftsführer seine Bewertung dieser neuen Generation von AI an: "Gerade Medien und Journalistinnen, Journalisten sollten verstehen, wie diese Technologien der generativen AI funktionieren. Es handelt sich um ein generatives Sprachmodell, in dem Wahrscheinlichkeiten hinterlegt sind, wie bestimmte Wörter aufeinander folgen. Was sich als flüssiger und von menschlicher Hand geschriebener Text liest und sich von der Maschine nicht mehr unterscheiden lässt, ist das Ergebnis eines statistischen Prozesses über Wahrscheinlichkeiten, die allerdings nicht abgrenzbar sind."

Pig: "Das heißt, man liest Texte, die nur aufgrund von Wortabfolge-Wahrscheinlichkeiten entstehen, aber nicht auf Basis von Fakten, und die damit auch kein echtes Wissen vermitteln."

"ChatGPT ist kein journalistisches Recherchewerkzeug"

Was Texte anhand von Wahrscheinlichkeiten der Wortabfolge erstellt, kann eines nicht sein, hält Pig an dem Punkt fest: "ChatGPT ist kein journalistisches Recherchewerkzeug. Und warum sollte es das auch sein? Der Output von ChatGPT-Abfragen hängt direkt mit dem Input zusammen – einer breiten, oftmals ungeprüften Informationsbasis aus vielen Onlinequellen, die nach Wahrscheinlichkeitsmodellen miteinander verknüpft werden." Das bedeutet: ChatGPT hat dialogisches, aber kein Faktenwissen.

"Künstliche Intelligenz im Journalismus ist eine Geschichte von Missverständnissen, Hoffnungen und Ängsten."

ChatGPT und Co haben künstliche Intelligenz, also KI oder AI, in den Alltag geholt – nach gefühlt vielen Jahren der Diskussionen, welche Gefahren oder Möglichkeiten KI im Journalismus bietet. Wo steht Pig – auf der Seite der Gefahren oder der Möglichkeiten?

"Künstliche Intelligenz im Journalismus ist eine Geschichte von Missverständnissen, Hoffnungen und Ängsten", sagt der Manager. "Viele Medien und Agenturen experimentieren derzeit mit AI, die APA ist seit einigen Jahren intensiv auf diesem Thema drauf und setzt als First Mover viele AI-Bausteine in ihren Produktionsprozessen und digitalen Produkten ein." 2022 hat sich die APA Richtlinien für verantwortungsvollen Einsatz von AI in der Nachrichtenagentur gegeben.

Von "Roboterjournalismus", einem saloppen Synonym für AI in diesem Metier, will Pig nicht sprechen: "Bis dato wird kein Redakteur und keine Redakteurin durch künstliche Intelligenz ersetzt. Im Gegenteil, wir verwenden derzeit AI zur Erschließung neuer Contentangebote, beispielsweise automatisierte Wahlberichte auf Basis strukturierter Wahlergebnisse, oder zur Entlastung der Redaktion durch Automatisierung von Routinetätigkeiten wie Metadaten-Codierung von Meldungen. Mit Generative AI wie OpenAI von Sam Altman sind nun mächtige und zukunftsweisende Werkzeuge im Vormarsch, die in geschulte Hände und in ein sicheres Umfeld gehören."

"AI muss gut erzogen und ausgebildet werden"

Pigs pädagogisches Postulat für den Umgang mit künstlicher Intelligenz: "AI muss gut erzogen und ausgebildet werden. AI benötigt faktenbasierte Informationen und Orientierung, damit Anwendungen wie ChatGPT nicht zum Superspreader für Fake News werden."

Wenn man in diesem Bild der Erziehung von KI bleiben will, dann denkt Pig in Richtung eines Wissenskanons, eines Lehrplans, einer Stoffsammlung für künstliche Intelligenz für Anwendungen im Journalismus.

"Sicherer Hafen für Einsatz von KI"

"Fakten und Orientierung – das sind doch die besten Assets von Qualitätsjournalismus", findet Pig. "Deshalb bin ich der Meinung, dass Qualitätsjournalismus und unabhängiger Agenturjournalismus dafür prädestiniert sind – als sicherer Hafen für den verantwortungsvollen Einsatz von Generative AI. Auf diese Weise kann es eine fruchtbringende Kooperation zwischen Medien und AI auf Augenhöhe geben."

Pig sieht da "extrem spannende Medienanwendungen der Technologie in der Erstellung, Verarbeitung und Analyse von Inhalten", aber: "mit faktenbasierten Inputs".

"Gemeinsamer Wissensraum heimischer Medienunternehmen"

Und wie hat man sich das vorzustellen? "Eine konkrete Zielsetzung für 2023 ist die Entwicklung eines neuartigen österreichischen AI-Medienhub operated by APA als gemeinsamer Wissensraum der heimischen Medienunternehmen, in dem künstliche Intelligenz auf Basis faktenbasierter Informationen trainiert und genutzt werden kann."

"Es entsteht mit integrierter AI ein faktenbasierter, österreichischer Wissensraum."

Die Idee laut Pig: "Nicht mehr jedes Medienunternehmen muss alles selbst tun: Ist in diesem Wissensraum beispielsweise eine Person öffentlichen Interesses, etwa eine Lokalpolitikerin oder ein Sportler, einmal klar verifiziert, kann die gesamte Beschlagwortung und Metadaten-Codierung, Gesichtserkennung in Millionen von Bilddatenbanken, Biografien et cetera auch bei Veränderungen von beruflichen Funktionen dieser Personen von allen teilnehmenden Medien automatisiert genutzt werden. Dasselbe gilt für Organisationen, Unternehmen und Orte. Es entsteht mit integrierter AI ein faktenbasierter österreichischer Wissensraum. Das spart enorme Ressourcen in der journalistischen Produktion. Sind genügend Entitäten verifiziert, dann kann Generative AI ihre volle Stärke in unterschiedlichsten Anwendungen ausspielen, aber immer im kontrollierten Rahmen mit faktenbasierten Informationen."

Das ermögliche neue Geschäftsmodelle und neue Services der Medien, "zielgruppenorientiert, themenfokussiert, datengetrieben" und im passenden Format.

Zurechtgeschneidert für spezielle Zielgruppen

Welche Geschäftsmodelle kann man sich darunter vorstellen? Sie entstünden aus dieser gemeinsamen, verifizierten Informationsbasis, erklärt Pig. Damit lasse sich KI trainieren zur Erkennung von Gesichtern, Logos, Objekten und Sprache. "Das bringt zum einen Kostensenkungspotenziale." Und Pig sieht "neue Erlösquellen für die Medien durch neue, personalisierte und individualisierte Formen der Contentdarstellung für unterschiedliche und granulierte Zielgruppen".

Solche themenspezifischen Zielgruppen, abgeleitet aus datenbasierter Analyse der Mediennutzung, ließen sich heute nicht oder nur schwer bedienen, die journalistische Produktion dafür sei zu teuer. AI-Lösungen – eingebettet in ein faktenbasiertes und sicheres Umfeld – könnten diesen Content mit niedrigen Erstellungskosten herstellen oder herstellen helfen. "Das bringt für Medien viele neue Möglichkeiten im Bereich Content-Automation – Produkte und Leistungen, die wir uns heute noch nicht abschließend vorstellen können."

Schon im Einsatz

Im Einsatz sind bei der APA laut Pig etwa bereits in der Redaktion: Automated Content, Textassistenten und medienforensische Werkzeuge zur Identifikation von Desinformationen; in der Medienbeobachtung vollautomatisierte Speech-to-Text-Lösungen, Automatic Abstracting sowie Logo- und Gesichtserkennung.

Wohin die APA will

Die APA als Nachrichtenagentur solle sich "vom multimedialen Inhaltelieferanten zu einer Daten- und AI-basierten Produktionsplattform" wandeln, erklärt Pig. "Die APA war schon immer eine organisatorische Plattform für gemeinsame Produkte und Lösungen der Genossenschafterredaktionen und des Medienmarktes insgesamt. In der digitalen Interpretation unseres seit 1946 aufrechten Grundauftrages zur wirtschaftlichen Förderung der Mitglieder entwickeln wir uns jetzt zu einer kollaborativen Plattform, die eng mit den Produktionssystemen der Medien verbunden ist und einen nahtlosen Zugang zu APA-Lösungen wie Trusted AI ermöglicht". Etwa das AI-Medienhub.

Wenn man Clemens Pig fragt, was die APA schon mit KI tut und was sie damit noch vorhat, dann kommt eine Menge, da geht es um strategische Bereiche wie "Digital Workplace" und "Digital Platforms". Vor allem aber um das "Innovationsfeld Data & AI – Digital Business, das wir heuer in die strukturierte Umsetzung bringen".

"Trusted AI"

Und zwar so, in Pigs Worten: "Die neue Strategie der APA zu diesem Thema ist 'APA Trusted AI': Trusted AI ist die logische Weiterentwicklung von Trusted Content und bringt die neuen AI-Technologien – wie im redaktionellen Wertesystem – in ein sauberes Umfeld." Für die bisherigen APA-Zielgruppen: Journalismus, Kommunikation und IT.

Zehn Expertinnen und Experten arbeiteten an APA Trusted AI. Seit März hat die APA auch einen Prompt Engineer zur Optimierung AI-integrierter APA-Anwendungen.

Woran werkt man gerade? Pig: "An neuen Produkten, auch unter Verwendung von Generative AI. Das ist beispielsweise mit APA-Signals ein innovatives umfassendes Monitoring-Tool von digitalen Informationen für Redaktionen, das wir im Rahmen der neuen Transformationskooperation mit einem Funding von Google umsetzen."

Mit GPT arbeite man an einer Anwendung, die Presseaussendungen umformuliert in Inhalte etwa für Social Media.

Was ChatGPT über Eva Dichand weiß

Und falls Sie genauer wissen wollen, was ChatGPT nicht aus einem "sicheren Hafen" verifizierter Information, sondern aus der weiten Welt des Web über "Heute"-Herausgeberin Eva Dichand dichtete:

(Harald Fidler, 9.3.2023)