Die russischen Streitkräfte montierten ein Geschütz vom Typ 2M-3 auf einen gepanzerten Schlepper MT-LB.

Foto: Screenshot Twitter, Noel Reports

Die russische Armee ging mit einer sehr eigenwilligen Konstruktion eines "Panzers" viral. Diese Woche machte ein Bild die Runde, das den Versuch zeigt, ein 80 Jahre altes Schiffsgeschütz vom Typ 2M-3 auf einen 60 Jahre alten Amphibienpanzer MT-LB zu montieren. Welchen Zweck das Gefährt erfüllt oder ob das seltsame Gespann überhaupt fahrbereit oder gar einsatzfähig ist, darüber wird im Westen einigermaßen belustigt gerätselt.

In der Ukraine wird das eigenartige Bild als Beweis dafür herangezogen, dass die russische Armee offenbar an Materialnot leidet und zu verzweifelten Maßnahmen greifen muss. Die Aufschrift "27 RUS" deutet darauf hin, dass das Fahrzeug wohl aus der Region Chabarowsk an der Pazifikküste stammen dürfte. Laut ukrainischen Angaben hat man ein ähnliches Fahrzeug bereits vor dem 3. Februar erbeutet. Das Gefährt dürfte von den Russen zurückgelassen worden sein.

Ein modernes Konzept – eigentlich

Der MT-LB wurde in den 1950er-Jahren entwickelt und war 1970 zum ersten Mal bei der Roten Armee im Einsatz. Das Konzept war eigentlich sehr modern und gilt auch noch für heutige Gefechtsfahrzeuge: Der MT-LB sollte eine Plattform für alle erdenklichen Anforderungen sein. Das rund zwölf Tonnen schwere Fahrzeug sollte Munition liefern können, Kanonen schleppen oder als "Frontlinientaxi" bis zu elf Soldaten transportieren. Darüber hinaus wäre es mit mehr oder weniger Aufwand möglich, die Plattform mit Luftabwehrraketen auszustatten oder zur selbstfahrenden Artillerie umzubauen – es gab sogar Varianten mit einer 122-mm-Haubitze.

Billig, schnell, praktisch

Dazu gab es die Option, den MT-LB mit extrabreiten Ketten für Schnee umzurüsten – und natürlich ist das Fahrzeug amphibisch und kann einigermaßen ruhige Gewässer mit einem Tempo von 4 bis 5 km/h überqueren. Der Vortrieb kommt dabei von den Ketten. Noch dazu war das Mnogozelewoi Tjagatsch Ljogki Bronirowanny, also etwa leichtgepanzertes Mehrzweckzugmittel, billig herzustellen. Sogar der 240 PS Dieselmotor war eigentlich für Lkw gedacht. Der verleiht dem MT-LB eine für damalige Verhältnisse beachtliche Geschwindigkeit von 61 km/h auf der Straße sowie bis zu 30 km/h im Gelände.

Noch dazu kann der MT-LB von zwei Besatzungsmitgliedern, dem Fahrer sowie dem Kommandanten bedient werden. Letzterer bedient außerdem das 7,62 mm Maschinengewehr in einem kleinen gepanzerten Turm auf der rechten Fahrzeugseite.

Extrem dünne Panzerung

Doch das vermeintliche Allzweckfahrzeug MT-LB hatte einen gewaltigen Nachteil: Um Gewicht zu sparen und die Schwimmfähigkeit nicht zu beeinträchtigen, mussten Abstriche bei der Panzerung gemacht werden. Dabei kam, wie in der Sowjetunion damals noch üblich, keine moderne Verbundpanzerung, sondern herkömmlicher Panzerstahl zum Einsatz. Diese nur zwischen drei und zehn Millimetern dicke Hülle schützt den MT-LB maximal vor Splittern und kleinkalibrigem Beschuss etwa aus einer AK-74, was bei dem gedachten Einsatz als Schlepper auch ausreichend ist. Auf einem hochintensiven Gefechtsfeld wie der Ukraine bietet der MT-LB seiner Besatzung nahezu keinen Schutz. Wie die ukrainischen Streitkräfte behaupten, ist es aber ein Leichtes ein derartiges Fahrzeug mit einem schweren Maschinengewehr zu zerstören.

Materialmangel in der russischen Armee

Laut einem Bericht von "Forbes" ist Russland gerade dabei, den MT-LB wieder an die Frontlinien zu schicken. Dort soll der Schlepper die stärker gepanzerten, besser bewaffneten aber mittlerweile knapp werdenden BMP-2 und BMP-3 ersetzen. Auch alte BMP-1 aus den 1960er-Jahren wurden aus den Arsenalen geholt. Die Lücke der MT-LB bei den Truppen im Hinterland soll laut dem ehemaligen Marineoffizier und Experten des War Studies Departement am King’s College London Rob Lee noch ältere Fahrzeuge stopfen: Der BTR-50P ist der Vorgänger des MT-LB und stammt aus dem Jahr 1954.

Der Spott ließ nicht lange auf sich warten. Hier wird suggeriert die Orks aus "Warhammer 40.000" hätten die Konstruktion erschaffen. Die Ukrainer bezeichnen die russischen Angreifer ebenfalls häufig als Orks.

Schiffsgeschütz aus den 40er-Jahren

Noch einmal deutlich älter ist das Schiffsgeschütz, das auf das Amphibienfahrzeug montiert wurde. Die Arbeiten daran begannen bereits im Jahr 1945. Dabei handelt es sich um ein doppelläufiges 25 mm Geschütz vom Typ 2M-3. Dieses wurde eigentlich für kleinere Schiffsklassen wie Schnellboote entwickelt und sollte für die Fliegerabwehr eingesetzt werden, kann aber natürlich auch gegen Bodenziele verwendet werden, auch wenn das nicht der primäre Einsatzzweck ist.

Jedes der beiden Geschütze kann theoretisch 300 Schuss pro Minute abgeben. Realistisch sind jedoch eher 200 Schuss pro Minute, da nach 65 Schuss nachgeladen werden muss. Außerdem ist vorgesehen, die Rohre während des Wechsels der Gurte mit Wasser zu kühlen – wie das auf einem MT-LB bewerkstelligt wurde, ist unbekannt.

Schon während der aktiven Dienstzeit zwischen 1953 und 1984 galt das 2M-3 als völlig überholt, da es manuell ausgerichtet werden muss, was die Chance auf einen Treffer bei einem wendigen Kampfflugzeug erheblich senkt.

Die "Shushpanzer"

Ungewöhnliche Panzerkonstruktionen sind in Russland nicht neu. In den 1930er-Jahren produzierte die Sowjetunion mit dem T-35 ein für damalige Verhältnisse gewaltiges Ungetüm, einen 50 Tonnen schweren Panzer mit mehreren Kanonen in vier unterschiedlichen Türmen und einer elfköpfigen Besatzung. Dieser schwere Panzer erwies sich als völlig unzuverlässig und ineffektiv. Für das Internetzeitalter gibt es einen passenden russischen Begriff für aus der Not geborene Kampffahrzeugkreationen: Sie werden "Shushpanzer" genannt, was in etwa so viel wie "komischer Panzer" bedeutet.

Die "Kiew Post" hat den britischen Rüstungsexperten Hamish de Bretton-Gordon gefragt, was er von solchen Improvisationen hält. Sein Urteil ist vernichtend: "Dass eine angeblich moderne Armee Teile zusammenbastelt, was an Terrororganisationen wie Al-Kaida oder IS erinnert, zeigt den schlechten Zustand der russischen Streitkräfte", erklärte er. (Peter Zellinger, 12.3.2023)