Tausende Menschen demonstrierten in der georgischen Hauptstadt Tiflis gegen den umstrittenen Gesetzesentwurf zu "ausländischen Agenten". Die Regierung zog das Vorhaben nun zurück.

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Jetzt wurde das umstrittene Gesetz zurückgezogen. Doch für die zigtausenden Pro-EU-Demonstrierenden, die in den vergangenen Tagen auf den Straßen von Tiflis dagegen protestierten, bleibt die Frage aller Fragen im Raum: Will und kann sich Georgien weiter in Richtung EU entwickeln? Das Gesetz "über die Transparenz ausländischen Einflusses" wäre ein herber Rückschritt gewesen.

VIDEO: In der georgischen Hauptstadt Tiflis gab es seit Tagen Proteste gegen das umstrittene Gesetz. Jetzt will die Regierung das Vorhaben aufgeben.
DER STANDARD

Am Dienstag hatte das georgische Parlament den Gesetzesentwurf, in dem es offiziell um die Offenlegung von Geldflüssen aus dem Ausland geht, in erster Lesung mehrheitlich verabschiedet. Kritiker befürchten, dass die georgische Variante nach dem Vorbild eines ähnlich lautenden Gesetzes in Russland wirken könnte. Medien und Nichtregierungsorganisationen als "ausländische Agenten" gebrandmarkt: Dies würde Tür und Tor für die Unterdrückung unliebsamer Meinungen und politischer Positionen öffnen. In Russland sind zahlreiche unabhängige Medien und NGOs davon betroffen. Das entsprechende russische Gesetz wird international als politisch motivierte Maßnahme kritisiert, die darauf abzielt, Kreml-Kritiker zu stigmatisieren und mundtot zu machen.

Abschreckende Wirkung

Entsprechend scharf war die Reaktion des Westens in Sachen Georgien. "Das Gesetz in seiner jetzigen Form könnte eine abschreckende Wirkung auf die Zivilgesellschaft und die Medien haben. (...) Dieses Gesetz ist mit den Werten und Standards der EU nicht vereinbar", erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Es sei "ein schwarzer Tag für die georgische Demokratie", reagierte die US-Botschaft in Tiflis. "Die Diskussion der vom Kreml inspirierten Gesetze im georgischen Parlament ist unvereinbar mit den Bestrebungen des Landes nach europäischer Integration und demokratischer Entwicklung."

Nun hat die Regierungspartei Georgischer Traum, gegründet von dem Oligarchen Bidzina Ivanishvili, den umstrittenen Gesetzesentwurf zurückgenommen. "Wir sehen, dass der Gesetzesentwurf zu Meinungsverschiedenheiten in der Gesellschaft geführt hat." Im Unterschied zu Russland, wo jeder Protest unterdrückt wird, war der demokratische Druck von der Straße wohl doch zu groß.

Bis zu 15.000 Menschen demonstrierten am Mittwochabend in der georgischen Hauptstadt. Die Polizei reagierte mit brutaler Gewalt, setzte Tränengas und Wasserwerfer ein. 130 Menschen wurden festgenommen. Die Präsidentin der Ex-Sowjetrepublik Georgien, Salome Surabischwili, die nicht der Regierungspartei angehört, wandte sich an die Demonstranten und sicherte ihnen ihre Unterstützung zu. Einige der Teilnehmenden schwenkten auch ukrainische Fahnen. Deshalb dankte ihnen der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner täglichen Videoansprache. "Wir wollen in der Europäischen Union sein – und werden es auch sein. Wir wollen, dass Georgien in der Europäischen Union ist, und ich bin mir sicher: Es wird so sein."

Noch kein Beitrittskandidat

Doch nicht nur für die Ukraine, auch für Georgien ist der Weg in die EU noch weit. Während man die Ukraine quasi im Eilverfahren zum Beitrittskandidaten machte, versagt die EU dies Georgien noch. Zwar will die überwiegende Mehrheit der georgischen Bevölkerung nach Europa, doch in Brüssel sieht man entscheidende Hemmnisse. Oligarchen wird vorgeworfen, übermäßigen Einfluss auf das politische Leben und die Medienlandschaft Georgiens auszuüben, während die bürgerlichen Freiheiten nicht geschützt seien. Die Liste der von der EU vorgeschlagenen Reformen in Georgien ist deutlich länger als die der Kandidaten Ukraine und Moldau.

Justizreform, Bekämpfung der Korruption und illegaler Machenschaften, Ent-Oligarchisierung – insgesamt sind es zwölf Punkte. Dabei gehe die georgische Regierung allerdings "zynisch" vor, meint der georgische Rechtsprofessor Bachana Jishkariani. "Insgesamt entsteht der Eindruck, dass die Regierung gezielt verschiedene Anforderungen der Europäischen Union torpediert, um die eigene Macht zu festigen, weil zu viel Liberalisierung und Unabhängigkeit verschiedener Behörden oder der Justiz als Gefahr gesehen wird. Gleichzeitig wird aber versucht, jeden Schritt formell als europarechtskonform zu verpacken." (Jo Angerer aus Moskau, 9.3.2023)