U2 veröffentlichen kommenden Freitag "Songs To Surrender" – 40 Songs aus ihrem Katalog in reduzierten Versionen.

Foto: Helena Christensen / Universal Music

Der letzte große Auftritt von U2 fand im Kleinen statt. Bono und The Edge, der Sänger und der Gitarrist der irischen Band, waren kurz nach Ausbruch des Ukrainekriegs nach Kiew gereist und gaben dort in einer U-Bahn-Station ein Überraschungskonzert: Bono am Mikro, The Edge an der Akustischen. Die Handyfilmchen davon gingen um die Welt.

Die Qualität des Auftritts erhob zwar so manchen unbekannten Straßenmusiker spontan in den Popadel, aber bei dem Gig ging es natürlich um die Symbolik, die Solidarität mit den Opfern von Putins Aggression. Denn wo immer ein Unrecht geschieht, ist Bono zur Stelle und bringt ein akustisches Trostpflaster an, sein moralischer Kompass gebietet ihm das. Und nachdem seine früheren Umarmungen Putins den Weltfrieden nicht gebracht hatten, musste er eben nachlegen.

Das nächste große Lebenszeichen der Band kommt nun in Form einer Neuveröffentlichung. Songs of Surrender ist so etwas wie die akustische Begleitung von Bonos letzten Herbst erschienener Autobiografie. Die heißt Surrender: 40 Songs, One Story und war zugleich eine Prophezeiung auf das am kommenden Freitag erscheinende Album.

Weniger ist mehr – nicht bei U2

Auf Songs of Surrender haben U2 40 ihrer Songs neu eingespielt. Verteilt auf vier Alben, jedes ist nach einem Bandmitglied benannt. Und ein wenig schließt sich so ein Kreis zu dem U-Bahn-Auftritt von The Edge und Bono. Denn viele dieser neu imaginierten Versionen kommen stark reduziert daher. Weniger ist mehr, heißt es ja.

U2 - Topic

Großteils während der Pandemie und stellenweise aus dem Homeoffice und der Ferne eingespielt, kann man es als einsichtiges Werk deuten. Einerseits. Die Einsicht könnte lauten, dass die Alben der Band aus den letzten 25 Jahren ausnahmslos aufwendig produzierte Makulatur waren.

Keines davon reichte an frühere Arbeiten aus den 1990ern heran, in denen die Band in der Euphorie dieses Jahrzehnts in der Riege der Regenten der Populärmusik zeigte, wo’s langging. Der Kalte Krieg war beendet, und vor dem Hintergrund einer Demokratisierungswelle in Osteuropa passte der Weltumarmungsgestus des Bono Vox zur Grundstimmung.

Am Lagerfeuer

Mit Achtung Baby, Zooropa und Pop waren U2 für einen Mainstream-Act weit vorne mit dabei, legten auf 1980er-Blockbuster wie The Joshua Tree oder Rattle and Hum noch einen drauf. Vielleicht dachten die Denker der Band jetzt: Nehmen wir doch alte Lieder und spielen sie neu ein, anstatt zwölf oder 14 halb gare neue in die Welt zu setzen. Doch nachdem man sich durch die 40 – in Worten: vierzig! – neuen alten Lieder gehört hat, weiß man zweieinhalb lange Stunden später, das war nichts.

Es beginnt mit jenem Album, das The Edge zugeschrieben wird. One ist da der erste Song, und der drängt sich schon aus Gründen der Chronik irgendwie auf, erweist sich aber sofort als Problemkind.

Mit einem Nasenloch geschnupft

Klavier und Beserlschlagzeug dienen Bonos Stimme als akustischer Polster, mehr ist nicht. Unweigerlich fällt einem die karge Version des Johnny Cash im Vergleich ein, der One auf einem seiner Alben der American-Recordings-Serie aufgenommen und kraft seiner Interpretation so manch ein Lied seinem Schöpfer entwendet hat – wie dieses, wie One.

Bonos Version lässt die Autorität eines Cash vermissen (und jede andere ebenfalls). Dessen zerschossener Bariton schnupft Bonos stets mit einem Bein im Pathos stehendes Winseln mit einem Nasenloch. Ein weiteres Problem offenbart sich im zweiten Lied.

U2 - Topic

Das jedes Stadion der Welt in Schwingung und Euphorie bringende Where the Streets Have no Name wird ebenfalls als dürre Ballade dargeboten. Allein es fehlt die Intimität der Produktion, um der Version eine Dringlichkeit zu geben, so etwas wie Tiefe, es bleibt ein Schaben an der Oberfläche. Nur von Klavier und reichlich Hall begleitet, gelingt nicht mehr als eine Bedeutungsbehauptung, wieder hat Bono nicht die Stimme, um diese einzulösen, dieser Miniatur so etwas wie Autorität zu verleihen. – Uff. Noch 38 Songs.

Besser mit Schlagzeug

Nur wenn die Band auch das Schlagzeug mit hereinnimmt, wird es besser. Da wird aus dem gesichtslosen Get out of Your Own Way ein sympathisches Lagerfeuerstück, oder aus Red Mill Mining Town mit seinen trägen Bläsern ein Spaziergang im Midtempo.

Den großen Hits wie With or Without You bekommt die Reduktion nicht. Der Stadionrock lässt sich nicht ins Wohnzimmer stopfen, nicht von U2, da bleiben nur Gitarrengrundkursgeschrammel und ein Gewinsel wie bei einer irisch-katholischen Fürbittenverlesung. Sunday Bloody Sunday? Gnade.

The Edge, der das ganze als "Kurator" und Produzent verantwortet, wollte laut Band-Information die Belastbarkeit der Lieder testen, schauen, ob sie in abgespeckter Form bestehen. Nun ja, so viel lässt sich sagen: Die Belastbarkeitsprüfung wurde dem Publikum umgehängt, die Ergebnisse sind statt dem anvisierten Epos ein Debakel – und das Geld ist beim nächstbesten Straßenmusikanten besser angelegt. (Karl Fluch, 11.3.2023)