Emmanuel Macron erklärte am Internationalen Frauentag, es müsse den Frauen freistehen, eine ungewollte Schwangerschaft abzubrechen, und dieses Recht solle in die Verfassung eingeschrieben werden. Die Revision des Grundrechts solle "in einigen Monaten" spruchreif sein.

Das Ziel ist klar, auch wenn ungesagt: Eine Regierung soll das Abtreibungsrecht nicht mehr grundsätzlich infrage stellen können. Befürchtet wird dies namentlich nach einem allfälligen Sieg der Rechtspopulisten bei den Präsidentschaftswahlen von 2027. Ihre Kandidatin Le Pen hat sich allerdings in einem auffälligen Stimmungswandel für die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs bis 14 Wochen ausgesprochen; nach einigem Zögern ist sie sogar für die Einschreibung in die Verfassung.

Emmanuel Macron am Frauentag.
Foto: EPA/Euler

Liberalstes Abtreibungsrecht

Damit stehen in Frankreich alle Parteien zu dem vielleicht liberalsten Abtreibungsrecht Europas. Die "interruption volontaire de grossesse", im Volksmund nur "IVG" genannt, geht in Frankreich bis auf den Beginn der Siebzigerjahre zurück. Die Kosten für die Intervention werden von der Krankenkasse erstattet, und ein Beratungsgespräch wie etwa in Deutschland ist in Frankreich nicht obligatorisch. Die Pille danach ist – wie neuerdings auch die Kondome – in Apotheken rezeptfrei erhältlich.

In ersten Debatten hatten in den vergangenen Monaten sowohl die Nationalversammlung als auch der Senat eine solche Verfassungsrevision angeregt. Laut Umfragen befürworten 81 Prozent der Französinnen und Franzosen die Einschreibung in die Verfassung. Die katholische Kirche hält sich in der Frage IVG eher zurück, nachdem sie diesbezüglich kaum mehr gehört wird. Immerhin sah sich die Staatsführung veranlasst, die Möglichkeit einer Volksabstimmung zu vermeiden: Da nun der Staatspräsident formell die Initiative ergriffen hat, genügt eine Dreifünftelmehrheit in den vereinten Parlamentskammern. Hätten sie die Verfassungsrevision selber lanciert, wäre im Anschluss eine Volksabstimmung nötig geworden.

Signal an Linke

Macron versucht zugleich, die Abtreibungsgegner nicht zu brüskieren. Er spricht deshalb von der "Freiheit" der Frauen, eine ungewollte Schwangerschaft abzubrechen. Damit geht er eine Nuance weniger weit als Feministinnen, die das "Recht" zur Abtreibung in das Grundrecht einschreiben wollten. Im Endeffekt laufen die beiden Formulierungen auf dasselbe hinaus, da sich die "Freiheit" aus der allgemeinen Menschenrechtserklärung ableitet – und diese hat laut dem französischen Verfassungsgericht Rechtswirkung.

Macron war es wichtig, mit der Revision ein politisches Signal an die Linke zu senden. Die Ankündigung erfolgt nicht zufällig mitten in den heftigen Protesten gegen die hoch umstrittene Pensionsreform. Ob der Präsident die Streikenden damit milder stimmen oder zumindest etwas ablenken kann, scheint allerdings fraglich.

Mit seinem Eintreten für die Frauenrechte folgt Macron auch dem zivilisatorischen Anspruch seines Landes. Und dies namentlich gegenüber den USA. Mehr noch als in anderen Ländern herrscht in Frankreich Entrüstung über die Regression des Abtreibungsrechts in einzelnen US-Bundesstaaten. So auch im Juni 2022, als der höchste amerikanische Gerichtshof das emblematische Urteil "Roe v. Wade" aufhob: Noch am gleichen Tag meldeten sich in Paris Stimmen, die eine Verfassungsabsicherung des liberalen französischen Abtreibungsrechtes verlangten. Die Vorsitzende der "Fondation des femmes" (Frauenstiftung), Anne-Cécile Mailfert, gab ihrer Hoffnung Ausdruck, dass die französische Verfassungsrevision "auch international eine sehr starke Wirkung haben" und "Aktivistinnen auf der ganzen Welt unterstützen" werde. (Stefan Brändle aus Paris, 9.3.2023)