Die Tiktok-Debatte zeigt: Es mangelt an Digitalkompetenz.

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Im eher gemütlichen Österreich war man einmal mehr ein wenig überrumpelt: Dass die EU ihren Angestellten die Nutzung der unter Spionageverdacht stehenden App verbieten würde, war seit Wochen absehbar. Erst als man sich der Debatte nicht mehr verschließen konnte, rief das Innenministerium zum Tiktok-Krisengipfel. Seit der Vorwoche wird dort beraten, ob man die App auch von Dienstgeräten in Österreich verbannt.

Alle Zeichen deuten darauf hin, dass es zu einem Verbot kommt. Doch so einfach ist es gar nicht, der immens populären App einfach den Stecker zu ziehen. Die Hälfte der Regierung nutzt die App, um ihre politischen Botschaften an eine junge Zielgruppe zu bringen. Seit 2022 veröffentlichten die Ministerinnen und Minister 281 Videos. Diese wurden seitdem rund 336.000 Mal gelikt. Tiktok ist längst zum wichtigsten Kommunikationskanal geworden, will man die unter 20-Jährigen erreichen. Diese Plattform aufzugeben fällt natürlich schwer.

Tiktok ließ keinen Skandal aus

Natürlich ist die Debatte um ein Verbot vor allem in den USA politisch motiviert und wurde von Ex-Präsident Donald Trump wesentlich befeuert. Trump schoss sich auf die chinesische Plattform ein und verwendete sie als Beispiel für eine angebliche Unterwanderung der USA durch China. Aber auch Tiktok selbst schien einen Fehler nach dem anderen zu begehen: Als potenziell tödliche "Challenges" unter Jugendlichen die Runde machten und Kinder starben, weil sie die Luft zu lange anhielten oder Waschmittel aßen, reagierte das junge Unternehmen plötzlich träge und moderierte gefährliche Inhalte nur widerwillig weg.

Später musste die Konzernleitung zugeben, dass man Journalistinnen und Journalisten sowie deren Angehörige überwacht hat. Die Begründung: Der Mutterkonzern wollte eine undichte Stelle finden, von der regelmäßig Leaks an die Presse gingen. Die Daten für ein solche Vorhaben waren vorhanden: Tiktok kann auf den Standort, die Kontakte, Browserverläufe und Kreditkartendaten zugreifen. Damit lässt sich ein nahezu lückenloses Profil einer Person erstellen.

All das gab es schon einmal

All die Vorgänge erinnern verdächtig an eine andere Social-Media-Plattform, die noch vor wenigen Jahren ähnliche Dominanz hatte wie derzeit Tiktok: Facebook. Auch hier ging man lange nur halbherzig gegen Fake-News und Hassrede vor. Erst als sich das britische Unternehmen Cambridge Analytica damit brüstete, die Präsidentenwahlen 2016 maßgeblich zugunsten Donald Trumps beeinflusst und die Briten aus der EU getrieben zu haben, begann der Stern von Facebook zu sinken.

Das Unternehmen hatte sich über einen angeblichen Persönlichkeitstest Zugriff auf die Profile von Millionen Nutzern verschafft. Gründer Mark Zuckerberg gab sich daraufhin zerknirscht, aber die glanzvollen Tage des Netzwerks waren vorbei, und das mittlerweile zum Meta-Konzern umgebaute Facebook ist heute eine sterbende Plattform.

Digitalkompetenz ist so wichtig wie die Grundrechenarten

Legistische Konsequenzen gab es damals keine. Schon aus dieser Geschichte hätten die Gesetzgeber lernen müssen. Ja, Maßnahmen wie Datenschutzverordnungen und der Digital Service Act sind bei aller Kritik zumindest ein Versuch, solche Praktiken in Zukunft zu verbieten. Aber letztlich liegt es in der Eigenverantwortung jedes Einzelnen, wie Apps genutzt werden, und hier gibt es gerade in Österreich noch viel zu tun.

Die Nutzerinnen und Nutzer brauchen die Fähigkeit zur Quellenkritik und Medienkompetenz. Eine digitale Grundbildung ist so wichtig wie die Grundrechenarten. Nur wenn diese auch im Bildungssystem vermittelt werden, kann es gelingen, dass wir in Zukunft nicht mehr überraschend über Verbote diskutieren müssen, weil wir unsere Daten nur zu gerne hergegeben haben. (Peter Zellinger, 9.3.2023)