Eine Gaspipeline in Sibirien: Zuletzt ist der russische Anteil am österreichischen Gasmix wieder gestiegen, in anderen Ländern Europas aber gesunken.

Foto: Reuters / Maxim Shemetov

Es ist mehr als ein Jahr her, dass Russlands Präsident Wladimir Putin Krieg gegen die Ukraine führt. Ebenso lange versucht er, Gas als Druckmittel einzusetzen, um die EU-Staaten davon abzubringen, die Ukraine finanziell wie militärisch zu unterstützen – bisher ohne Erfolg. So gut wie alle Länder, die stark von russischem Gas abhängig waren, haben Maßnahmen gesetzt, sich davon möglichst rasch zu lösen. Manchen ist das besser gelungen als anderen. Dazu gehört etwa Deutschland. Österreich hingegen zählt mit Ungarn zu den wenigen Ländern, die noch immer vergleichsweise viel Erdgas aus Russland beziehen.

Kamen vor Ausbruch des Kriegs in der Ukraine noch an die 80 Prozent des in Österreich benötigten Gases aus Feldern in Sibirien, ist der Russland-Anteil von März 2022 bis Dezember 2022 nach Angaben des Energie- und Klimaschutzministeriums auf 53 Prozent gesunken. Das hatte freilich auch damit zu tun, dass Gazprom, der russische Gasmonopolist, teilweise nur 30 Prozent der mit der OMV vereinbarten Liefermenge durch die Pipeline nach Baumgarten an der österreichisch-slowakischen Grenze geschickt hat. Seit einiger Zeit liefert das mehrheitlich in Staatsbesitz befindliche Unternehmen wieder vollumfänglich, der Anteil von russischem Gas ist folglich wieder Richtung 70 Prozent gestiegen.

Deutschland fast bei null

Anders die Situation in Deutschland, bis vor einem halben Jahr noch größter Abnehmer von russischem Erdgas in Europa. Dort ist der Anteil Russlands am Gasmix auf nahezu null gesunken. Nahezu deshalb, weil beim verflüssigten Erdgas (LNG; Liquiefied Natural Gas), das in großen Mengen als Ersatz für russisches Pipelinegas gekauft wurde, möglicherweise doch die eine oder andere Ladung aus Russland dabei war.

"Deutschland hatte keine Wahl; Uniper und RWE mussten Ersatz beschaffen, weil Russland die Lieferungen zuerst eingeschränkt und nach der Explosion der Pipeline Nord Stream 1 ganz abgestellt hat", erinnert Carola Millgramm, Leiterin der Gasabteilung in der Regulierungsbehörde E-Control, im Gespräch mit dem STANDARD. "Österreich hatte diesen Druck nicht. Gazprom hat immer geliefert, wenn auch teils deutlich weniger als vereinbart." Dennoch sei Österreich jetzt resilienter als noch vor einem Jahr. Ein Totalausfall russischer Lieferungen sei, anders noch als vor einem Jahr, bewältigbar, wenn auch mit hohen Kosten verbunden.

Baumgarten an der österreichisch-slowakischen Grenze war früher das Tor für russisches Erdgas nach Italien und Deutschland.
Foto: Reuters / Lisa Leutner

Europa insgesamt ist widerstandsfähiger geworden und nicht mehr so verwundbar, zeigt eine Analyse der Brüsseler Denkfabrik Bruegel. Stammten vor dem Einmarsch von Putins Truppen in der Ukraine noch 40 Prozent des in Europa benötigten Gases aus Russland, sind es inzwischen nur mehr zehn Prozent – Tendenz sinkend. Kompensiert wurden die Mengen durch einen Rückgang der Nachfrage um 15 bis 20 Prozent, was den vergleichsweise milden Temperaturen im bisherigen Winter geschuldet ist, aber auch den prohibitiv hohen Preisen für Erdgas, wie die Energieexperten des Brüsseler Thinktanks hinweisen. Ob das im kommenden Winter auch noch gilt, sei dahingestellt.

Kompensiert wurde russisches Gas vor allem aber durch zusätzliches LNG aus den USA. Hier spielte den Europäern wiederum in die Hände, dass Chinas Konjunkturmotor infolge der Null-Covid-Politik ins Stottern geraten ist und dort weniger Gas nachgefragt wurde. Und noch etwas sei im Vorjahr entscheidend gewesen, dass Europa in seiner Gesamtheit gut über den Winter gekommen ist: dass die Speicher so gut gefüllt wurden wie selten zuvor. "Das war eine der wichtigsten strategischen Maßnahmen, die gesetzt worden sind", sagt Martin Graf, Vorstand der Energie Steiermark und früherer Geschäftsführer der E-Control. Mit dem Hub Baumgarten sei Österreich bis vor kurzem "das Tor für russisches Erdgas nach Deutschland und Italien" gewesen, spielt Graf auf die Lage Österreichs im Herzen Europas und am Endpunkt der Russland-Pipeline an.

Der schwimmende LNG-Terminal bei Wilhelmshaven ist mittlerweile in Betrieb gegangen, weitere Terminals zur Regasifizierung von verflüssigtem Erdgas sollen in Deutschland folgen.
Foto: imago / frank ossenbrink

Weil Deutschland im Dezember einen ersten schwimmenden Regasifizierungsterminal in rekordverdächtig kurzer Zeit in Betrieb genommen hat und weitere folgen werden, sollte auch das innereuropäische Gasnetz vor allem im Hinblick auf den kommenden Winter weniger verstopft sein als in den zurückliegenden Monaten. Das könnte Binnenländern helfen, leichter an Gas zu kommen – Gas, das per Schiff irgendwo an Europas Küste anlandet und via Pipeline zum Beispiel nach Österreich weiterverteilt werden könnte.

Müsste Österreich nicht aktiver sein, um sich aus der Abhängigkeit von russischem Erdgas zu befreien? Einiges ist passiert. Das Gasdiversifizierungsgesetz samt entsprechender Verordnung sieht Anreize für Unternehmen vor, wenn sie auf alternativen Routen nicht russisches Gas nach Österreich bringen. Bis 2025 sind dafür jährlich 100 Millionen Euro reserviert – die Umrüstung von Energieerzeugungsanlagen auf andere Energieträger als Erdgas inklusive. Auch die strategische Gasreserve, die auf Staatskosten angeschafft wurde und an die 20 Terawattstunden (TWh) umfasst, ist Teil der Diversifizierungsstrategie.

Mehr Kooperationen nötig

Für Herbert Lechner, den ehemaligen wissenschaftlichen Leiter der Österreichischen Energieagentur, ist das zu wenig. "Österreich sollte sich um den Infrastrukturausbau kümmern. Gerade weil wir ein Binnenland sind, müssen wir mit anderen Staaten kooperieren, die geografisch bessere Voraussetzungen haben wie etwa Kroatien, die in Krk einen LNG-Terminal haben", sagt Lechner. Auch in Deutschland hätte man sagen können, wir zahlen mit und sichern uns Kapazitäten in den Regasifizierungsanlagen. Und wie die Italiener nach Algerien aufgebrochen sind, um zusätzliche Gasmengen zu akquirieren, hätte man sich laut Lechner auch anhängen können.

Bis 2030, so der Plan der EU-Kommission, soll sich Europa ganz aus dem Klammergriff Russlands befreit haben. Österreich plant den Komplettausstieg von russischem Gas bis 2027. Dem stehen allerdings die Langfristverträge der OMV entgegen, die noch bis 2040 laufen und die Lieferung von jährlich bis zu sechs Milliarden Kubikmetern vorsehen. Darin verpackt ist auch eine Take-or-Pay-Klausel, das heißt, die OMV ist zur Zahlung eines bestimmten Betrags verpflichtet, auch wenn sie das Gas nicht abnimmt. Möglicherweise kommt sie aber doch raus, weil Gazprom die Liefervereinbarung im Vorjahr höchstwahrscheinlich gebrochen hat oder weil der Staat, der mit 31,5 Prozent an der OMV beteiligt ist, ihr das gesetzlich anschafft. Darauf haben zuletzt Aussagen von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hingedeutet, der sich Einblick in die Verträge verschaffen will. (Günther Strobl, 10.3.2023)